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24.01.2004
Thema
Horst Hoffmann
Visionen - Illusionen - Halluzinationen
Bushs gescheiterter Versuch, den »Kennedy-Effekt« zu kopieren
In seiner jüngsten Rede zur Weltraumforschung gebärdete sich George W. Bush als Visionär. Er verkündete die Rückkehr zum Mond und den Aufbruch zum Mars als nationale Sendung. Nach seinem Verständnis muß die Raumfahrt der Vormachtstellung der USA auf Erden dienen. Das weckte bei mir Erinnerungen an Reisen durch die Vereinigten Staaten von Amerika, die mich auch an die New Yorker Börse, in das Washingtoner Hauptquartier der NASA, zum Kennedy Space Center auf Cape Canaveral in Florida und in das Herstellerwerk des Spaceshuttles, Rockwell International, am Rande der kalifornischen Mojawe-Wüste geführt hatten. In Bel Air, dem von einer hohen Mauer umgebenen Milliardärsghetto von Los Angeles, in dem Ronald Reagan dahindämmert, versuchten mir Topmanager der Aerospace Industry und Mitglieder des »California-Clans« die Ursachen des amerikanischen Neokonservatismus klarzumachen.
Moonward-ho und Shuttle go
Die schwersten politischen und moralischen Krisen in der mehr als zweihundertjährigen Geschichte des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten hätten die USA seit dem Zweiten Weltkrieg heimgesucht. Sie seien meist von tiefgreifenden politisch-militärischen und wissenschaftlich-technischen Niederlagen ausgegangen, die von den Amerikanern als Schande empfunden wurden: das Pearl-Harbour-Trauma, der Sputnik-Schock, das Schweinebucht-Fiasko, das Vietnam-Syndrom, der Watergate-Skandal, der Dollarverfall, das Schuldendesaster und neuerdings das Irak-Dilemma. Jeder Präsident der USA versuchte auf seine Weise, darauf eine Antwort zu finden, die jeweils auch ihre spezielle kosmische Variante hatte.
Der Fünfsternegeneral Dwight D. Eisenhower (1953-1961) begnügte sich damit, als Reaktion auf den ersten sowjetischen Sputnik, 1958 die Weltraumbehörde NASA zu gründen. Damit wollte er den Konkurrenzkampf der Teilstreitkräfte beenden und die Raumfahrtaktivitäten bündeln. In seiner Abschiedsrede warnte er vor dem »militärisch-industriellen Komplex«.
John F. Kennedy (1961-1963), der nach seinem tragischen Tod zur Legende wurde, gelang im Mai 1961 nach dem Flug Juri Gagarins der große Wurf. Mit seiner visionären Losung »moonward-ho« (auf zum Mond) läutete er das Apollo-Programm ein. Die Zielsetzung war konkret: noch in diesem Jahrzehnt einen Amerikaner zum Mond und zur Erde zurück. Lyndon B. Johnson (1963-1969), Repräsentant der texanischen Erdölbarone, setzte diese Politik fort und sorgte dafür, daß das Manned Spacecraft Center (Zentrum für bemannte Raumfahrzeuge) einschließlich des Trainingszentrums für Astronauten und des Kontrollzentrums für bemannte Unternehmen in Houston angesiedelt wurde.
Richard M. Nixon (1969-1974), der über Watergate stolperte, versuchte 1972 sein Glück mit der Entscheidung »shuttle go!« (Raumfähre los). Damit kam er den Forderungen des Pentagons nach einem Raumkreuzer nach, doch ein orbitales Anflugsziel für die Fähre gab es nicht.
Gerald R. Ford (1974-1977), der 1975 die KSZE-Schlußakte von Helsinki unterzeichnete, konnte im selben Jahr das erste sowjetisch-amerikanische Gemeinschaftsunternehmen der bemannten Raumfahrt - Sojus-Apollo - als seinen Erfolg verbuchen.
