-->Andre Kostolany schreibt dazu in"Die Kunst über Geld nachzudenken":
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Welche Bedeutung dem Fait accompli bei der
Kursentwicklung zukommt, zeigte auch der Golfkrieg 1990.
Nach dem Überfall Saddam Husseins auf Kuwait waren die
Kurse in Erwartung des Krieges monatelang zurückgegangen,
während der Ã-lpreis aus Angst vor einer Verknappung von rund
20 auf über 40 US-Dollar pro Barrel stieg. Die Zittrigen hatten
aus Angst ihre Papiere langsam verkauft Œ wie immer natürlich
an die Hartgesottenen. Als der Krieg dann ausbrach, drehte sich
die Tendenz um 180 Grad und die Kurse schossen in die Höhe,
unterstützt von den Erfolgen der amerikanischen Kriegsführung.
Der Ã-lpreis hingegen stürzte um fast 50 Prozent auf rund 20
US-Dollar pro Barrel ab. In meiner Capital-Kolumne hatte ich
genau diese Reaktion der Börse mehrfach prognostiziert. Viele
fragten mich anschließend, wie ich es vorher wissen konnte.
Ganz einfach, ich hatte die so unersetzliche Erfahrung.
Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die
Entwicklung genauso verlaufen. Seit der Besetzung Prags durch
die Hitler-Regierung war die Pariser Börse kontinuierlich
gefallen.
Knapp vor Kriegsausbruch glaubten jedoch einige wenige
Börsianer, man müsse bei den billigen Preisen kaufen, man gehe
kein Risiko ein. Denn entweder komme es nicht zum Krieg,
dann werde man eine stürmische Hausse erleben, oder der Krieg
komme doch, dann sei sowieso alles egal und das Ende der Welt
in Sicht. Dann sei es auch gleichgültig, ob man Geld habe oder
nicht.
Unter ihnen befand sich auch ein sympathischer und
intelligenter Journalist namens Pecry. Sein Bruder war zwar
Bankier, er kam aber immer zu mir und bat um Ratschläge für
seine Börsengeschäfte. Ich gab ihm börsentechnische
Aufklärungen, und er hinterbrachte mir gegebenenfalls
politische Kulissengeheimnisse. Als Journalist arbeitete er auch
beim Radio, und von solchen Leuten, so dachte ich, kann man
hier und da politischen Klatsch erfahren. Er war ein
unverbesserlicher Optimist. Während der Wochen vor dem
Kriegsausbruch war er des Ã-fteren mit der Information zu mir
gekommen, daß es gewiss zu keinem Krieg kommen werde und
daß wir keine Angst haben müssten. Man müsse kaufen. Die
Regierung Daladier würde abdanken und Pierre Laval, der
nächste Ministerpräsident, werde sich mit den Nazis über
Danzig sofort einigen, und alles bleibe in bester Ordnung. Es
war schon in aller Munde: »Sterben für Danzig?«, ein
Schlagwort, das die Nazi-Agenten verbreitet hatten.
Ich teilte seinen Optimismus nicht und hatte mich schon seit
längerer Zeit an der Pariser Börse auf Baisse engagiert.
Die Preise bröckelten zuerst langsam, später etwas rascher,
und ich konnte bereits einen schönen Nutzen verbuchen.
Meine Baissespekulation war ein Termingeschäft, das von
Monat zu Monat verlängert wurde. Am Anfang jeden Monats,
dem so genannten Kassatag, konnte ich die Gewinne
einstreichen, die durch den Kursrückgang während des
vorangegangenen Monats entstanden waren. Beim nächsten
Kassatag, dem 6. September, hätte ich einen schönen
Börsenprofit einstreichen können.
Nach dem Ribbentrop-Molotow-Abkommen vom 24. August
1939 war ich überzeugt davon, daß der Krieg kommen mußte.
Der 6. September war nur mehr 14 Tage entfernt, aber diese
Frist erschien mir wie eine Ewigkeit. Ich verlor aber nicht die
Nerven, sondern überlegte, wie ich meine Angelegenheiten in
Ordnung bringen sollte. Kam der Krieg, so mußte es zu einem
Zusammenbruch an der Börse kommen. Doch würde man die
Börse vorher schließen. Banken und Bankiers würde die
Regierung Moratorien gewähren. Ich würde also nicht nur meine
Terminengagements nicht auflösen können, sondern auch meine
Bankdepots würden eingefroren, die zur Sicherstellung meiner
Börsenoperationen dienten. Mein Entschluß war schnell gefasst.
Ich mußte zumindest meine Depots retten. Um sie abheben zu
können, mußte ich aber meine Baisse-Engagements lösen. Dies
war gar nicht nach meinem Geschmack, denn ich war überzeugt,
die Kurse würden weiter fallen. Aber derlei Überlegungen
waren inzwischen unwichtig geworden. Mir war es jetzt kein
Anliegen mehr, weitere Profite einzustreichen. Ich war
überzeugt, daß die Börsen und Banken geschlossen würden.
