-->Zum Geburtstag einige Reflexionen
Das Elliott-Wellen-Forum kenne ich nun schon seit rund 2,5 Jahren. Seit dem lese ich täglich mit Interesse viele Beiträge, habe vieles gelernt und bin für verschiedene Entwicklungen sensibler geworden. Entscheidend für mich ist das hohe Niveau der Beiträge. Das Forum ist ein Treffpunkt für Denker, die Anlage steht eher im Hintergrund. Jene die sich hier treffen haben m.E. überwiegend eine pessimistische Zukunftserwartung, gleichwohl zeigen die Beiträge einen Willen, die Probleme zu benennen, aufzuwecken… Doch warum finden sich die Schreiber gerade hier ein, in einem Forum zur Elliott-Wellen-Theorie?
Die Elliott-Wellen-Theorie erscheint mir wie vielen anderen Menschen als ein Mysterium, eine Ordnung, ein Muster, „die Sprache der Charts“, wobei die Theorie nicht nur für die Börse relevant erscheint. Ich glaube, dass die Menschen eine Sehnsucht nach einem höheren Sinn treibt und dass die Elliott-Wave-Theorie als ein Indiz dafür verstanden wird, dass hinter den chaotisch anmutenden Entwicklungen an den Finanzmärkten wie oftmals im Leben generell ein Prinzip wirkt. Ich denke, dass die Menschen trotz der Erkenntnisse von Einstein, Heisenberg & Co. hoffen, dass das Dasein ein Ziel verfolgt, dass wir kein Produkt des Zufalls sind. Die Anhänger der Elliott-Wellen-Theorie sind auf ihre eigene Weise religiös.
Die Menschheit bewegt sich meines Erachtens auf eine Krise hin, die schon Jahrzehnte latent im Verborgenen schlummert. Diese Krise wird als Finanz- und Wirtschaftskrise inszeniert werden, doch dahinter steht eine gesellschaftliche kollektive Sinnkrise. Die Menschen haben noch immer nicht den „Tod Gottes“ verkraftet, den sie selbst herauf beschworen haben. Sie will nicht erwachsen werden und ihr Schicksal in die Hand nehmen, doch gleichwohl weiß sie, wissen wir, dass daran kein Weg vorbeiführt. Ein neues Denken wird aus der heraufziehenden Krise hervorgehen, ein neues Verständnis.
Doch bis dahin bleibt die Welt im Umbruch, werden wir weiter das Elliott-Wellen-Board aufsuchen und dem „destrudo“ fröhnen, geradezu fatalistisch das heraufziehende Gewitter kommentieren und uns in der Interpretation des Weltgeschehens gegenseitigen Halt spenden, hin und her gerissen zwischen der Hoffnung doch zu irren und der Hoffnung eine Krise zu erschaffen, aus der etwas „Neues“ hervorgehen kann.
Morpheus
Nietzsches prophetische Worte, gekleidet in eine fantastische kraftvolle Sprache:
"Wohin ist Gott?" rief er,"ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet - ihr und ich! Wir sind seine Mörder! Aber wie haben wir das gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun?
Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?
Müssen nicht Laternen am Vormittag angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben?
Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? - auch Götter verwesen!
Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!
Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?
Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet - wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen?
Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat - und wer nun immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!"
Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch."Ich komme zu früh", sagte er dann,"ich bin noch nicht an der Zeit.
Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert - es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne - und doch haben sie dieselbe getan!" - Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedenen Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet:"Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Gräber und die Grabmäler Gottes sind?"
(Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft)
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