-->Hallo Emerald!
Grundsätzlich sehe ich Deine Einschätzung zu Putin genauso wie Du.
Das dieser Meinung auch Kritik verabreicht wird, muß man ertragen.
Der Geheimdienst-Vorwurf an Putin ist berechtigt, doch im Gegensatz zu Bush-Senior war Putin im KGB ein kleines Licht.
Diesen Artikel habe ich auf NOWOSTI gefunden und ich finde ihn einigermaßen treffend.
2004-02-06 11:10
VIER JAHRE PRÄSIDENTSCHAFT PUTINS: ZIEHUNG EINER BILANZ
Von NODARI SIMONIJA, Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften MOSKAU, den 5. Februar (RIA „Nowosti").
Um die Errungenschaften von Präsident Wladimir Putin während seiner vierjährigen Amtszeit in gebührender Weise einschätzen zu können, muss man sich vor allem daran erinnen, welches Erbe Putin hinterlassen worden ist. Denn alle seine Vorgänger, mit Ausnahme von Jewgeni Primakow, der eine ziemlich kurze Zeit als Regierungschef agierte, leisteten Zerstörungsarbeit und sind zum Teil bisher stolz darauf. Es ist kaum zu bestreiten, dass das alte System äußerst schlecht funktionierte und eigentlich in eine Sackgasse führte. Darüber schrieb ich bereits 1975 und 1991 in meinen Büchern. Doch da liegt eine Frage nahe: Warum mussten neben dem System auch die Produktionskräfte zerstört werden? Das halbierte das russische Wirtschaftspotential und verdrängte 40 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze. Allerdings haben die Pseudoliberalen auch etwas geschaffen. Zum Hauptergebnis ihrer schöpferischen Arbeit wurde der bürokratische oder, wie er in Russland öfter genannt wird, oligarchischer Kapitalismus. Von allen in der Welt vorkommenden Arten des bürokratischen Kapitalismus war die russische Version die schlechteste. Sie war vielleicht nur mit dem indonesischen Sukarno-Regime gleichzusetzen. Die Korruption umfasste dabei alle Lebensbereiche und wurde zur Lebensweise. Der parasitäre Charakter des indonesischen Kapitalismus bestand darin, dasS die Oligarchen alle Ressourcen des Landes auspumpten, ohne neue Produktionen zu schaffen, und die erlösten Gelder in ausländische Offshores überwiesen. In Russland vertiefte sich die Spaltung zwischen einer kleinen Gruppe, die durch solche Geschäfte immer reicher wurde, und Riesenmengen „einfacher Menschen". Das Land steuerte sicher auf das sogenannte lateinamerikanische Entwicklungsmodell zu.
Eines der Hauptverdienste von Wladimir Putin besteht gerade darin, dass er das endgültige Abrutschen des Landes in diesen Abgrund rechtzeitig verhindert hat. Seit dem Beginn seiner Amtszeit versuchte der Präsident, sich mit den Oligarchen auf die Regeln ihrer Beziehungen mit dem Staat zu verständigen: Führt eure Geschäfte, lasst sie expandieren, zahlt redlich Steuern und versucht bitte nicht mehr, der Staatsführung zu diktieren, welche Vergünstigungen geschaffen und welche Gesetze noch verabschiedet werden müssen. Doch es war vergeblich, zu erwarten, dass die Oligarchen Verständnis zeigen würden. Wenn Wladimir Putin aber zu Taten überging und einen der Eigensinnigsten der Oligarchen bestrafte, heulten die russischen Liberalen mit ihren westlichen Kollegen im Chor auf, die Demokratie werde abgeschafft und das Land kehre wieder in die sowjetische Vergangenheit zurück. Als Wissenschaftler, der viele Jahre der Erforschung der Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung im Osten und Westen gewidmet hat, verstehe ich den Präsidenten gut, der auf einer Pressekonferenz im vergangenen Jahr auf eine Litanei über die Abschaffung der Demokratie geantwortet hat: Hat es die Demokratie überhaupt gegeben?
In der Tat: Wie kann man etwas abschaffen, was es nicht gegeben hat?
Nur Spießbürger, oberflächliche Forscher oder Politiker können annehmen, dass die Herrschaft der Oligarchie in der Wirtschaft mit Demokratie vereinbar ist.
Der Regierungsstil von Jelzin war autoritär. Sein Autoritarismus ist zwar schwach, mürbe und für die Gesellschaft zersetzend gewesen. Die unter Jelzin in allen Staatsstrukturen herrschende Anarchie konnte jedoch nur von einem unwissenden oder ideologisch engagierten Menschen für Demokratie gehalten werden. Innerhalb des Jahrzehnts unter Jelzin blieb der Mittelstand rachitisch und klein. Zusammen mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen litt er zwischen dem Bündnis von Beamten und Oligarchen, die von oben Druck ausübten, und den Mafiastrukturen, die unter ihm waren. Anders gesagt, fehlte die soziale Basis der Demokratie.
