-->hola Euklid,
gefunden - speziell für dich
buenas noches
y adios
Dieter Koenig [img][/img]
Einsteigen, bitte!
Jeder schafft sich sein eigenes Technik-Denkmal:
Mindestens fünf Millionen Deutsche sind
Modelleisenbahn-Fans. Tendenz steigend
von Annekatrin Looß
Nur wer mit Christoph Kranich ins Bett geht, bekommt die Chance, seine Modelleisenbahn zu sehen. Es geht nicht anders. Die Bahn fährt in seinem Schlafzimmer - in 2,50 Meter Höhe.
Die Steuerung befindet sich am Fußende seines Hochbettes. 100 Meter Gleise hat der 50-jährige Hamburger rund ums Bett verlegt, und manchmal wundert er sich selbst, wie diese Leidenschaft Besitz von ihm ergreifen konnte. Als er mit 15 seine erste Modelleisenbahn endgültig auf dem Dachboden verstaute, habe er zwar gewusst, dass"das irgendwann noch einmal wiederkommt". Aber er dachte eher an eine Modellbahn im Keller, wenn er Rentner ist."Nicht an so was".
Gleise überall. Sie führen in Tunnel, über Brücken, hinterm Kopfkissen vorbei, ums Bett herum. Schuld ist ein Freund."Der bot mir günstig meinen Lieblingszug, den Trans-Europa-Express, als Modell an. Den musste ich haben."
Doch auf dem kleinen Gleisoval auf dem Tisch erinnerte dieses Schmuckstück Kranich an einen eingesperrten Tiger im Zoo. Also hängte er sich eine zwei Quadratmeter große Platte neben das Hochbett. Fünf Jahre wuchs sie, nun ist kein Platz mehr. Acht Quadratmeter Männertraum.
Für Kranich sind die Züge entscheidend, die Landschaft ist Nebensache. Gedanken hat er sich dennoch gemacht. Seine Platte ist aufgeteilt in"Gott und Welt", hier eine Kirche und ein Bahnhof, und die Abteilung"Atom und Alien", dort ein Atomkraftwerk, drei Saurier und mehrere außerirdische Wesen. Passend dazu zieht eine seiner 25 Loks zwei Castor-Behälter und einen Wagen mit Demonstranten."Wenn man die Welt schon nicht ändern kann, kann man am Modell wenigstens drüber lachen", sagt Kranich, der tagsüber bei der Verbraucherzentrale arbeitet. Jeden Morgen setzt er sich mit einem Kaffee ins Bett und betreibt eine Viertelstunde"meditatives Modellbahnfahren". Sanftes Erwachen. Die Lok läuft im Gleis, die Welt ist rund.
Mindestens fünf Millionen Deutsche sollen diese Leidenschaft, die bei den meisten wohl mit einem harmlosen Weihnachtsgeschenk begann, mit Kranich teilen. Das leitet Roland Gaugele, Sprecher der Firma Märklin, aus den Umsatzzahlen ab. Gezählt hat die Eisenbahnfreaks noch niemand. Im vergangenen Jahr verkaufte Märklin als weltweit größter Modelleisenbahnhersteller 140 000 Starter-Sets. Das sind 40 000 mehr als im Jahr davor. Die Umsätze auf dem Spielzeugmarkt stagnierten, aber Märklin verzeichnete 2002 ein Plus von vier Prozent. 170,5 Millionen Euro Umsatz. Eine Erklärung für die ungebrochene Faszination der kleinen Eisenbahn hat Gaugele aber nicht.
Vielleicht ist es die Technik, die im Kleinen genau so funktioniere wie im Großen, vermutet der Wuppertaler Psychologe Heinz-Dieter Schmalt, selbst erklärter Modelleisenbahnfan. Mit so einer Eisenbahn erschaffe sich jeder selbst sein kleines Technikdenkmal. Auf jeden Fall aber spreche die Eisenbahn Fantasien und Sehnsüchte an. Ort und Leben wechseln, im Orient-Express durch ferne Länder fahren - davon träumen Kinder und Erwachsene.
Deswegen schafft die Modellbahn auch, was sonst nur der Fernseher hinkriegt: die ganze Familie zu versammeln. Dazu kommt der kreative Faktor, das dreidimensionale Gestalten. Jeder kann sich auf der Pressholzplatte seine eigene kleine Welt erschaffen, so der Psychologe, eine Welt, in der noch alles in Ordnung ist
Das mag für die Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen gelten, die sich noch bis zum 15. Februar dem Mythos Modelleisenbahn widmet. Für das"Miniatur-Wunderland", die weltgrößte digitale Modelleisenbahn in der Hamburger Speicherstadt, gilt es nicht. Hier brennt das Schloss, trifft sich die Mafia, hat ein Pärchen Sex im Kornfeld. Und das alles wegen der Frauen. 3000 Leute haben die Organisatoren vorab per Internet befragt, ob sie eine solche Ausstellung besuchen würden. Das Ergebnis: Die Männer waren begeistert, von den Frauen wäre kaum eine gekommen.
Den Psychologen Schmalt wundert das Ergebnis nicht:"Schon Mädchen rekonstruieren mit Hilfe von Puppen die häuslichen Realitäten, während Jungen in die äußere Umwelt eingreifen und sie verändern wollen - mit Hilfe von Baukästen, Autos und eben Modelleisenbahnen." Dennoch wollten die Initiatoren des Wunderlandes auch Frauen in die Speicherstadt locken. Nur womit? Friseur? Nagelstudio? Landschaft! Und so reizen mehr als 500 Züge, die mit 7000 Waggons über insgesamt acht Kilometer Gleis fahren, und eine detailverliebt gestaltete Fantasielandschaft.
Ob Amerika mit Rocky Mountains und Las Vegas im Maßstab 1:87 oder Hamburg mit Wochenmarkt und Michel - überall ist etwas los.
Insgesamt beleben rund 60 000 Figuren das Geschehen, rund 10 000 Mini-Autos fahren über die Mini-Straßen, wer zu schnell ist, wird geblitzt. Wer nicht auf die Vorfahrt achtet, baut einen Unfall. Zahllose kleine Geschichten werden hier erzählt. Und wenn die Feuerwehr ausrückt, um Brände zu löschen oder Katzen zu retten, drängeln sie sich an den Balustraden - Männer wie Frauen. Der millionste Gast wird noch in diesem Monat erwartet.
Alle 15 Minuten wird es im Wunderland Nacht, und die Mikrowelt verwandelt sich in ein atemberaubendes Lichtermeer. Wenn nach zwei Minuten die Sonne wieder aufgeht, ist der Schlossbrand gelöscht, die Katze vom Baum. Dafür qualmt drei Meter weiter in Amerika der Busch. Im Miniatur-Wunderland ist die Welt übersichtlich, nicht in Ordnung. Aber ab und an kommt ein Zug vorbei.
<ul> ~ hier gestern gefunden</ul>
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