-->Die gesetzliche Rente ist eine Geldanlage mit geringer Verzinsung
Durch die aktuelle Rentenreform drohen in Zukunft sogar stattliche Verluste / Die Vermögensfrage / Von Volker Looman
REUTLINGEN, 12. März. Der Bundestag hat in dieser Woche mit den Stimmen der SPD und der Grünen die Reform der gesetzlichen Renten beschlossen. Damit soll die staatliche Altersversorgung, die zur Zeit etwa 53 Prozent des Durchschnittseinkommens beträgt, bis 2030 durch einen"Nachhaltigkeitsfaktor" auf 43 Prozent gesenkt werden. Der Beitragssatz soll für den gleichen Zeitraum auf 22 Prozent des Durchschnittsgehaltes gedeckelt werden. In einer Zusatzklausel wird die Regierung aufgefordert, das Niveau der Renten auf Dauer bei mindestens 46 Prozent zu halten. Neben dem"Nachhaltigkeitsfaktor" will der Gesetzgeber bis 2008 erreichen, daß die Menschen vor dem 63. Lebensjahr keine Frührente mehr beziehen können. Hochschuljahre werden künftig nicht mehr für die Rente gutgeschrieben. Die auf 0,2 Monatsausgaben abgeschmolzenen Rücklagen der Rentenversicherer sollen wieder auf 1,5 Monatsausgaben aufgefüllt werden. Deshalb kann der Beitragssatz von derzeit 19,5 Prozent des Bruttolohns auf Jahre nicht sinken.
Die Reform der Renten hat in den letzten Monaten für Zündstoff gesorgt. Regierung und Opposition warfen sich gegenseitig Unfähigkeit vor, das Rentenproblem in den Griff zu bekommen. Ob die neue Regelung für stabile Beiträge und Renten sorgen wird, steht in den Sternen. Fest steht aber schon heute, daß die gesetzliche Rente für die meisten Menschen ein fragwürdiges Geschäft ist. Das wird an wenigen Zahlen deutlich.
Das aktuelle Durchschnittseinkommen beträgt in diesem Jahr knapp 30000 Euro. Das sind 2500 Euro pro Monat. Von diesem Betrag fließen 19,5 Prozent in die Rentenkasse, wobei Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils die Hälfte zahlen. Sofern die Beiträge in Zukunft nicht steigen, würden beide Parteien, die 40 Jahre in die Kasse einzahlen, künftig 480 Raten von jeweils 488 Euro an die Rentenanstalten überweisen - in der Summe also 234000 Euro. Dafür winkt als Gegenleistung die lebenslange Rente im Alter. Wenn der Bezieher beispielsweise 80 Jahre alt werden sollte, wird er 180 Renten erhalten.
Nach heutiger Lage liegt die Rente bei rund 53 Prozent des Durchschnittseinkommens. Das sind auf dem Papier monatlich 1325 Euro, doch in Wirklichkeit gilt beim Bezug der Renten eine andere Grundlage, nämlich das Durchschnittseinkommen nach Abzug der Sozialabgaben. Und diese Abgaben summieren sich zu stolzen Summen. In die Rentenkasse fließen 19,5 Prozent. Die Arbeitslosenversicherung zweigt 6,5 Prozent ab. An die Krankenkasse gehen im Schnitt rund 13,6 Prozent. Die Pflegeversicherung fordert 1,7 Prozent. Das macht unter dem Strich ungefähr 41,3 Prozent. Davon trägt der Arbeitgeber wieder die Hälfte, so daß das durchschnittliche Einkommen eines Arbeitnehmers durch die Sozialabgaben um 20,65 Prozent sinkt. Im selben Umfang verringert sich auch die Rente. Dadurch werden im Alter monatlich eben nicht 1325 Euro, sondern nur 1050 Euro ausgezahlt. Das sind bei einer Versorgungsdauer von 15 Jahren rund 189000 Euro.
Die schlichte Gegenüberstellung der Beiträge und Renten zeigt auch Leuten, die mit Finanzmathematik nicht viel am Hut haben, daß die gesetzliche Rentenversicherung ein Geschäft mit Haken und Ã-sen ist. Auf der einen Seite sollte die jährliche Minusrendite von 0,79 Prozent nicht zu der vorschnellen Aussage verleiten, daß die staatliche Rente ein totaler Geldverlust ist. In dem Vertrag sind zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel eine Rente bei Erwerbsunfähigkeit enthalten. Doch auf der anderen Seite wird in aller Deutlichkeit klar, daß die Rendite viele Wünsche offenläßt. Wenn die 480 Beiträge zum Beispiel mit 2 Prozent verzinst werden, würden dem Rentner jeden Monat nicht staatliche 1050 Euro, sondern stattliche 2294 Euro zufließen. Bei einer Verzinsung von 3 Prozent würde die Auszahlung sogar auf 3082 Euro steigen.
