-->Guten Tag
Aus einem Interview von Schäuble mit der NZZ
1. Februar 2004, 02:17, NZZ am Sonntag
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Vor zehn Jahren haben Sie den Begriff Kerneuropa geprägt. Ist er noch aktuell?
Der Begriff wird inzwischen missbräuchlich verwendet. Kerneuropa bedeutet nicht, andere von der Integration auszuschliessen. Vielmehr geht es darum, dass eine Gruppe von Staaten voranschreitet und andere wie ein Magnet anzieht. In der jetzigen Situation aber wird der Begriff als Drohung verstanden, weil er als Alternative zur Integration aufgefasst wird.
In welchem Umfang kann die EU- Erweiterung fortgeführt werden?
Es muss eine Debatte über die natürlichen Grenzen Europas geführt werden. Es besteht die Gefahr, dass wir die EU geographisch überdehnen und die Integration verunmöglichen. Es muss andere Formen von Beziehungen geben als eine Mitgliedschaft.
Wo aber liegen die Grenzen der EU?
Die EU kann als politische Union nur dann funktionieren, wenn die Menschen über ein Zugehörigkeitsgefühl verfügen und eine europäische Identität empfinden. Diese aber entwickelt sich nur auf der Basis gemeinsamer geschichtlicher Erfahrungen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich diese Identität nicht über die Grenzen des europäischen Kontinents hinaus bildet. Wer diese geographischen Grenzen überschreitet, wird zudem nie Grenzen definieren können, ohne andere zu diskriminieren. Wenn nur die Kopenhagener Kriterien über die Aufnahme eines Landes gelten würden, könnte es eines Tages keinen Grund geben, ein Aufnahmegesuch Russlands abzulehnen. Wollen wir aber eine EU, die sich bis Wladiwostok erstreckt?
Was heisst das für die Türkei?
Wir haben gegenüber der Türkei vierzig Jahre lang Erwartungen geweckt, die wir jetzt nicht einseitig aufkündigen können. Wenn wir nicht wortbrüchig werden wollen, müssen wir mit Ankara Verhandlungen darüber führen, ob eine Vollmitgliedschaft die einzige Variante darstellt, oder ob nicht eine besondere Form der Partnerschaft zur EU denkbar ist. Diese hätte zu berücksichtigen, dass die Türkei zu einem Teil zwar zu Europa gehört, aber zu einem grossen eben nicht. An der Grenze zum Irak ist nicht mehr Europa. Eine privilegierte Partnerschaft entspräche den langfristigen Interessen der EU, weil sie so eher zu einer politischen Einheit wird. Gleichzeitig würde die Türkei in ihrer Brückenfunktion als ein aufgeklärter, westlich verfasster Rechtsstaat zwischen Europa und Asien gestärkt. Ich sage jedem türkischen Gesprächspartner immer, dass die CDU/CSU die privilegierte Partnerschaft für die bessere Lösung hält, dass wir aber gemeinsam mit Ankara zu einem Ergebnis kommen wollen. Die Türkei ist ein verlässlicher Partner Europas in der Nato. Wir haben alles Interesse daran, dass das so bleibt.
Es gibt aber innerhalb Ihrer Partei Stimmen, die nicht davon ausgehen, dass die Türkei damit zufrieden wäre.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die von mir beschriebene Position zur Türkei im Dezember 2002 einstimmig verabschiedet. Manchmal muss man die Kollegen daran erinnern, was sie entschieden haben. Wenn wir daran festhalten, geweckte Erwartungen nicht einseitig zu enttäuschen, dann muss die Türkei ihrerseits zu Gesprächen ohne Vorbedingungen bereit sein. Vielleicht ändert die Regierung in Ankara ja ihre Meinung im Laufe von ohnehin jahrelangen Verhandlungen und willigt in eine bessere Lösung ein. Ich glaube an die Wirkung von Argumenten.
Aber würde eine Mitgliedschaft nicht die politische Stabilisierung fördern?
Die Mitgliedschaft in der EU kann nicht das alleinige Mittel zur Schaffung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sein. Jene Kreise, die behaupten, ohne EU-Mitgliedschaft werde die Türkei ihren Weg zur Demokratie nicht fortsetzen, behandeln die Türken in herabsetzender Weise.
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<ul> ~ Schäuble zu mancherlei</ul>
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