-->Quelle: Berliner Zeitung vom 12.2.2004
Kreuzzug im Kino
Mel Gibsons"The Passion of Christ" wird vor dem Filmstart wie Schmuggelware gezeigt. Er ist sehr umstritten und sehr brutal - der Regisseur sagt, er wolle mit dem Werk Gott danken
Thomas Götz
SALZBURG, im Februar. Ort der Handlung: der Aufenthaltsraum eines Seniorenheims in Salzburg. Mehr darf nicht verraten werden. Die Leinwand steht an der Stirnseite des Saals zwischen zwei Heiligenbildern. Ein junger amerikanischer Priester macht sich an der Tonanlage zu schaffen. Im Laufwerk des DVD-Players liegt Mel Gibsons neuer Film"The Passion of Christ". Das Publikum feiert in der Kapelle nebenan noch Gottesdienst. Der Zelebrant kehrt ihm den Rücken zu. So war es vor dem II. Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche üblich. So feiert auch der Traditionalist Mel Gibson, der einst als Schauspieler mit Mad Max bekannt wurde, die Messe.
"Wer spricht aramäisch?"
Licht aus im Saal. Dichtes Dunkel umhüllt die alten, apulischen Olivenbäume, die der Regisseur ins römische Filmstudio Cinecitta schaffen ließ. Nur ein Strahl bricht von oben ins Blau und umfließt einen taumelnden Mann. Der Mann hat Angst, stammelt etwas in einer unverständlichen Sprache.
"Wer von Ihnen spricht aramäisch?" hatte der Priester vor Beginn des Films noch gefragt. Gelächter. Die Schauspieler sprechen Lateinisch und Aramäisch, zwei Stunden lang. Wer sie verstehen will, muss die englischen Untertitel lesen, die der australisch-amerikanische Regisseur seinem Publikum widerwillig zugestanden hat. Eigentlich wollte er die letzten zwölf Stunden im Leben Jesu ganz unverständlich präsentieren, als blutige Bilderflut über den Hass der Menschen und ihre Erlösung. Oder wie eine lateinische Messe.
Mel Gibsons Film gibt es offiziell noch gar nicht. Seit einem Jahr tobt in den USA der Streit um den Streifen, den kaum einer gesehen hat. Antisemitisch sei er, klagte eine gemeinsam von jüdischen und katholischen Organisationen beschickte Kommission nach Lektüre des Drehbuchs. Alte Vorwürfe wärme der Film auf, er zeige die Juden als Volk der"Gottesmörder". Eine Verfälschung der Evangelientexte beanstandeten Bibeltheologen.
Gibson, der 25 Millionen Dollar aus seinem Vermögen in den Film gesteckt hat, klagte. Dann ließ er die vorläufige Version des Streifens in christlichen Gruppen in den USA zirkulieren und diskutieren. Die Zustimmung des gläubigen Publikums, kalkulierte er, würde die Kritik wegfegen, einem möglichen Flop vorbeugen."Heute zeigen wir ihn zum ersten Mal einem deutschsprachigen Publikum", verrät der Priester am DVD-Player.
"The Passion" war ein Herzensanliegen des Regisseurs. Vor zwölf Jahre war er in eine tiefe Lebenskrise geschlittert."Ich saß vor dem Fenster und fragte mich, warum springst Du nicht?", erzählte der Schauspieler später. Dann begann er, sich mit der Religion seiner Väter zu beschäftigen, einer extrem konservativen Version des katholischen Christentums. Der Film, erzählt der Priester, ist Gibsons Dank an Gott für wiedergefundenen Lebenssinn.
"Mein Film wird so nahe wie möglich an der Wirklichkeit sein", hatte Gibson vor und während der Dreharbeiten oft wiederholt. Wie aber war die Wirklichkeit vor 2000 Jahren? Die vier Evangelien weichen in entscheidenden Details voneinander ab und entstanden außerdem Jahre nach dem Tod Jesu.
