-->Von Christopher Farrell, BusinessWeek Online
01. März 2004 Die Aktienmarktgewinne des Jahres 2004 haben sich plötzlich in Luft aufgelöst. Der Nasdaq Composite Index, der noch im vergangenen Jahr um 50 Prozent in die Höhe geschossen ist, hat inzwischen fast die gesamten 7,5 Prozent Gewinn seit Jahresanfang wieder eingebüßt. Auch der Dow Jones Industrial Average, der Standard & Poor's 500-Aktienindex und andere bedeutende Marktindizes befinden sich kaum noch im positiven Bereich.
Ist das nun die seit langem angekündigte Marktkorrektur? Oder ist der Abwärtstrend des Marktes eher ein Vorbote von etwas viel schlimmerem - vielleicht steht uns ja das Platzen einer weiteren Investitionsblase bevor?
Bären argumentieren mit erneuter Investitionsblase
Die jüngsten Kursbewegungen haben die Bären dazu gebracht, aus ihrem Winterschlaf zu erwachen. Ihre daraufhin hervorgebrachten Argumente hören sich im Kern etwa so an: Der rasante Anstieg der Aktienbewertungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat zur größten Börsenblase in der amerikanischen Geschichte geführt. Als diese im Frühjahr 2000 geplatzt ist, wurde bis zum darauffolgenden Herbst in den Aktienmarkt investiertes Vermögen mit einem Wert von rund 8,5 Billionen Dollar vernichtet. Der Einbruch des Marktes war für alle, die über einen Rentensparplan verfügten, und insbesondere für diejenigen, die unmittelbar vor ihrer Pensionierung standen, ein großer Schock. Aber anscheinend war der Einbruch nicht ernst genug, um den Markt von dem irrationalen Überschwang vollständig zu befreien, so die Argumentationsweise der Bären.
Speziell der durchschnittliche Aktienkurs des S&P 500, der Ende der Neunziger Jahre ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 40 erreichte, ist während des Bärenmarktes niemals unter seinen historischen Durchschnittswert von 16 gefallen. Das aktuelle KGV liegt bei 23. Mit diesem Benchmark hat der Aktienmarkt 2003 eine auf Spekulationen begründete Rallye an den Tag gelegt. Ein Sturz der Aktienbewertungen dürfte auch die Kurs-Gewinn-Verhältnisse wieder auf ein realistischeres Niveau drücken, knurren die Bären.
Ja, der Markt ist ins Stottern geraten und die Schwankungen könnten für einige Zeit anhalten - vielleicht sogar für eine längere Periode. In eine Wirtschaft, die nur ein sehr langsames Beschäftigungswachstum hervorbringt, verlieren die Konsumente ihr Vertrauen. Das Geld fließt in den Aktienmarkt - ein Großteil davon trotz der anhaltenden Skandale in der Fondsbranche über offene Fonds. Zu den Pessimisten zählen einige der cleversten Investoren der Branche, wie beispielsweise der Fondsmanager Jeremy Grantham und der Ã-konom Stephen Roach. Der Begriff Investitionsblase verkörpert in der Finanzwelt etwas Unheilverkündendes und kündigt typischerweise eine Katastrophe mit epischem Ausmaß an.
Unternehmensgewinne und Produktivität steigen
In diesem Fall reicht jedoch eine kurze Darstellung zum Thema Investitionsblasen nicht aus, um die aktuelle Marktlage zu erklären. Zum einen fallen die Unternehmensgewinne generell sehr viel besser als erwartet aus. Bei den im S&P 500 gelisteten Unternehmen sind die Gewinne des vierten Quartals im Vorjahresvergleich um rund 28 Prozent gestiegen. In immer mehr Führungsetagen wird der Entschluß gefaßt, einen Teil dieser Gewinne über Dividendenzahlungen direkt an die Aktionäre weiterzuleiten.
Des weiteren ist die Entwicklungskraft der Arbeitsproduktivität bemerkenswert. Zwischen 1995 und 2003 hat sie sich mit einer durchschnittlichen Jahresrate von drei Prozent erhöht. Das ist die doppelte Geschwindigkeit als noch im vorhergehenden Vierteljahrhundert. Die anhaltende Zögerlichkeit der Firmenchefs, neue Arbeitskräfte einzustellen, ist größtenteils auf diese rasanten Schritte in der Effizienz der Unternehmen zurückzuführen.
Dies alles drängt einem den Verdacht auf, daß trotz der schlimmen Schäden, die der Bärenmarkt zwischen 2000 und 2003 angerichtet hat - dargestellt in unendlichen Medienberichten über die Not der Arbeiter und die Leidensgeschichten der Rentner sowie in schmutzigen Enthüllungen von Gesetzesübertretungen zahlreicher Unternehmen -, der irrationale Überschwang immer noch durch das Land zieht.
