-->„Merkels Kredit ist aufgebraucht"
Von Karl Feldmeyer, Berlin
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14. November 2003 „Noch so ein Sieg, und sie ist erledigt", raunt es im Fahrstuhl, als er sich auf dem kurzen Weg vom dritten Obergeschoß des Reichstagsgebäudes, wo die Fraktionen tagen, zur Plenarebene befindet. Im Plenarsaal haben die Beratungen schon begonnen. Es geht um die Verlängerung des Mandats „Enduring Freedom". Die Abgeordnetenreihen sind fast leer. Von der CDU/CSU-Fraktion sind erst eine Handvoll Abgeordnete eingetroffen.
Die Vorsitzende Merkel, ihr Erster Stellvertreter Glos und der Parlamentarische Geschäftsführer Kauder haben ihre Sitze in der ersten Reihe eingenommen. Merkel ist in sich zusammengesunken. Sie hat gerade ihre bisher schwierigste Stunde als Fraktionsvorsitzende hinter sich gebracht. Martin Hohmann ist aus der Fraktion ausgeschlossen, ein Stuhl für ihn ist bereits im Plenarsaal bereitgestellt. Schwarz und fremd unter den blau-lila bezogenen Sesseln für die anderen Abgeordneten weist er den, für den er im Gang zwischen CDU/CSU und FDP in der hintersten Reihe aufgestellt worden ist, als Ausgestoßenenen aus. So wird seine Ächtung auch optisch deutlich.
Entscheidung „richtig und alternativlos"
Die Operation verlief nicht ohne Komplikationen und dauerte länger, als es die Vorsitzende beabsichtigt hatte. Als das Abstimmungsergebnis den vor dem Fraktionssaal wartenden Journalisten bekanntgegeben wird, sind mehr als eineinhalb Stunden verstrichen. Das Ergebnis ist eindeutig: 195 Abgeordnete stimmten dem Antrag der Vorsitzenden zu, 29 mehr als die benötigte Zweidrittelmehrheit von 166 Stimmen.
Ein Erfolg also? So wollte am Freitag keiner der Beteiligten das Ergebnis benennen, auch Merkel nicht. Als sie den Fraktionssaal verläßt gibt sie eine knappe Erklärung ab: Die von ihr herbeigeführte Entscheidung sei"richtig und alternativlos". Das Ergebnis bewertet sie als"eindeutig", - verhofft kurz und fügt dann hinzu, es zeige aber auch, daß"es" vielen schwer gefallen sei. Aschfahl ist die Vorsitzende, als sie diese Erklärung abgibt, und auch den anderen Teilnehmern sieht man beim Verlassen des Fraktionssaales an, was Merkels Bemerkung meint, es sei"ein harter Tag" für die Fraktion.
„Die Sitzung war zum Schluß ein Chaos“
Es ist nicht nur der vollzogene Schnitt, der Merkel und ihren Anhang belastet. Es ist auch das Ergebnis, jener Teil, über den sie partout nicht sprechen wollen. Als Merkels Generalsekretär Meyer danach gefragt wird, für wie schwerwiegend er die politische Beschädigung halte, die der Vorsitzenden daraus erwachse, daß ihr trotz aller Bemühungen um Geschlossenheit ein gutes Fünftel der Abgeordneten die Gefolgschaft in Sachen Hohmann verweigert habe, wiederholt er nur stereotyp: „So'n Quatsch, so'n Quatsch" und sieht eilends, daß er wegkommt. Auch Maria Böhmer, merkeltreue stellvertretende Vorsitzende, fehlen in diesem Augenblick die rechten Worte. Käseweiß kommt sie daher, und der junge CSU-Abgeordnete Scheuer steht am Aufzug und macht sich Mut. „Jetzt woll'n wir aber wieder Politik machen," sagt er und wirkt, als hoffe er, das soeben Erlebte wie einen Alptraum abschütteln zu können.
