--> SPIEGEL ONLINE - 08. März 2004, 17:30
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Negativrekord im Handel
"Knurrige, verstörte, misstrauische Kunden"
Während die Discounter mächtig expandieren, geht es dem Einzelhandel insgesamt so miserabel wie selten: 50.000 Stellen hat die Branche 2003 gestrichen, 35.000 Händler machten Pleite oder gaben entnervt auf. Auch in den kommenden Monaten geht der Job-Kahlschlag weiter.
DPA
Zeichen der Rabattschlacht: Gesunkene Umsätze bei zwei Dritteln aller Händler
Düsseldorf - Massiver Stellenabbau, der Kollaps des Weihnachtsgeschäftes und ruinöse Rabattschlachten: Als der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE), Hermann Franzen, am Montag in Düsseldorf die Situation des deutschen Einzelhandels beschrieb - da geriet ihm sein Lagebild mehr als düster. Seit drei Jahren steckt die Branche in der Krise. Doch eine durchgreifende Besserung sei nicht absehbar.
Im vergangenen Jahr hat der Einzelhandel mehr Arbeitsplätze abgebaut als je zuvor. Fast 50.000 Stellen wurden gestrichen, deutlich mehr als der HDE selbst noch vor wenigen Monaten befürchtete. Nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges fiel der Stellenabbau in der Branche so brutal aus. In diesem Jahr dürften bis zu 30.000 weitere Arbeitsplätze im Handel den Sparbestrebungen zum Opfer fallen oder durch Insolvenzen und Geschäftsaufgaben verloren gehen, so die HDE-Prognose. Dies sei die Folge des anhaltenden Käuferstreiks und der ruinösen Rabattschlachten, die sich die Branche seit dem Wegfall des Rabattgesetzes liefert. Die Branche beschäftigt noch rund 2,8 Millionen Menschen.
Umfrage: Nur fünf Prozent wollen neu einstellen
Nach drei Jahren Talfahrt rechnet der Verband in diesem Jahr zwar mit stabilen Umsätzen. Reales Wachstum sei aber erst im kommenden Jahr zu erwarten. Im vergangenen Jahr habe die Branche real ein Prozent Umsatz eingebüßt. Allein das Weihnachtsgeschäft sei um ein Viertel gegenüber dem Vorjahr geschrumpft. Im Vergleich zu 1999 habe es sich sogar halbiert.
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Die Zahl der Betriebe habe sich im vergangenen Jahr um mehr als 20.000 verringert. 35.000 Insolvenzen und stillen Betriebsaufgaben stünden gut 10.000 Neugründungen entgegen. Das Einzelhandelsklima habe sich einer aktuellen Umfrage zufolge wieder eingetrübt. 58 Prozent der Einzelhändler stuften ihre Geschäftslage als schlecht ein, nur ein Fünftel als gut. Mehr als ein Drittel will die Zahl der Mitarbeiter in der ersten Jahreshälfte verringern, nur fünf Prozent will sie aufstocken.
Besonders prekär sei die Lage der Kleinbetriebe und der Händler in den Innenstädten. 67 Prozent der befragten Händler in den Innenstädten berichteten von gesunkenen Umsätzen in der zweiten Jahreshälfte 2003. Kleidungs- und Schuhgeschäfte traf die Kaufzurückhaltung den Angaben zufolge besonders hart: 71 Prozent der Händler dieses Segments klagten über Umsatzschwund.
Das Kölner Marktforschungsinstitut ifm Wirkung und Strategien appellierte bereits nach Kundenbefragungen an den Handel:"Stoppt die inflationäre Rabatt-Flut! Macht wieder klare Preise! Deutschlands Verbraucher sind es überdrüssig, im Labyrinth von Rabatten, Kundenkarten, Coupons, Treueprämien, Sonderaktionen herumzuirren." Die Kunden wollten eine stabile Orientierung. Der Handel züchte sich zurzeit"einen knurrigen, verstörten, misstrauisch abwägenden Kunden heran, dem die Lust am Konsum zunehmend verloren geht".
Doch ob solche Appelle helfen, darf angesichts des harten Verdrängungswettbewerbs auf dem deutschen Markt bezweifelt werden. Angesichts stagnierender Umsätze wird auch weiter um jeden Kunden gekämpft werden. So bleibt dem Handel letztlich nur die Hoffnung auf ein Wiederanspringen der Konjunktur."Was wir brauchen ist Wachstum und mit dem Wachstum Beschäftigung. Dann läuft das wieder alles", sagte Franzen.
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