Systemwechsel trägt der höheren Gesamtleistung Rechnung
Daß die Bewertungen sehr hoch ausfallen, läßt sich nicht verneinen. Aber die Veränderungen in der Gesamtleistung der Wirtschaft legen nahe, daß der Aktienmarkt auf einem höheren Niveau bewertet werden sollte, als das der historischen Normwerten der Kurs-Gewinn-Verhältnisse, der Dividendenrenditen oder vergleichbaren Benchmarks. Dies ist auch die Schlußfolgerung, die die Ã-konomen Martin Lettau und Jessica Wachter von der Stern School of Business sowie Sydney Ludvigson von der New York University in ihrem kürzlich veröffentlichten Research-Bericht „The Declining Equity Premium: What Role Does Macroeconomic Risk Play?“ ziehen.
Sie weisen darauf hin, daß in den letzten 15 Jahren eine Abnahme der Volatilität realer makroökonomischer Aktivität festzustellen gewesen sein. Dieser Trend ist mit einer Flut an statistischen und empirischen Testverfahren überprüft worden. Die Ergebnisse zeigen allesamt, daß das Beschäftigungswachstum, die Konsumzunahme, die Inflation und das generelle BIP-Wachstum beständiger geworden sind. Vielleicht reflektiert ja die Tatsache, daß sich die Aktienkurse auf einem höheren Niveau bewegen, die allgemeine Abnahme der makroökonomischen Risiken? Dies würde natürlich auch bedeuten, daß die Renditen künftig geringer ausfallen. Die Autoren glauben jedenfalls, daß diese „bewiesenen Veränderungen besser als ein struktureller 'Break' oder ein Systemwechsel beschrieben werden sollten.“
Aus der Anomalie wird Gesetzmäßigkeit
Eine typische Wall-Street-Weisheit sagt, die fünf gefährlichsten Wörter im Börsengeschäft lauten „dieses Mal ist alles anders“. Das ist in der Tat ein guter Rat, aber in der Vergangenheit hat es durchaus ab und an solche „Breaks“ gegeben, wie wir ihn jetzt zu haben scheinen. Peter Bernstein verweist in seinem 1996 erschienen Buch „Against the Gods: The Remarkable Story of Risk“ auf einen der bemerkenswertesten Umbrüche an der Wall Street: Bis 1959 haben die Dividendenrenditen bei Stammaktien die Anleiherenditen übertroffen, erinnert sich Bernstein. Wann immer sich die Dividendenrenditen der Aktien den Renditen der Anleihen genähert haben, sind die Aktienkurse gefallen und die Dividendenrenditen der Stammaktien zogen wieder an.
Auf diese Gesetzmäßigkeit - ein einzigartiges Signal, daß der Aktienmarkt überbewertet war - konnten sich die Investoren an den Finanzmärkten verlassen. Dann, 1959, kletterten die Aktienkurse in die Höhe, während die Anleihekurse sanken. Die Dividendenrenditen der Aktien fielen unter die Anleiherenditen - und verblieben dort. Die frühere Beziehung zwischen Aktien und Anleihen löste sich auf und eine teilweise auf das Aufkommen einer anhaltenden Inflation in der Nachkriegswirtschaft zurückzuführende Transformation setzte ein. Bernstein schrieb, daß ihm seine Investmentpartner - alles Veteranen des weltweiten Börsencrashs - in den Jahren nach 1959 „immer wieder zusicherten, daß der scheinbare Trend nichts anderes als eine vorrübergehende Anomalie sei. Sie versprachen mir, daß sich bereits in wenigen Monaten die Dinge wieder normalisiert haben würden. Die Aktienkurse würden fallen und die Anleihekurse rasant steigen. Nun, darauf warte ich eigentlich heute noch.“
Eine Korrektur des Aktienmarktes? Sicher. Nur ein paar Monate, in denen die Investoren nervös sind? Okay, vielleicht. Aber eine Investitionsblase, die bald platzen wird? Nein, die dazu notwendige Massenhysterie ist einfach nicht vorhanden. Um den Aktienmarkt in eine Abwärtsspirale zu drängen, würde es einer gravierenden Verschlechterung bei den wirtschaftlichen und politischen Fundamentaldaten bedürfen. Und der aktuelle gesamtwirtschaftliche Ausblick verrät uns, daß dieser Tag so schnell nicht kommen dürfte.
<ul> ~ diesmal, nur diesmal</ul>
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