Die Geschichte wirkt anders als in den vertrauten Texten. Hastig eilen Tempelwächter nächtens zu den Häusern der Juden, werfen ihnen Geldbeutel zu und heißen sie im Gegenzug mitzukommen. Die Richter im Hohen Rat spielen mit gezinkten Karten. Jesus stolpert in den Tempelhof. Er hinkt. Die Gerichtsdiener der Hohenpriester hatten den Gefesselten auf dem Weg hierher von einer Brücke fallen lassen, Bungee-Jumping an Ketten. Nach dem Verhör zerschlagen die jüdischen Würdenträger Jesus das Gesicht, ehe sie ihn zu Pilatus schleppen."Schlagt ihr eure Gefangenen immer halb tot, ehe ihr sie ausliefert?", fragt der Römer sie empört.
Die Passagen stammen nicht aus der Bibel. Es sind Visionen der deutschen Mystikerin Anna Katharina Emmerick, die 1824 starb. Sie schmückte mit neuen Grausamkeiten aus, was schon im Original blutig genug ist; und es sind Grausamkeiten, die von Juden begangen wurden. Zuletzt, während Jesus stirbt, lässt Gibson sogar noch den Tempel bersten. Verwirrt irren die Juden durch ihr zerstörtes Heiligtum. Im Evangelium war bloß der Vorhang vor dem Allerheiligsten zerrissen, ein Symbol für die Offenbarung des Geheimnisses Gottes.
"Alles, was Sie in dem Film sehen, ist eine Idee Gibsons", sagt der Priester. Also doch nicht einfach die Wirklichkeit?"Es ist, wie es war", soll doch immerhin Papst Johannes Paul II. gesagt haben, nachdem ihm die DVD vorgeführt worden war. Alle Dementis aus dem Vatikan halfen nichts, die Werbemannschaft Gibsons hatte ihren pontifikalen Segensspruch. Billy Graham, der einflussreiche protestantische Prediger aus Amerika, stieß ins gleiche Horn."Ich fühle mich, als wäre ich tatsächlich dabei gewesen", soll der 85-Jährige gesagt haben.
Es ist, wie es war - die Geißelung: ein Steinblock, zwei Eisenzwingen für die Handgelenke. Stöcke mit Spießen liegen auf dem Tisch der Folterer, Rohrstäbe, Ruten mit Widerhaken. Zur Probe knallt der Henkersknecht sein Gerät auf den Tisch. Die Haken reißen ein Stück Holz heraus, ehe sie sich ins Fleisch wühlen. Blut spritzt dem grobschlächtigen Kerl ins Gesicht. Kein Passionsfilm hat seinem Publikum solch ein Übermaß an Brutalität zugemutet.
Am 25. Februar, dem Aschermittwoch, kommt der Film in Amerika ins Kino, in Deutschland in der Karwoche. Die Werbestrategie, das Werk wie Schmuggelware von Hehlern unters Volk bringen zu lassen, ehe Verleihfirmen darauf zugreifen dürfen, ist aufgegangen. 2000 Kinos werden den Film trotz der Polemiken zugleich zeigen, fast so viele wie einst"Braveheart", Gibsons großen Erfolg. Und vielleicht werden es noch mehr. Evangelikale Christen erwarten ein neues Erwachen des Christentums durch den Film, schreibt die New York Times. Sie sähen darin ein Instrument zur Evangelisierung des Landes.
Vom Blitz getroffen
Noch ehe der Film in die Kinos kommt, gedeihen Andenkenhandel und Mythenbildung. Muslime und Atheisten seien bekehrt worden bei den Dreharbeiten, lässt Gibson verbreiten. Zweimal habe der Blitz Leute getroffen, geschehen sei ihnen nichts. Einen Satz, an dem Anstoß genommen wurde, hat Gibson übrigens entfernt."Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", der höhnische, in der Geschichte der Judenverfolgung immer wiederkehrende Fluch des Volkes über sich selbst, fehlt. Scheinbar."Er ist dort", sagt der Geistliche nach der Vorstellung."Aber nicht übersetzt."
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