Ich glaube, viele von denjenigen im In- und Ausland, die an einem starken Russland nicht interessiert sind, verstehen meine Ausführungen ganz gut und benutzen einfach Doppelstandards. Sie haben doch über die Abschaffung der Demokratie in den USA kaum geklagt, als dort viele Leiter des größten Energiekonzerns Enron wegen ausgeklügelter Finanzmachenschaften zu Haftstrafen verurteilt wurden. Sie schwiegen auch, als in Italien ein gleicher Skandal um den Molkereikonzern Parmalat ausbrach. Warum soll dann die Festnahme des Yukos-Chefs das Ende der (noch nicht existierenden) Demokratie in Russland bedeuten? Kritiker deuten an, dabei gebe es eine gewisse politische Komponente, verzichten jedoch darauf, diese These näher zu erklären. Schade. Da gibt es wirklich einen politischen Aspekt, der darin besteht, dass die Gedanken und Taten von Chodorkowski darauf abzielten, jenes politische System zu beleben, bei dem die Oligarchen der Staatsführung diktieren würden, welche Gesetze verabschiedet werden sollen, damit es ihnen leichter fällt, diese Gesetze zu umgehen und „Steuern zu optimieren" (dieses respektabel klingende Wort haben sie erfunden, um den Versuch zu bezeichnen, der Steuerzahlung auszuweichen).
Die Bemühungen von Präsident Putin, den russischen räuberischen bürokratischen Kapitalismus auf ein zivilisiertes Gleis umzustellen, machen zweifelsohne sein wichtigstes Verdienst aus. Er war allerdings gezwungen, viele dringende Aufgaben persönlich zu lösen, obwohl sie eigentlich von der Regierung oder anderen Behörden gelöst werden mussten. Das ist aber darauf zurückzuführen, dass Wladimir Putin ohne Team von Gleichgesinnten an die Macht kam. Dieses Team bildete er „unterwegs". Gerade deswegen musste er sich sehr vorsichtig und langsam nach vorne bewegen, zumal die Menge von Aufgaben enorm groß war und bleibt. Eine der Hauptsorgen ist dabei die Wahrung und Festigung der erreichten Stabilität in der Gesellschaft.
Als ein historisches Verdienst von Putin würde ich zweifellos die Eindämmung der zentrifugalen Trends in Russland bezeichnen, die die Integrität des Staates gefährdeten. Die Unterspülung der Grundlagen der russischen Staatlichkeit ist gestoppt worden. Es wird skrupulös an der Verwaltungsreform gearbeitet. Neue Gesetze, die Missbräuche durch Beamte und deren Kunden minimieren sollen, wurden verabschiedet oder werden vorbereitet. Praktisch vorbei ist die schmähliche Epoche der Lohn- und Rentenrückstände, die einer der markantesten Charakterzüge der „demokratischen Periode" in Russland waren. Auf persönliche Anregung und mehrmalige Forderungen des Präsidenten billigte die Staatsduma trotz des verzweifelten Widerstands vieler Minister drei antibürokratische Gesetzentwürfe. Doch Beamten aller Ränge gelang es auch dieses Mal wieder, die Gesetze zu umgehen, und die Situation der kleinen und mittelständischen Unternehmen verbesserte sich kaum. Trotzdem bereitet der Präsident mit seinem Präsidialamt neue Gesetze vor, um die Lage zu verändern.
Auch die Bemühungen von Wladimir Putin, die Verteidigungsfähigkeit und Sicherheit des Landes zu stärken, müssen erwähnt werden. Die unter Jelzin deklarierte Umstellung der Militärbetriebe auf zivile Produktion lief praktisch auf die Zerstörung der Verteidigungsindustrie, die Ruinierung der Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur sowie den Verlust an hochqualifizierten Spezialisten hinaus. Nicht zu vergessen ist aber, dass etwa das Internet, das den Anfang der neuen postindustriellen Ära in der Menschengeschichte markierte, gerade im Rahmen der amerikanischen Kriegsindustrie entstand und anfangs dort verwendet wurde. Der Rest der russischen Verteidigungsindustrie blieb dank dem Export sowjetischer Waffen bestehen. Es kam sogar dazu, dass Russland nach China, Indien und in andere asiatische Länder Rüstungssysteme lieferte, die sich die russische Armee nicht leisten konnte. Das betrifft etwa Kampfflugzeuge vom Typ Su-27, Su-35 und so weiter. Nun begann sich die Lage zu ändern. 2003 erhielt die russische Luftwaffe moderne Düsenjäger, 2004 soll sie strategische Bombenflugzeuge Tu-160 bekommen. Auch die Raketentruppen werden aufgerüstet.
Die Bewertung der Leistungen des amtierenden Präsidenten Russlands wäre unvollständig, würden die Erfolge der Außenpolitik nicht erwähnt werden. In den letzten zwei Jahren habe ich mit eigenen Augen gesehen, welchen Respekt nun die Staatschefs der führenden Länder der Welt gegenüber dem russischen Präsidenten zeigen. Vorbei ist die herablassende und daher beleidigende Haltung zu Russland, mit der alle Vorgänger Putins zu tun hatten. Die russische Außenpolitik ist nicht mehr einseitig orientiert. Das gestörte Gleichgewicht in den Beziehungen Russlands mit dem Westen und dem Osten wird dank der Energie und Bemühungen von Präsident Putin langsam, aber sicher wiederhergestellt. Immer offensichtlicher wird die Fruchtlosigkeit der laufenden Diskussionen darüber, an wem sich Russland orientieren müsse: an den USA, der EU oder China? Der Präsident hat allen klar und deutlich zu verstehen gegeben: Von nun an wird Russland eine russischorientierte Außenpolitik betreiben.
Die Lebensverhältnisse der USA mit denen von Rußland zu vergleichen, wie das u.a. hier getan wurde, halte ich allerdings auch für ziemlich weithergeholt.
mfG
nereus
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