Also rette sich, wer kann! Nachdem ich meine Baisse-
Engagements glatt gestellt hatte, überwies ich meine Depots
nach Amerika. Mein Vater pflegte zu sagen: »Es gibt Menschen,
die gescheit reden und dumm handeln, und solche, die dumm
reden und gescheit handeln.« Ich gehörte damals zu den
Letzteren. Es kam nämlich alles völlig anders, als ich es erwartet
hatte.
Ich hatte mich total geirrt und trotzdem Glück gehabt. Der
Krieg brach aus, die Börse wurde überhaupt nicht geschlossen,
sogar der Terminhandel ging weiter, es gab keine Moratorien,
nicht einmal Devisenkontrollen wurden eingeführt. Am 6.
September hob ich meine letzten Baisse-Profite ab und konnte
sie nach Amerika überweisen. Das war mein Glück, denn was
geschah? Die Tendenz drehte sich. Alle diejenigen, die gekauft
hatten, und ich, der mein Baisse-Engagement gedeckt hatte,
hatten fantastisches Glück. Die Kurse stiegen sechs Monate am
Stück. Erst nach dem totalen Zusammenbruch der französischen
Armee kam die Baisse. Geirrt hatten sich auch diejenigen, die
dachten, der Kriegsausbruch bedeute das Ende der Welt, und es
sei dann gleichgültig, ob man Geld habe oder nicht. Denn
gerade in den folgenden Monaten und Jahren konnten viele
Menschen ihr Leben retten, wenn sie Geld hatten, und viele sind
zugrunde gegangen, weil sie keines besaßen.
Glück hatte zunächst auch mein Freund Pecry. Obwohl er mit
seiner Prophezeiung, es komme nicht zum Krieg, völlig falsch
gelegen hatte, gehörte auch er mit seinem Hausse-Engagement
zu den Gewinnern. Fast täglich kam er mit der Nachricht zu mir,
daß in dem Moment, wo Hitler die Ostfront erledigt hätte (es
handelte sich um den Blitzkrieg in Polen), Laval in Frankreich
die Regierung übernehmen werde und so weiter und so weiter.
Also nur Geduld, man müsse weiter kaufen, denn der Friede
stehe vor der Tür. Wie wir wissen, irrte er sich erneut. Nachdem
Polen am Boden lag, kam der Blitzkrieg gegen den Westen,
Holland wurde besetzt, Belgien streckte die Waffen. Es kamen
aufregende Tage. Ich sah meinen Freund einige Wochen nicht.
Doch eines Tages kam er atemlos im Laufschritt zu mir, direkt
in die Börse. Er zog mich beiseite, damit uns niemand hören
konnte, und flüsterte mir mit einem zufriedenen Lächeln zu:
»Jetzt helfen Sie mir, lieber Freund, sagen Sie mir, was ich
schnell kaufen soll, da ich von einer stürmischen Hausse
profitieren möchte.«
Ich war ganz aufgeregt. »Ist Hitler vielleicht tot?«, fragte ich.
»Aber nein, im Gegenteil, die Nazis stehen dreißig Kilometer
vor Paris, in zwei Tagen sind sie hier, der Krieg ist praktisch zu
Ende, die Kurse werden in die Höhe schnellen. Was muß man
kaufen?«
Was konnte ich darauf antworten? Für mich war eine Welt zu
Ende. Die Börsenangestellten liefen herum, als wäre alles in
bester Ordnung; aber ich wusste, daß übermorgen die Nazis und
die Gestapo in Paris sein würden. Mir war, als hätte man mir mit
einem schweren Hammer auf den Kopf geschlagen; alles begann
sich zu drehen.
Mein Freund bedrängte mich weiter, welche Papiere er kaufen
solle. Ja, für ihn war alles in bester Ordnung. Hitler war da, mit
all dem, was das bedeutete. Nur Pecrys Vorstellungen waren
andere als die meinen. Selbst wenn ich ihm hätte antworten
wollen, ich hätte es nicht gekonnt. Ich spürte einen eisigen
Krampf im Herzen und lief schnell aus der Börse, sprang in ein
Taxi und fuhr nach Hause. Ich sah mich in meiner Wohnung
um, streichelte zum Abschied die mir besonders lieben
Gegenstände, die ich zurücklassen mußte. Ich dachte, ich würde
Paris nie wiedersehen, die Menschen, die ich lieb gewonnen
hatte, meine Freunde, meine Kollegen, die vertrauten Straßen
und Boulevards und vieles andere, was mir in meinem Leben
etwas bedeutete.
Während dieser Zeit suchte mein Freund mich noch immer an
der Börse, damit ich ihm die Papiere auswählte, mit denen er
von Hitlers Sieg profitieren wollte. Ich weiß nicht, welche
Aktien er schließlich ausgewählt hat, ich weiß nur, daß sein
Irrtum, gemessen an meinem, monumental war. Er hat Recht
bekommen, Laval ist tatsächlich Ministerpräsident des von den
Nazis besetzten Frankreich geworden. Aber dann stiegen die
Kurse nicht mehr. Im Gegenteil. Diesmal wurde die Börse
tatsächlich geschlossen, die Papiere blieben lange Zeit
unverkäuflich, und später, als sich wieder ein ganz kleiner Markt
entwickelte, waren die Francs, die man für die Papiere erhielt,
wertlos.