James E. Carter (1977-1981) präsidierte zu einer Zeit, da die Erprobungsflüge des nicht im Weltraum einsetzbaren Prototyps des Orbiters »Enterprise« (Unternehmungsgeist) bei Gleitflügen erfolgte. In seiner Amtszeit gab es jedoch keine einzige bemannte Mission.
Ronald W. Reagan (1981-1989), dessen erklärtes Ziel es war, die Sowjetunion totzurüsten, setzte 1983 das als Strategische Verteidigungsinitiative - SDI - getarnte, jedoch auf ungestraften Erstschlag orientierte Star Wars Program in Gang. Zur außenpolitischen Verbrämung dieses Etikettenschwindels folgte im Jahr darauf das Konzept der Raumstation »Freedom« (Freiheit) mit internationaler Beteiligung. 1986 nahm der »große Kommunikator« die »Challenger«-Katastrophe zum Anlaß für einen Appell zur Fortsetzung des nationalen Raumfahrtprogramms.
George H. W. Bush (1989-1993), ehemaliger Chef der CIA, proklamierte 1989 für die Zukunft eine Mondbasis und den bemannten Marsflug. Doch statt dessen setzte er das Sternenkriegsprogramm unter anderem Namen fort und führte den ersten Irak-Krieg.
William J. Clinton (1991-1999), dem die Lewinsky-Affäre schwer zu schaffen machte, befürwortete die Kooperation im Kosmos, insbesondere die Langzeitflüge amerikanischer Astronauten auf der russischen Orbitalstation Mir und den Aufbau der internationalen Raumstation ISS, der 1998 begann. Gleichzeitig jedoch setzte auch er das SDI-Programm fort, allerdings unter der neuen Tarnbezeichnung NMD (National Missile Defense - Nationale Raketenverteidigung), und auf kleinerer Flamme.
Nun versuchte auch der 43. Präsident der USA, George W. Bush, der Nation und der Welt seine Version einer Vision aufzutischen. Doch was in der Rede von »Double-u« zu hören war, erinnert an die Volksweisheit: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Was er zu bieten hat, geht nicht über das hinaus, was sein Vater schon vor anderthalb Jahrzehnten verkündete.
Perfektes Timing
Wie stets bei solchen Auftritten hatten die Redenschreiber, Rhetorikberater und Public Relations Manager des Weißen Hauses alles bis ins Detail vorbereitet. Das begann schon mit dem perfekten Timing. Ursprünglich war die Ansprache schon im Dezember anläßlich des 100. Jahrestages des ersten Motorfluges der Gebrüder Wright erwartet worden. Doch dann wurde der 15. Januar gewählt. <font color=#FF0000>Wie auf Bestellung</font> rollte einen Tag darauf der erfolgreiche amerikanische Mars-Rover »Spirit« (Geist) von seiner Rampe auf den Boden des Roten Planeten.
Neun Monate sind es noch bis zu den Präsidentschaftswahlen. Die Chancen für den Amtsinhaber sind im Schwinden. Mit dem Gefangenen Saddam Hussein ist kein großer Staat mehr zu machen, und im Irak sterben weiter täglich G.I.s (Abkürzung von Government Issue, Regierungsausgabe, als Kennzeichnung für Uniformen und Militärzubehör). In nur drei Jahren schaffte es Bush, die USA von stattlichen Haushaltsüberschüssen zu einem Rekorddefizit abzuwirtschaften, das allein im vergangenen Jahr 455 Milliarden Dollar betrug. Sein ehemaliger Finanzminister Paul O’Neill entlarvte ihn als Betrüger. Das Ziel der Regierung sei es schon bei Amtsantritt gewesen, Saddam Hussein zu stürzen; der 11. September hätte nur den Vorwand geliefert.
