-->Gibt es eine Lücke in meinem Verständnis, oder in dottore's
Argumentation? Warum soll der Staat nicht finanzierbar sein?
Thomas
Ich behaupte: Wenn der Staat zu seiner Finanzierung im Jahr X
insgesamt Steuerforderungen in Höhe von Y Einheiten Abgabengut
abgetreten hat, und zwar zum Termin 1. März des Folgejahres, dann muss
er den Bürgern lediglich am 28. Februar des Folgejahres Y Einheiten
des Abgabengutes"wegnehmen", damit alle abgetretenen Forderungen
erfüllt werden können.
dottore
Er kann nur Steuerforderungen abtreten, wenn es ihn als
Steuerabforderungsinstrument bereits gibt. Du kommst am
Früher-Später-Problem nicht vorbei. Du kannst nicht sagen: Ich bin der
Staat und trete Dir meine Steuerforderungen per 28. Februar des
nächsten Jahres ab und bis dahin gibt es mich nicht. Abtreten
lassen sich nur Steuer-Forderungen, die Termin haben. Und um
Steuer-Termin überhaupt setzen zu können, musst Du bewaffnet
sein.
Vielleicht habe ich mich mißverständlich ausgedrückt. Ich versuche es
noch einmal, übermäßig ausführlich vielleicht, aber mit genauester
Berücksichtigung aller auftretenen Termine, Fälligkeiten und
vorher/nachher-Beziehungen.
Zunächst sei erstens zur Abgrenzung bemerkt, dass ausschließlich von der
Staatsfinanzierung des Jahres X die Rede ist, und nicht von den Jahren X-1
und/oder X+1. Wenn also die Steuern für das Jahr X im (z.B.) Februar des
Folgejahres X+1 eingetrieben werden, dann entstehen dabei
selbstverständlich Eintreibungskosten im Jahr X+1 (z.B. Kosten der
Gewaltandrohung). Das ist unstrittig,
aber um die Kosten geht es hier nicht, weil sie nicht im Jahr X
anfallen. (Dagegen fallen natürlich im Jahr X Kosten zur Eintreibung der
Steuern aus X-1 ein, die müssen natürlich als Kosten des Jahres X
berücksichtigt werden.
Die Finanzierungsperioden müssen eben sauber voneinander getrennt
sein, aber das ist eigentlich selbstverständlich.
Zweitens: Es ist möglich, alle zur Finanzierung der Kosten des Jahres
X gemachten Staatschulden (inklusive aller Zinsen) bis zum (Beispiel)
1. März des Folgejahres restlos zu tilgen, und zwar aus Steuern,
die nachträglich für das Jahr X erhoben werden. Das ist ganz einfach
an einem Beispiel einzusehen:
Am 1. Januar X steigt die Mega-Orgie im Palast, der Marktpreis für den
ganzen Wahnsinn sei 100, <em>sofort fällig</em>. Mit sofort fällig kann der
Staat nicht dienen, wohl aber mit <em>fällig am 1. März des Folgejahres.</em>
Dafür muss der Staat aber (Beispiel) 120 zahlen, wegen späterer
Fälligkeit. Er bekommt also heute Leistung für 100, und muss am Tag
der Steuerfälligkeit 120 zurückzahlen. <em>Mit den 120 am Tag der
Steuerfälligkeit ist die Schweinerei im Palast dann aber endgültig
(inklusive aller Zinsen) getilgt.</em>
So wie im obigen Beispiel können alle Ausgaben des Jahres X behandelt
werden: Schulden machen, mit Rückzahlungstermin am Tag der
Steuerfälligkeit, und für den Fälligkeitsunterschied von jetzt und
1. März des Folgejahres einen Zins hinnehmen.
Bei dieser Finanzierungsmethode muss der Staat alle seine Gläubiger am
selben Tag bedienen, nämlich am 1. März X+1. Wäre es bei der
Palast-Orgie als einziger Ausgabe geblieben, wären genau 120 am
1. März fällig. In der Praxis dürfte es wohl etwas mehr sein.
Nun weiß also der Staat, wieviel er am 1. März X+1 an Gläubiger zu
zahlen hat, die Summe sei Y Einheiten Abgabengut. (Das weiss er
natürlich seit dem 1. Januar X+1). Woher nehmen? Mit Gewalt
eintreiben! Wieviel eintreiben? Genau Y Einheiten.
(Zur Erinnerung: Die Kosten für die Eintreibung der Steuern fallen im
Jahr X+1 an, und liegen damit ausserhalb des Diskurses.)
Damit ist das Jahr X für den Staat endgültig am 1. März X+1 finanziert.
Drittens können wir die Aussage für die Finanzierbarkeit des
Jahres X verallgemeinern. Was im Jahr X gilt, kann auch für alle
Folgejahre gelten, und auch für die Jahre vor X.
Mögliche Angriffsflächen
Eigentlich finde ich die ganze Sache mit der Staatsfinanzierbarkeit banal
und trivial, aber dottore's persistente Behauptung des Gegenteils
macht mich stutzig, sonst hätte ich diesen Beitrag nicht so
ausführlich gefasst.
Es verwundert mich auch, dass die dottore'sche Behauptung von der
Unmöglichkeit des Staates hier auf keinen lauten Widerspruch trifft.
Wie dem auch sei, abschließend einige möglichen Lücken meiner
Argumentation, natürlich unvollständig:
Vielleicht sind es Charaktereigenschaften von Machthabern, die den
Untergang vorzeichnen? Hier könnte bestimmt mit psychologischen
Argumenten gearbeitet werden. Solche Argumentation war in diesem Forum
aber bisher nicht explizit.
Vielleicht sind es die <em>die Eigenschaften der Masse</em>, die das
Ende bestimmen? Dazu gibt es hier im Forum schon mehr Andeutungen,
siehe Elliott-Wellen, Gustav Le Bon etc. Allerdings waren auch solche
Argumentationen für den zwangsweisen Staatsbankrott bisher nicht
explizit.
Historische Argumentation: dottore führt ja selbst immer wieder Beispiele an,
dass es in der Geschichte für die Staaten immer im Staatsbankrott
geendet hat. Das ist sicher beeindruckend, die Beobachtung hat aber noch lange
nicht den Rang eines Naturgesetzes. Die Beobachtung als solche ist
ohne Erklärung eben nur das: eine Beobachtung.
Schließlich könnte ich in meiner Argumentation irgendwelche Schulden
vergessen haben, die mit dem <em>Prozess der Machtergreifung</em> zu tun haben,
und deshalb nicht in die sauber abgegrenzten Finanzierungsperioden
eingeordnet werden können. Das scheint mir die wahrscheinlichste Lücke
meiner Argumentation zu sein, aber ich sehe keinen Grund, warum solche
Schulden nicht ebenfalls nach und nach eingetrieben werden können.
Danke für die Aufmerksamkeit, und gute Nacht allerseits!
Thomas
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