-->BRÜSSELER VERHANDLUNGSFIASKO
<font size=5>Schröder droht den EU-Abweichlern</font>
Der Gipfel zur ersten europäischen Verfassung ist gescheitert, die EU gerät in schweres Fahrwasser. Bundeskanzler Schröder gibt den Spaniern und Polen die Schuld an dem Debakel - <font color="#FF0000">und drohte damit, die Integration einer Kern-EU auch ohne die Abweichler voranzutreiben</font>.
Brüssel - Bis zum Schluss hatte die italienische EU-Präsidentschaft in hektischen Einzelgesprächen und mit Kompromissvorschlägen versucht, doch noch Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Allerdings hatte der polnische Außenminister Wlodimierz Cimoszewicz klar gemacht, es werde keine Lösung unterschrieben, die sein Land politisch schwäche.
So scheiterten die Gespräche, weil sich die 25 Staats- und Regierungschefs nicht über die künftige Stimmengewichtung im Ministerrat einigen konnten. Der italienische Premier Silvio Berlusconi sprach von"völliger Uneinigkeit" der EU. Nach den Worten des dänischen Ministerpräsidenten sind die Gespräche nun auf unbestimmte Zeit vertagt worden.
"Es gibt keine Entscheidung darüber, wann die Gespräche in einer Regierungskonferenz wieder aufgenommen werden" sagte Anders Fogh Rasmussen. Irland, das die EU-Ratspräsidentschaft im Januar von Italien übernehmen wird, werde einige Monate lang beraten. Erst dann könne der neue Ratspräsident Vorschläge für das weitere Vorgehen machen. Ein niederländischer Diplomat sagte, es sei unklar, in welche Richtung die EU nun steuere.
Streit zwischen Kern und Peripherie
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) kritisierte mit Blick auf Polen und Spanien, insbesondere zwei Länder hätten sich nicht bewegt. Man müsse nun dafür sorgen, so Schröder, dass künftig nationale Egoismen nicht mehr über die Idee der Integration gestellt werden. Nur dann gebe es eine Chance, doch noch eine Einigung zu erzielen.
Schröder versicherte, der Bundesregierung sei es bei den Verhandlungen immer um die Handlungsfähigkeit Europas gegangen. Deutschland werde sich jetzt dafür einsetzen, dass die Verfassungspläne nicht endgültig scheitern. <font color="#FF0000">Die Bundesregierung sei notfalls auch bereit, nur mit einigen Ländern wie Frankreich und Großbritannien die Zusammenarbeit zu verstärken</font>."Dann werden die Länder, die mehr Integration wollen, über diesen Weg nachdenken", sagte er.
So tauchen kurz vor einer neuen Erweiterungsrunde neue Fronten in der EU auf. <font color="#FF0000">Auch Luxemburg schlug vor, die sechs Gründungsmitglieder der Gemeinschaft - Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg - sollten ohne die anderen Länder über das weitere Vorgehen in Europa beraten</font>. Bundesaußenminister Joschka Fischer hatte bereits vor dem Gipfel gewarnt, bei einem Scheitern drohe ein"Europa der zwei Geschwindigkeiten".
Dies könnte bedeuten, dass einige Länder künftig in bestimmten Fragen eine engere Zusammenarbeit verabreden. <font color="#FF0000">Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg hatten 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gebildet</font>.
"Historische Chance verpasst"
Schröder betonte aber auch, das Scheitern des Gipfels werde keine negativen Auswirkungen auf das deutsch-polnische Verhältnis haben. Dieses liege ihm in besonderer Weise am Herzen.
Polen und Spanien blockierten eine Einigung, weil sie nicht bereit waren, auf die in Nizza beschlossene Stimmverteilung innerhalb der EU zu verzichten. Sie verschafft ihnen überproportionale Vorteile und gibt ihnen fast so viele Stimmen im Ministerrat wie den großen Nationen Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien.
Besonders Deutschland und Frankreich treten für die Einführung der doppelten Mehrheit ein, wie dies der EU-Verfassungskonvent vorgeschlagen hatte. Danach ist eine Entscheidung gefallen, wenn eine Mehrheit der EU-Staaten zustimmen, die zugleich mindestens 60 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Diese Regelung soll angesichts der Erweiterung dafür sorgen, dass die EU weiter beschlussfähig bleibt.
Streit um Behörden-Standorte geschlichtet
Einigkeit wurde nur in sekundären Fragen erzielt. Nach Angaben aus italienischen Kreisen haben sich die Regierungs- und Staatschefs etwa in der bislang umstrittenen Frage der Standorte neuer EU-Institutionen geeinigt.
Eine neue Lebensmittelbehörde solle wahrscheinlich in der italienischen Stadt Parma eingerichtet werden, hieß es laut Reuters am Samstag in Kreisen der italienischen EU-Ratspräsidentschaft. Berlusconi hatte die Entscheidung über die Standorte bei dem Gipfel vor zwei Jahren eigens blockiert.
Eine neue Aufsicht für Chemieprodukte werde künftig in Finnland beheimatet sein, wo die Lebensmittelbehörde eigentlich angesiedelt werden sollte. Zudem werde eine Behörde für die Luftfahrtsicherheit in Köln, für die Bahnsicherheit in Frankreich und für die Sicherheit der Seeschifffahrt in Lissabon eingerichtet, hieß es in den Kreisen.
Der Parlamentsvertreter in der Regierungskonferenz, Klaus Hänsch, sagte nach dem Platzen des Gipfels, Polen trage die Hauptschuld:"Ich hoffe, dass man bald wieder zu einem Treffen zusammenkommt und dass Spanien und Polen verstehen, dass sie eine historische Chance verpasst haben."
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,278258,00.html
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