Pecrys Hauptirrtum aber bestand darin, daß er sein Schicksal
an das der Nazis gebunden hatte. Nach dem Krieg, als ich
wieder in Paris war, erkundigte ich mich nach ihm und erfuhr,
daß er wegen seiner Nazi-Kollaboration zu einer zehnjährigen
Kerkerstrafe verurteilt worden war. Mein Vater hat Recht
gehabt: Es gibt Menschen, die gescheit reden und dumm
handeln -
Ich habe diese Geschichte in derselben Weise einmal in
Frankreich niedergeschrieben, sie wurde mir jedoch vom
Verleger gestrichen.
Genauso wie 1939 geschah es auch beim Ausbruch des
Golfkrieges und viele Male davor. 1939 hatte ich nur Glück,
1991 wusste ich aus Erfahrung um das Phänomen des Fait
accompli. In der Erwartung eines Krieges verkaufen die
Börsianer, weil sie davon ausgehen, daß die Kurse fallen, wenn
der Krieg ausbricht. Alle Marktteilnehmer wollen aber nun so
klug sein und schon vorher verkaufen, und so fällt die Börse im
Vorfeld schon zusammen. Bricht der Krieg dann tatsächlich aus,
haben bereits alle ihre Papiere verkauft und es kommt kein
Material mehr an die Börse. Die Papiere liegen in den starken
Händen und die wollen nicht verkaufen, weil sie mit einem
positiven Kriegsausgang rechnen. Und so gibt es plötzlich nur
noch Käufer und kaum noch welche, die verkaufen wollen. Die
Hausse ist da und verstärkt sich durch ihre Anziehungskraft auf
das Publikum von selbst. Kommt der Krieg indes überraschend,
wie der Einmarsch des Irak nach Kuwait, kann die Wirkung
verheerend sein. Womöglich gerät die Börse in Panik.
Ein interessantes Beispiel für die typische Reaktion des
breiten Publikums auf das Eintreffen eines unerwarteten
Ereignisses lieferte einst die Börse in Buenos Aires. Nach der
Rückkehr von Juan Domingo Perón nach Argentinien fielen die
Kurse ununterbrochen und landeten auf einer außerordentlich
tiefen Ebene. An der Spitze der Regierung stand nach dessen
Tod bereits Peróns Witwe, die schöne Isabel, eine Ex-
Nachtclubtänzerin. Die Börsensituation erschien völlig
hoffnungslos, es fiel auch niemandem ein, irgendwelche
argentinischen Papiere zu kaufen. Wo waren die Aktien also?
Sie befanden sich in den hartgesottenen Händen, wahrscheinlich
in Tresorschränken eingeschlossen, in Erwartung auf eine
bessere Zukunft, wenn diese auch vorläufig nicht absehbar war.
Und dann kam die große Überraschung: der Militärputsch und
die Verhaftung der schönen Isabel Perón. Am nächsten Tag
konnte man die Börse von Buenos Aires unter den riesigen
Massen von Kaufaufträgen nicht öffnen. Als man die Börse
endlich 30 Tage später eröffnen konnte, stiegen die Papiere auf
das Hundert-, später gar auf das Zweihundertfache. Diese
Geschichte zeigt, was an der Börse alles passieren kann, wenn
sie in diesem Maße ausverkauft ist und dann plötzlich eine
außerordentlich positive Nachricht kommt.
Fast alle Ereignisse, die das Publikum erwartet Å’ sogar der
Beginn eines Krieges, wie wir gesehen haben Å’, sind im
Moment ihres Eintreffens bereits Vergangenheit und für die
Börse ohne Bedeutung. Doch es gibt eine Nachrichtengattung,
die auch in der Zukunft ihre Auswirkung hat. Alle den Faktor
Geld beeinflussenden Ereignisse sind ein unumgängliches
Faktum, unabhängig davon, ob sie erwartet wurden oder nicht.
Natürlich kann es auch nach einer Zinserhöhung durch die
Notenbank zu einer typischen Reaktion im Sinne des Fait
accompli kommen. Es passiert sogar sehr oft. Wurde eine
Zinserhöhung aufgrund der Wirtschaftsdaten allgemein erwartet,
wird die Börse nach erfolgtem Zinsschritt zunächst steigen, vor
allem dann, wenn das Publikum davon ausgeht, daß zunächst
kein weiterer Zinsschritt ansteht. Doch die Zinsanhebung wirkt
sich zukünftig auf das Geldmengenwachstum, also auf den so
wichtigen Faktor Geld aus. Viele Börsenspieler lassen sich mit
der Bemerkung täuschen, die Zinserhöhung sei schon in den
Kursen eskomptiert. Das stimmt aber überhaupt nicht. Ein hoher
Zinssatz und die folgende Geldknappheit sind ein hartes
Faktum, unabhängig davon, ob die Börse darauf zunächst
positiv oder negativ reagiert.
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