-->http://www.jungewelt.de/2004/02-26/008.php
26.02.2004
Ausland
Hilmar König, Neu Delhi
Streik für das Streikrecht
50 Millionen Inder gingen gegen neoliberalen Wirtschaftskurs der Regierung auf die Straße
Der Streik vom Dienstag paßte der indischen Regierung überhaupt nicht ins Konzept. In ihrer Kampagne zu den in diesem Frühjahr stattfindenden Parlamentswahlen strapaziert sie zwei Slogans: »Glänzendes Indien« (India Shining) und einen imaginären »feel good«-Faktor, der angeblich unter der Wählerschaft vorherrscht. Beides wird mit aufgebauschten und tatsächlichen Erfolgen in der Wirtschaft begründet. Die Opposition argumentiert gegen beide Klischees, nennt sie mit gewisser Berechtigung betrügerisch und lediglich darauf ausgerichtet, das Volk »zu verdummen« und dessen Votum für eine weitere Amtszeit zu ergattern. Mit dem Generalstreik wurde die Hohlheit der Wahlsprüche nun praktisch demonstriert.
Etwa 50 Millionen Arbeiter und Angestellte hatten sich landesweit an dem Ausstand beteiligt. Ihren Forderungen stimmen Hunderte Millionen Mitglieder auch jener Gewerkschaften zu, die sich nicht am Streik beteiligen durften - die der von der regierenden indischen Volkspartei (BJP) beeinflußten Bharatiya Mazdoor Sangh und Hind Mazdoor Sabha sowie überraschend auch der INTUC, der Gewerkschaft der Kongreßpartei. Sie unterstützen generell die marktwirtschaftliche Reformpolitik. Für eine Abkehr genau von diesem Kurs und für die Aufhebung eines weitreichenden Urteils des höchsten Gerichts gingen die Werktätigen auf die Straße. Das Gericht hatte unlängst die Abschaffung eines Grundrechts der Arbeiterklasse verfügt - des Rechts auf Streik. Somit handelte es sich am Dienstag vor allem um einen Streik für das Streikrecht.
Besonders konsequent wurde der Ausstand in den linken Hochburgen Westbengalen, Tripura und Kerala befolgt, wo Wirtschaft und Transport zum Erliegen kamen, Schulen, Universitäten, Banken und Versicherungen geschlossen blieben. Der Flug- und der Eisenbahnverkehr wurden weitgehend eingestellt. In Delhi, Haryana, Orissa und Pondicherry ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. In verschiedenen Bundesländern blockierten die Arbeiter Häfen, Stahlwerke, die Ã-lindustrie und Plantagen. Selbst mehr als anderthalb Millionen Zivilangestellte im Verteidigungssektor legten die Arbeit nieder.
»Wenn Indien wirklich glänzen würde, wäre die Beteiligung am Streik nicht so massiv gewesen«. schlußfolgerte Gurudas Dasgupta, der Generalsekretär des Allindischen Gewerkschaftskongresses. Sein Kollege M. K. Pande vom CITU-Gewerkschaftszentrum erklärte die »überwältigende Teilnahme« mit der katastrophalen Wirtschaftspolitik der Regierung, die eine zunehmende Verarmung, wachsende Arbeitslosigkeit, rücksichtslose Privatisierung, Schließung staatlicher Betriebe und schamlose Angriffe gegen die Arbeiterklasse zur Folge habe. Wie könne sich die Regierung erdreisten, angesichts dieser Misere den Menschen ein »Wohlgefühl« einreden zu wollen, fragte der CITU-Präsident. Diese beiden Gewerkschaftsverbände bekräftigten inzwischen ihre Entschlossenheit, den Kampf gegen diese Art von Wirtschaftpolitik fortzusetzen, unabhängig davon, welche politische Partei die Wahlen gewinnt.
|