-->
Schlechter wird es nicht
In Zgorzelec ist jeder Fünfte ohne Arbeit / Die Armut an der EU-Grenze wächst
Von Renate Heidner
Die Zahl der Arbeitslosen in Zgorzelec wächst. Sozialhilfe gibt es nicht, Jobs sind selten. Ein Besuch auf dem städtischen Arbeitsamt.
Vor dem grauen Flachbau des Zgorzelecer Arbeitsamtes hat sich schon am frühen Morgen eine lange, dunkle Menschenschlange gebildet. Die Gesichter der arbeitslosen Männer und Frauen sind ernst. Wie so oft, werden die meisten von ihnen auch heute wieder umsonst hier stehen. „Ich komme einmal im Monat, aber man gibt mir immer die gleiche Antwort: keine Arbeit“, sagt ein 35-jähriger Mann, der schon seit Jahren ohne Job ist.
Neueste Zahlen des Zgorzelecer Arbeitsamtes belegen in der polnischen Grenzstadt eine Arbeitslosigkeit von rund 22 Prozent - Tendenz steigend. „Die Arbeitslosen kommen aus allen Schichten, und es sind junge wie ältere Menschen“, erklärt Danuta Plutecki, Leiterin des Kreisarbeitsamtes in Zgorzelec. „Besonders schwer haben es aber Frauen ab Fünfzig. Sie sind kaum zu vermitteln. Und nur, wenn sie eine 30-jährige Arbeitszeit nachweisen können, haben sie Anspruch auf eine Frührente.“ Langzeitarbeitslose in Polen müssen sich selbst kümmern. Sozialhilfe gibt es nicht. Lukas, der einen abgetragenen, speckigen Pullover trägt, muss mit seinen 53 Jahren mit umgerechnet 20 Euro im Monat auskommen. „Die eine Hälfte brauche ich für meine Miete, die andere zum Leben.“ Kein Wunder, dass er Arbeitslose in Görlitz beneidet. „Die Görlitzer bekommen 500 oder 1 000 Euro im Monat vom Arbeitsamt, manche zusätzlich Geld für Miete und andere Dinge. Wenn sie dann bei uns in Zgorzelec einkaufen, könnten sie bei einem günstigen Umtauschkurs an einem Tag 20 Euro sparen. Damit muss ich einen ganzen Monat leben.“
Die Preise für Gas, Wasser und Kohle sind gestiegen
Zusätzlich zur finanziellen Misere, in der sich viele Zgorzelecer Arbeitslose befinden, sind wie überall im Land seit Oktober die Preise für Gas, Wasser und Kohle gestiegen. Ab Januar sollen Baumaterialien 22 Prozent teurer werden. Deshalb wächst auch die Angst bei denen, die noch einen Job haben. „Was wird, wenn ich meine Arbeit verliere“, fragt sich die 45-jährige Barbara. „Man müsste sich dann eigentlich einen Strick nehmen und aufhängen“, sagt die Mutter von zwei Töchtern. „Manchmal wundere ich mich, dass bei uns überhaupt noch etwas funktioniert. Aber die Leute müssen ja irgendwie weitermachen, denn da ist ja noch die Familie.“ Jeden Monat kommen in Zgorzelec zwischen 400 und 500 neue Arbeitslose hinzu, sagt Danuta Plutecki. Dennoch könne sie um die 150 Jobs vermitteln. „Viele unserer Bürger erhoffen sich durch die EU eine bessere Arbeitssituation und denken positiv über die Grenzöffnung, aber ich bin da nicht so optimistisch.“
Von einem Urlaub oder einem Auto können arbeitslose Zgorzelecer nur träumen. „Viele von uns nutzen ihren Urlaub, um irgendwo noch zusätzlich Geld zu verdienen“, sagt Barbara. „Freie Tage sind meist dazu da, von einem zum anderen Ort zu rennen, um wenigstens ein paar Groschen aufzutreiben. Die Arbeitslosigkeit belastet die Menschen nicht nur finanziell, sondern auch psychisch und physisch.“ Barbara weiß, wovon sie spricht. Sie hat zwei Herzinfarkte hinter sich. „Heute denke ich nicht mehr so viel nach“, sagt sie. „Schlechter kann es eigentlich nicht mehr werden.“
Die gepflegte Frau fügt nachdenklich hinzu: „Die Görlitzer sollten nicht jammern und nicht auf meine Landsleute herabblicken, die auf den Straßen betteln oder nach Görlitz fahren, um das einzusammeln, was die Deutschen wegwerfen. Für viele ist es die einzige Möglichkeit, leben zu können.“
http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=545228
bald werden die Grenzen geöffnet...
|