Diese schönen Zahlen sind für Arbeiter und Angestellte freilich Makulatur. Sie sind Gefangene der staatlichen Rentenversicherung und haben keinerlei Chance, dieser Knechtschaft zu entfliehen. Bedauerlich ist nur, daß der Frondienst von Jahr zu Jahr härter zu werden droht. Die Deckelung der Beiträge auf 22 Prozent ist ein klares Anzeichen, daß die monatlichen Aufwendungen auf 550 Euro steigen könnten. Gleichzeitig bedeutet das Absinken der Renten von heute 53 Prozent auf künftig lediglich noch 43 Prozent des Durchschnittseinkommens keine Einbuße von 10 Prozent, sondern einen handfesten Verlust von 18,9 Prozent, so daß die Monatsrente auf 850 Euro zu sinken droht. Dadurch sinkt die jährliche Verzinsung auf minus 2 Prozent, so daß in den nächsten Jahren doch Verluste drohen. In Euro und Cent führt die Rentenreform bei jedem Arbeitnehmer zu einer finanziellen Zusatzbelastung von 26000 Euro, wenn die beiden Zahlungsströme - bisher 480 mal 488 Euro und 180 mal 1050 Euro, künftig vielleicht aber 480 mal 550 Euro und 180 mal 850 Euro - mit jeweils 3 Prozent auf die Gegenwart abgezinst werden.
Politiker wie beispielsweise die Sozialministerin Ulla Schmidt haben die Anpassung als notwendige Reform verteidigt. Gleichzeitig sagte die Sozialministerin im Bundestag, daß es eine klare Botschaft an die junge Generation sei, daß die staatliche Rente den zukünftigen Standard im Alter nicht mehr sichere und mehr Eigeninitiative notwendig sei. Diese Botschaft tragen freilich nicht nur Politiker, sondern auch Banken und Versicherungen schon seit Jahren wie eine Monstranz vor sich her. Doch ob die Warnung bei den Jungen angekommen ist, erscheint mehr als zweifelhaft, weil in jungen Jahren einfach kein Bewußtstein für die Altersvorsorge vorhanden ist.
Wer sagt schon in aller Deutlichkeit, daß eine monatliche Rentenkürzung von 200 Euro ein Zusatzvermögen von 31000 Euro erfordert, um die Einbußen wieder wettzumachen? Und wer erläutert im Detail, daß das Ziel in 40 Jahren bei einem Anlagezins von 2 Prozent mit monatlich 41 Euro durchaus erreicht werden kann? Der wunde Punkt der privaten Altersvorsorge ist und bleibt das Bewußtsein. Die meisten Menschen leben in der Gegenwart und blenden die Zukunft aus. Bei Geld kann dieses Verhalten zu einem gefährlichen Bumerang werden, weil verlorene Zeit nicht wieder aufgeholt werden kann. Wer zum Beispiel nur noch 20 Jahre vor sich hat, um die fehlenden 31000 Euro anzusparen, muß bei einer jährlichen Verzinsung von 2 Prozent monatlich 105 Euro auf den Tisch blättern, um das Ziel noch zu erreichen. Bei einer Sparzeit von zehn Jahren klettert die monatliche Rate sogar auf satte 233 Euro.
Bei einem Durchschnittseinkommen von 30000 Euro vor Abzug der Sozialabgaben und Steuern sind Sparraten in dieser Größenordnung freilich Utopie. Nicht viel rosiger sieht die Lage bei den Besserverdienenden aus. Abteilungsleiter und Prokuristen mit Jahreseinkommen von 60000 oder 100000 Euro stehen zwar in finanzieller Hinsicht zunächst besser da. Doch ihr hoher Lebensstandard wird im Alter zu Einbußen führen, die deutlich höher als bei den Beziehern geringerer Einkommen sein werden. Gleichzeitig müssen diese Spitzenverdiener damit rechnen, vom Staat in Zukunft stärker zur Kasse gebeten zu werden, um das Steueraufkommen zu sichern. Die Deckelung der Rentenbeiträge auf 22 Prozent und die Senkung des Steuersatzes auf höchstens 41 Prozent sind hübsche Ankündigungen. Doch jeder Kaufmann weiß, daß er nicht 105 Euro ausgeben kann, wenn nur 100 Euro in die Kasse kommen. Vor diesem Hintergrund dürfte Horst Seehofer, der Sozialexperte der Union, nicht unrecht haben, als er diese Woche im Bundestag beklagte, daß die Rentenreform nur der Auftakt zu einer neuen Rentenreform sei.
Der Autor ist Finanzanalytiker in Reutlingen.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.03.2004, Nr. 62 / Seite 20
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