(Anmerkung Baldur: der macht statt Politik eher ein Häufchen, als irgendwas produktives zuwegezubringen, oder?)
Es dauert länger als sonst an diesem Vormittag bis man mit CDU-Leuten eine erste Bilanz dieses Vorgangs ziehen kann. „Die Sitzung war zum Schluß ein Chaos. Zwei mal mußte abgestimmt werden und zum Schluß wurde nicht einmal das Abstimmungsergebnis korrekt mitgeteilt", lautet die erste Feststellung."Nach dieser Affäre hat sie keinen Schuß mehr frei. Merkel hat genau 29 Stimmen mehr bekommen, als sie brauchte. Die Hälfte derjenigen, die ihren Antrag unterstützen, taten das gegen ihre innere Überzeugung. Die Stimmung war fast wie in einer Diktatur. Keiner wagte, sich anderen zu erkennen zu geben, wie er abstimmen würde. Jeder mißtraute jedem. Mit diesem Parforceritt hat sie ihren Kredit aufgebraucht", lautete die zweite.
Hohmann reagierte nicht
Was geschah am Freitagmorgen hinter den verschlossenen Türen der Fraktion? Zunächst eröffnete Merkel mit der Feststellung, alle wüßten, worum es heute gehe und fragte, ob jemand das Wort wünsche. Hohmann meldete sich und verlas einen vorbereiteten Text. Die CDU sei seine politische Heimat, es liege ihm fern, jüdische Menschen zu beleidigen, und er bitte, den Ausschlußantrag noch einmal zu überdenken. Der Aufforderung, die Fraktion aus eigenem Entschluß zu verlassen, könne er schon deshalb nicht nachkommen, weil ihm das als parteischädigendes Verhalten vorgehalten werden und als Begründung für seinen Ausschluß aus der Partei verwandt werden könne. Dem widersprach der Abgeordnete Pofalla, Justiziar der Fraktion, ohne jemanden überzeugen zu können. Dann appellierte die Abgeordnete Lengsfeld an Hohmann, der Fraktion die Zerreißprobe der Abstimmung zu ersparen und die Fraktion „freiwillig" zu verlassen.
Als Hohmann darauf nicht reagierte, schritt man zur Abstimmung. Zunächst erläuterte Kauder das Wahlverfahren. Die Stimmzettel wurden nach Unterschrift in der Namensliste ausgehändigt. Die Abstimmung selbst fand im Zimmer des Fraktionsvorstandes statt, wo fünf Wahlkabinen aufgestellt worden waren. Als dieser Vorgang abgeschlossen schien, fragte Kauder als Wahlleiter, ob alle Stimmen abgegeben worden seien und fügte - nachdem es keinen Widerspruch gegeben hatte den Satz hinzu: „Dann schließe ich den Wahlgang". In diesem Augenblick ging die Tür auf, und der CSU-Abgeordnete Hofbauer trat ein. Es war zehn vor neun. Kauder fragte daraufhin die Versammelten, ob Hofbauer trotz seiner Feststellung, der Wahlvorgang sei abgeschlossen, noch seine Stimme abgeben dürfe. Dagegen gab es keinen Widerspruch - auch nicht von Hohmann. So konnte auch Hofbauer seinen Stimmzettel noch entgegennehmen und in die Unre werfen.
