-->Saddam Husseins Mund im Fernsehen
Aus unserer Rubrik: Gesellschaftskontrolle
CNN zeigt einen älteren Mann mit einem wild gewachsenen, grauen und weißen Bart. Der Zustand seines Haupthaars legt nahe, daß er gerade aufgestanden ist. Ihm gegenüber steht ein Armeearzt mit Brille, ein gut rasierter Amerikaner mit Glatze. Wer als Guter auftritt, sagen die Aufnahmen, den erkennt man daran, daß er sich bis ins Detail seiner äußeren Erscheinung als Gegenteil des Bösen zeigt. Am Handgelenk des Arztes sitzt eine dicke Armbanduhr, die sofort glauben macht, daß ihr Träger die Situation kontrolliert. Der Arzt trägt Latex-Handschuhe. Wer sich dem Bösen nähert, sagen die Handschuhe, tut das zu rein medizinischen Zwecken. Das entspricht dem Sprachgebrauch, in dem von »chirurgischen Eingriffen« die Rede ist, wenn Bombardierungen gemeint sind.
Mit den Händen fährt der Arzt seinem Gegenüber durch die Haare, er sucht nach Wunden, vielleicht auch nach Läusen. Das Böse, sagen die Aufnahmen, tritt verdreckt auf. Falls jemand zu jung ist, um sich unter einem »Massenmörder« etwas oder jemanden vorzustellen, dann kann er sich bei diesem Anblick immerhin an Muttis, Papis, Großmuttis oder Großpapis Erziehungsmaßgabe erinnern, den Anfängen zu wehren, indem er sich wäscht und zum Friseur geht.
Mit dem Zungenspatel in der linken Hand fährt der Arzt in die Mundhöhle des Mannes und drückt dessen Zunge herunter. Die Tonspur zur Aufnahme wird nicht eingespielt, aber wahrscheinlich läßt er den Patienten »Aaaah« sagen. Eigentlich handelt es sich um eine alltägliche Verrichtung im Sprechzimmer einer Praxis. Man muß aber weder ein Freund des Mannes noch ein Feind der Amerikaner sein, um diese Szene, in der einem ehemaligen Diktator öffentlich und unbehindert in den Mund gegriffen wird, als Machtdemonstration par excellence zu sehen.
Mit einer Untersuchungslampe in der rechten Hand leuchtet der Arzt die Mundhöhle aus. Die Lampe wird ins Innere gehalten wie zuvor die Fernsehkamera in ein Erdloch südlich von Tikrit. Dort haben Soldaten den Mann aufgebracht. Sowohl die Lampe als auch die Kamera drängen mit hingerissenem Ekel und mit der Hoffnung ins Dunkle, das Böse von innen anschauen zu können. Die Dunkelheit, sagen die Guten, muß ausgeleuchtet werden, sonst entzieht sich das Böse wieder unseren Blicken. Die Guten sind stolze Pragmatiker. Die mit dem Licht, sagen sie, das sind wir. Der Böse verfügt über furchtbare Bomben, wir dagegen halten nur eine Untersuchungslampe bereit. Ihr Strahl zielt in den Rachen der Bestie. Dort zeigt sich ein Teil des westlichen Selbstverständnisses: Der schlechte Geruch von Massenvernichtungswaffen kommt im Zweifelsfall aus Saddam Husseins Mund.
(Junge Welt vom 17.12.03)
mit"anti-amerikanistischen" Grüßen,
Taktiker.
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