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6. Februar 2004, 02:12, Neue Zürcher Zeitung
Spiel mit Feindbildern
Eine prekäre Erbschaft der klerikalen Judenfeindschaft
Zwischen dem 13. und dem 18. Jahrhundert wurde in zahlreichen Kirchen eine sogenannte «Judensau» angebracht. Noch heute existieren solche judenfeindliche Skulpturen - bis 1997 auch am Basler Münster. Gegen den Widerstand lokaler Politiker verfügte der bayrische Finanzminister, dass im fränkischen Cadolzburg eine die Plastik erläuternde Hinweistafel anzubringen sei - und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf ein Bildwerk, dessen Bedeutung längst aus dem Bewusstsein geschwunden ist.
Man erfährt auch manches, was man nicht unbedingt wissen musste. So etwa, dass es im süddeutschen Raum noch etwa dreissig katholische und protestantische Kirchen gibt, an denen die «Judensau» gezeigt wird: ein spätmittelalterliches oder auch neuzeitliches Bildwerk, ein Mutterschwein darstellend, um das sich nicht Ferkel drängen, sondern jüdische Schriftkundige. In der «Süddeutschen Zeitung» hat Alexander Kissler das Phänomen vor kurzem unter dem halb optimistischen Titel «Vorläufiges Ende einer historischen Schweinerei» behandelt. Anlass dazu bot eine Verfügung des bayrischen Finanzministers, wonach im fränkischen Cadolzburg die Skulptur mit einem erläuternden Text zu versehen sei, offenbar nach dem Beispiel anderer Orte, an denen die Notwendigkeit eines distanzierenden Kommentars schon früher erkannt worden ist - aber gegen den Widerstand der lokalen Behörden.
«Historisches»
So weit, so gut; oder eben halb gut. Was aber sollte nun auf der Tafel stehen, zu der sich die Cadolzburger bequemen müssen? Etwas «Historisches» ohne Zweifel. Beginnend vielleicht bei Tacitus, der von den Juden gesagt hat, sie hielten für gottlos, was immer den Römern heilig, und für erlaubt, was den Römern ein Greuel sei? Womit indes nur belegt wäre, dass man auch ohne Christenglauben oder Rassenlehre etwas gegen die Juden - oder gegen die Franken oder sonst ein Volk - haben konnte. Beginnend also doch eher erst mit der christlichen Erfindung einer Kollektivschuld: «Die» Juden haben Jesus gemordet, zur Strafe sind sie überallhin verstreut worden, durch ihre marginalisierte Existenz bezeugen sie ihre Untat, und ihre prophetischen Texte können bestätigen, dass sie - zwar glaubensunwillig, perfidi - das Kommen des Herrn verkündigt haben. Am Rand der Gesellschaft stets nur gerade geduldet, dienen sie als Sündenböcke in Krisenfällen.
Ungefähr an dieser Stelle müsste dann wohl stehen, dass man zwischen dem religiös begründeten Antijudaismus und dem «modernen» Antisemitismus zu unterscheiden habe. Und denkbar ist, dass die Cadolzburger wie andere Inhaber einer «Judensau» auf diese Unterscheidung einigen Wert legen. Ihre Skulptur mag eine sehr unschöne alte Tradition verkörpern, aber einen Beweis für nationalsozialistische Sympathien soll man in sie nicht hineinlesen. Nur wird die Differenzierung unterlaufen: Es gibt eine Judenfeindschaft, die weder mit Religion noch mit Rasse zu tun und doch eine tiefe Spur in der bürgerlichen Mentalität hinterlassen hat. Man überwinde sich und nehme den Roman «Soll und Haben» von Gustav Freytag (1855) wieder hervor. Das Bild des schurkischen Geschäftsmanns Veitel Itzig, der den arglosen Freiherrn von Rothsattel ruiniert - sein grausiges Ende besiegelt jedoch den Triumph der deutschen Sache, auch über die «polnische Wirtschaft» -, ist ein Sammelsurium aus Klischees von den fettigen Schläfenlocken zu den tiefen Taschen des Kaftans, in denen verschwindet, was «der Jude» hat mitlaufen lassen.
Aus neuerer Zeit
Darauf konnte man gefasst sein. Man nehme sich aber die leichtere Mühe, die Novelle «Das Gesetz» von Thomas Mann (1943) wiederzulesen. Da wird erzählt, Mose habe sich eine «Mohrin» besorgt, um fleissig mit ihr zu schlafen, ein Weib mit gewaltigen Brüsten, wulstigen Lippen sowie anderen Attraktivitäten für Männer, die dergleichen mögen, und eben so einer sei Mose gewesen. Halten wir dem Verfasser zugute, dass im Buch Numeri (12, 1) von einem Streit berichtet wird, bei dem es nach Luthers Text wirklich um eine «Mohrin» geht; doch wird diese Frau von den anderen Übersetzern «Kuschitin» genannt, und gemeint ist Moses Eheweib Zippora. «Biblischer Nachweis der ‹Mohrin›», notiert Mann am 16. März 1945 im Tagebuch, woraus man wohl schliessen muss, dass er an Moses zweiter Bettgenossin noch festhielt. Steckt nun in dieser Zutat nicht das Klischee der jüdischen Geilheit, das ein fester Bestandteil der antisemitischen Nachrede ist? Es habe ihn «vollkommen verblüfft», dass jemand «in der Moses-Geschichte einen Hassausbruch gegen das Judentum» sehe, schrieb Mann am 1. September 1945 an Otto Basler; da hätte er ein bisschen tiefer in sich hineinschauen können.
Für die Cadolzburger Informations- oder Warntafel ist das schon zu viel, und die «Judensau» - die Talmud-Persiflage, die sie offenbar sein soll - kommt erst noch zu kurz dabei. Vielleicht mit Recht. Gemessen an der Unterdrückung, die von der Kirche an der Synagoge verübt, an der Vernichtung, die vom Nationalsozialismus über die «Nichtarier» verhängt, an der Geringschätzung, die von der «guten Gesellschaft» den Juden bezeigt worden ist (und von einer noch weniger guten weiterhin wird), nimmt sich der töricht-unflätige Gegenstand als ein Stück klerikaler Folklore aus, ohne das man leicht auskäme, das aber keine Extraaufregung verdient.
Hanno Helbling
<ul> ~ Spiel....</ul>
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