Die Justitiare aber erhoben Einspruch. Für sie ging es offensichtlich darum, alles zu vermeiden, was bei einer gerichtlichen Prüfung Probleme bereiten könnte. So mussten die Abgeordneten Geis und Helias, die die Sitzung bereits verlassen hatten, zurückgeholt und ein zweites Mal abgestimmt werden. Als Kauder nach dem zweiten Wahlgang das Ergebnis verkündete, kam es zur zweiten Regelverletzung. Kauder verkündete:"Neun ungültige Stimmen, 195 Ja-Stimmern, 28 Nein, 16 Enthaltungen". Das war weder der Form noch dem Inhalt nach korrekt. Ordnungsgemäß hätte die Mitteilung so lauten müssen:"Abgegebene Stimmen 243; davon vier ungültige Stimmen, 195 Ja-Stimmen, 28 Nein-Stimmen 16 Enthaltungen". Und Kauder hatte die fünf Abgeordneten, die an der Sitzung nicht teilnehmen konnten, den vier ungültigen Stimmen zugeschlagen, wodurch er auf neun ungültige Stimmen kam. Das Ergebnis des ersten Wahlganges wurde nicht veröffentlicht, aber ausgezählt. Dabei hatte die Zahl der Nein Stimmen 31 betragen.
(Anmerkung Baldur: ene, mene, muh, und raus bist DuuuuuhhhhHHHHH - quiieeck )
Widerspruch für Merkel
Für das politische Ergebnis ist all das ohne Bedeutung. Beteiligte aber nehmen solche Beobachtungen wichtig, weil sie darin Parallelen zum Verlauf der Sitzung am vergangenen Montag sehen. Da hatte Merkel dem geschäftsführenden Fraktionsvorstand ihren Entschluß mitgeteilt, Hohmann abweichend von dem, was Präsidium und Vorstand der CDU beschlossen hatten, doch aus der Fraktion auszuschließen. Das überrascht zuminest einen Teil der Mitglieder. Zudem kündigte sie an, nur den Ausschluß aus der Fraktion, nicht aber ein Parteiausschlußverfahen beantragen. Als Bundestagsvizepräsident Lammert darafhin mitteilte, er werde ihren Antrag unter diesen Umständen ablehnen, weil er es für bizarr halte, einen Abgeordneten im Bundestag zu haben, der zwar CDU-Mitglied sei aber nicht Fraktionsmitglied sein dürfe, änderte Merkel ihre Haltung abermals. Dann, so reagierte sie, werde sie eben auch seinen Parteiausschluß beantragen.
Als Merkel daraufhin über den Ausschluß Hohmanns abstimmen lassen wollte, erhielt sie abermals Widerspruch, nämlich mit der Frage, worüber denn abgestimmt werden solle, es gebe keinen schriftlichen Antrag, und es sei unklar, ob der Antrag vom geschäftsführenden Fraktionsvorstand oder von wem sonst gestellt werde. Da stutzte Merkel abermals und erwiderte schließlich, dann stelle sie eben als Vorsitzende den Antrag. So geschah es. Auffallend aber war für Teilnehmer, daß Merkel das Tehma ganz unvorbereitet angegangen war und alle formalen Erfordernisse übersehen hatte. Das hat den Eindruck erweckt, daß sie ihren Entschluß spontan und ohne eine Prüfung in der Partei oder Fraktion gefaßt und verkündet hat. Das beschäftigt Partei und Fraktion, weil sie nicht wissen, auf wen der plötzliche Sinneswandel zurückzuführen ist und wer Einfluß auf ihre Vorsitzende hat - heute in diesem, morgen eventuell in einem Fall. Vermutungen dazu sind schon im Umlauf.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.2003, Nr. 266 / Seite 2
http://www.faz.net/s/Rub6EAA9BF249C249FE86A5EFF3F83DC130/Doc~E786EE53F69A247BC9C9229DE52ADDB1B~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Man stelle sich vor, irgendein Unternehmer würde so handeln, sagen wir, mit einem Mitarbeiter - undenkbar, unerträglich. Ein Fall für den Richter.
Aber sooo ists ja blooooß Politik.
Wenigstens wird sie ihrem Zieh- Oppi, dem Oggersheimer, gerecht - der Apfel fällt nicht weit von Stamm - und wenn der Stamm hohl ist, wie soll da der Apfel anders sein
Beste Grüße vom Baldur
<ul> ~ da stehts</ul>
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