-->Feuilleton
Helmut Höge
Wirtschaft als das Leben selbst
Zur neuesten Perfektionierung des Schweinesystems
Das Finanzministerium hat »die Schwarzarbeit umfassend neu definiert«. Gleichzeitig werden sich 7000 Zollbeamte »der Fahndung nach Schwarzarbeitern« widmen, dazu gehören 2800 Arbeitsamtsmitarbeiter, die zum Zoll überwechseln. Sie sollen zusammen dem Staat eine Milliarde »Mehreinnahmen« herbeispitzeln. Selbst wenn ich meiner Freundin beim Tapezieren helfe - und sie mir dafür geldwerte Gegenleistungen (wie Ficken, ein Wochenende an der Meuse oder einen Swingerclubbesuch) schuldet -, sind wir dran! D. h., dann wird Bußgeld bis zu 1500 Euro fällig. Zwar sei »Nachbarschaftshilfe auch weiterhin zulässig«, aber dafür sind fürderhin nur »kleine Aufmerksamkeiten« - wie ein bißchen Knutschen oder z. B. »Süßigkeiten« erlaubt. Ansonsten müssen die Haushalte jetzt auch von »Privatleuten« Rechnungen verlangen.
Diese neueste Sauerei des Staates - »des kältesten aller kalten Ungeheuer!« (Nietzsche) - fällt in eine Zeit, da immer mehr Städter auf geldloser Tauschbasis tätig werden, indem sie etwa einen Haarschnitt gegen eine Autoreparatur aufrechnen. Und immer mehr Dörfler sich sogar diesseits der Tauschgesellschaft organisieren: Wahre Hochburgen dafür sind in Deutschland der Vogelsberg und die Prignitz. Hier basiert der regionale Zusammenhalt immer mehr auf »gegenseitiger Hilfe«: Zimmerleute, Maurer, Maler etc. helfen unentgeltlich beim Hausbau und -umbau, sie bekommen dafür nur einen Kasten Bier und Schnaps und gegebenenfalls was zu essen. Dem, dem so geholfen wurde, erwächst daraus nicht etwa die Pflicht, ihnen bei nächster Gelegenheit zu helfen, er wird dadurch statt dessen in eine »Szene« eingebunden, die mehr und mehr Zeit aufwendet, bei anderen gänzlich unentgeltlich tätig zu werden: Diesem kopiert er ein Computerprogramm, jenem hilft er beim Anschluß eines Zusatzgerätes, und den Nachbarn fährt er mit seinem Auto zum Zahnarzt, dafür überredet der seinen Schwager zwei Dörfer weiter, ihm eine alte Hobelbank zu überlassen. Dabei wächst zusammen, was zusammengehört: eine ganze Region von primär prekär Beschäftigten.
<font color=#FF0000>Daß diese Entwicklung für den Staat bedrohlich ist, liegt auf der Hand, denn er braucht atomisierte Bürger, die sich nur zum Zwecke des Warentauschs begegnen. Aber daß dieser neueste Vorstoß zur Asozialisierung der Bevölkerung gerade zu einer Zeit kommt, da der Staat sich aller sozialer Aufgaben entledigt, ist eine echte Sauerei - und würde in einem wahren Gemeinwesen sofort dazu führen, alle Finanzämter und ähnliche Ritterburgen in die Luft zu sprengen.</font> Aber die Deutschen sind größtenteils völlig unbewaffnet, geschweige denn, daß sie nennenswerte Vorräte an Sprengstoff zu Hause horten, und wenn, dann verwenden sie ihn höchstens gegen noch wehrlosere Randgruppen, Asylanten und deren Unterkünfte. Dennoch besteht Hoffnung, denn mit jeder rechtsstaatlichen Dreistigkeit und fiskalisch-polizeilichen Frechheit wächst auch der Unmut der Betroffenen, den es allerdings zu organisieren gilt. Aber auch dabei gibt es bereits jede Menge Versuche, initiativ zu werden. In der Prignitzstadt Pritzwalk gab es sogar ganze ABM-Veranstaltungen zur Einübung in Solidarität, wo anarchistisch gesinnte Kommunisten arbeitslose Melker animierten, sich reihum z. B. beim Bepflanzen des Vorgartens, beim Holzhacken oder bei der Heuernte zu helfen. Der Arbeitsamtsleiter, ein ehemaliger NVAler, stoppte dieses Programm dann allerdings, wegen unstatthafter Abweichung vom vorgeschriebenen Curriculum. Danach wurden den Melkern Computerspiele beigebracht sowie das Know-how für Bewerbungen und fürs Ausfüllen von Rentenformularen. Außerdem mußten sie eine Klassensprecherin wählen, die fortan vor Unterrichtsbeginn Alkoholtests durchführte - das Equipment dafür stellte die Ortspolizei zur Verfügung - kostenlos!
http://www.jungewelt.de/2004/01-06/021.php
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winkääää
stocksorcerer
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