Schließlich galt es noch, der weltweiten Wirkung des Erfolgs der Volksrepublik China mit ihrem ersten Taikonauten und einem langfristigen Raumfahrtprogramm etwas entgegenzusetzen. Bushs Rede an die Fernsehnation wurde zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Im NASA-Hauptquartier hatte sich ein illustrer Kreis aus Politik und Wirtschaft und Wissenschaft versammelt. Die Eröffnung nahm der Astronaut Michael Foale via Kosmovision aus der internationalen Raumstation vor. Den Apollo-Veteranen Eugen Cernan, der 1972 als letzter auf dem Mond war, mißbrauchte der Präsident als Befürworter. Nach wortreichen Erinnerungen an die amerikanischen Traditionen des »go west« (auf nach Westen) und der new frontiers« (neue Grenzen) erklärte Bush: »Heute kündige ich einen neuen Plan an, um die Weltraumforschung und die menschliche Präsenz in unserem Sonnensystem voranzubringen... Unser erstes Ziel ist es, die internationale Raumstation bis zum Jahr 2010 fertigzustellen... Zu diesem Zeitpunkt wird der Spaceshuttle nach fast 30 Jahren Dienst ausgemustert.«
Diese Aussage soll einerseits eine Beruhigungspille für die 15 Mitgliedstaaten des ISS-Programms sein, die seit längerem nicht ohne Anlaß einen vollständigen Ausstieg der USA befürchteten. Andererseits bedeutet sie, daß sich der Aufbau der Station insgesamt um fünf Jahre verzögert. Die ersten 1998 gestarteten Module kreisen dann bereits zwölf Jahre und sind technologisch überaltert. Bush fuhr fort: »Unser zweites Ziel ist ein neues Raumfahrzeug, das Crew Exploration Vehicle, bis 2008 zu entwickeln und zu testen. Es wird Astronauten und Wissenschaftler zur Raumstation bringen können, nachdem der Spaceshuttle ausgemustert ist. Aber der Hauptzweck ist, Astronauten über die Umlaufbahn hinaus zu anderen Welten zu bringen...«
Daraus ergibt sich folgendes Dilemma: Wenn der Shuttle 2010 ausgemustert wird, sein Nachfolger aber erst 2014 einsetzbar ist, entsteht für den Transport der ISS-Besatzungen eine Pause von vier Jahren. Da bleiben einzig die russischen Sojus- und Progress-Raumschiffe, die schon seit der »Columbia«-Katastrophe allein den Betrieb der Station aufrechterhalten. Diese Rechnung ist also ohne den Wirt gemacht.
Der »Kennedy-Effekt«
»Unser drittes Ziel«, so Bush weiter, »ist, bis 2020 zum Mond als Startplatz für Missionen darüber hinaus zurückzukehren. Nicht später als 2008 werden wir beginnen, eine Reihe von Sonden zur Mondoberfläche zu senden... ab 2015 ausführliche bemannte Unternehmen zum Mond mit dem Ziel, dort für wachsende Zeiträume zu leben... Mit den auf dem Erdmond gewonnenen Erfahrungen und dem Wissen sind wir dann bereit, die nächsten Schritte in der Raumfahrtforschung zu unternehmen: bemannte Missionen zum Mars und weiteren Welten.«
Diese Passage macht deutlich, daß Bush allzugern den »Kennedy-Effekt« wiederholen würde, die nationale und internationale Wirkung der Ankündigung des Mondfluges. Doch der Versuch, mit Raumreisen auf Stimmenfang zu gehen, schlug fehl, gibt es doch weder eine zeitliche Festlegung für den Marsflug noch eine finanzielle Absicherung.
Von dem gegenwärtigen Fünfjahresetat der NASA in Höhe von 86 Milliarden Dollar sollen elf Milliarden für die neuen Herausforderungen umgeschichtet und eine Milliarde verteilt auf die nächsten fünf Jahre zusätzlich vom Kongreß gebilligt werden. Das bedeutet jährlich 200 Millionen mehr - halb soviel wie ein einziger Shuttle-Start kostet. Demgegenüber beträgt der Raumfahrtetat des Pentagon jährlich 20 Milliarden und soll bis 2008 auf 28 Milliarden Dollar ansteigen - ein jährlicher Zuwachs von sieben Milliarden.
Nach einer Umfrage des US-Wochenmagazins Time sind 61 Prozent der befragten Amerikaner gegen Bushs Raumfahrtpläne. Selbst 48 Prozent der angesprochenen Republikaner wollen weder zum Mond noch zum Mars. 40 Prozent aller Interviewten würden das Geld lieber in den Bildungsbereich fließen sehen. Marco Caceras, führender Analyst für Weltraumforschung der Teal-Gruppe in Arlington, Virginia, stuft Bushs Vorschlag als »hohl« ein. »Es ist kein ernstzunehmender Vorschlag. Bush will als derjenige gelten, der die Idee hatte - die Sorgen sollen sich andere machen.«
Der in München lebende Raumfahrtexperte Professor Harry Ruppe, einst Abteilungsleiter der NASA, Mitarbeiter Wernher von Brauns und Autor des Standardwerkes »Die grenzenlose Dimension - Raumfahrt«, der selbst Pläne für Mondbasen und Marsflüge entwarf, hält Bushs Vorschlag, von unserem Trabanten aus Raumschiffe tiefer ins All zu senden, für »Quatsch mit Soße«. »Ein Raketenbahnhof mitten in der Antarktis wäre praktischer.« Bushs Argument, auf dem Mond vielleicht Raketentreibstoff und Atemluft produzieren zu können, sei schlicht »unsinnig«. »Mindestens für die nächsten 50 Jahre wäre es deutlich billiger, alles Lebensnotwendige von der Erde hinaufzubringen.«
Also Illusionen, wenn nicht Halluzinationen, statt Visionen. Die Russen reagierten gelassen. Der Alt-Kosmonaut und Raumschiffkonstruktur Professor Konstantin Feoktistow beklagte, daß die bemannte Raumfahrt bisher nur »gewaltige Ausgaben« produziert hat. Es sei immer noch nicht gelungen, »ihr strategisches Ziel« zu formulieren. Der gesamte Nutzen der Raumfahrt stamme bisher von Automaten.
Auch das Ende der internationalen Raumstation wäre für Rußland keine Katastrophe. Der Sprecher des Moskauer Instituts für Kosmosforschung, Juri Saizew, meinte: »Im Grunde genommen ist die ISS nichts weiter als eine Wiederholung unseres mehr als 30jährigen eigenen Programms mit den Raumstationen Salut und Mir.« Der Vizegeneraldirektor der russischen Raumfahrtagentur Rosawiakosmos, Nikolai Moissejew, kündigte demonstrativ bis Jahresende ein eigenes Raumfahrtprogramm mit strategischen Zielen bis 2015 an. Warten wir’s ab!
Bush rief inzwischen eine 16köpfige »Moon-Mars-Commission« ins Leben, die seine Ideen umsetzen und den ersten Bericht darüber in vier Monaten vorlegen soll. Zum Vorsitzenden ernannte er Edward Cleveland »Pete« Aldridge (65), der alles mitbringt, was sich der Herr des Weißen Hauses wünscht. Der studierte Luftfahrtingenieur sitzt gegenwärtig im Aufsichtsrat des Rüstungsriesen Lockheed Martin Corporation. In den 80er Jahren trainierte er als Nutzlastspezialist für den Spaceshuttle, kam aber nach der »Challenger«-Katastrophe nicht zum Einsatz. Der Sternenkrieger Reagan machte Aldridge zum Minister für die Air Force im Pentagon, wo er 18 Jahre lang diente. Unter »Rambo-Rumsfeld« war er als Staatssekretär für Beschaffung, Technologie und Logistik zuständig. Also ein waschechter Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes und treuer »Bush-Krieger«.
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