-->Hi bernor,
besten Dank für den Hinweis. Darf ich fragen, in welcher Schrift die Urkunde geschrieben ist? (Ich vermute in der"Benevent").
>"Sao ko kelle terre, per kelle fini que ki contene, treta anni le possette parte Sancto Benedicti."
>(sinngemäß: Ich weiß, daß die Ländereien, so wie sie hier verzeichnet sind, seit dreißig Jahren den Benediktinern gehören.)
>Also:
>- keine"Schenkung", nur Bezeugung(en)
>- neben Latein ist die Urkunde stellenweise auch in einem romanischen Dialekt (noch kein Altitalienisch, daher kaum fälschbar) abgefaßt
>- und weit und breit keine Spur von Karl dem Großen oder ähnlichen Figuren...
>Wenigstens eine echte Urkunde.
Davon kann ausgegangen werden. In diesem Falle unterscheidet sich der Text aus dem 10. Jh. (Hinweis für @Zandow: passt zur Christianisierungs-Datierung weiter nördlich) sehr wohltuend von der üblichen Urkundenlage, die als"gesichert" gilt, wenn auch immer mehr davon als"gefälscht" zurückgezogen werden. Bei KdG sind ca. zwei Drittel bereits als unecht verschwunden, u.a. sein"Gründungsprivileg" für das Kloster Werden vom 26. April 802. Es wird zwar noch auf Ausstellungen gezeigt, zuletzt in"Das Jahrtausend der Mönche 799-1803", Ruhrlandmuseum 1999, allerdings mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass es eine Fälschung ist. Was der Besucher davon halten soll, erschließt sich nicht.
KdG hat seine"Urkunden" mit einem Mini-Häkchen unter dem"Karlsmonogramm" gezeichnet, was verwundert und zu absurden Erklärungen führte, dass er zwar lesen, aber nicht schreiben konnte. Dem widerspricht notabene das bekannte"Karlsepos" (Zürich), ebenfalls datiert"um 800", in dem dem Kaiser ausdrücklich die Kenntnis der sieben freien Künste attestiert wird. Wie jemand, der in Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Musik und Astronomie sattelfest sein kann ohne mehr als ein Strichlein zu Pergament bringen zu können, wenn es um die Übertragung von Milliardenwerten, speziell bei Grund und Boden geht (nach heutiger Kaufkraft), erklärt der Mittelalter-Papst Prof. Fried mit dem hübschen Hinweis, dass die Schwerthand des Kaisers von seinen vielen Kriegen"ermattet" gewesen sei.
Jüngst hat Prof. Theo Kölzer (Bonn), der wohl führende Kenner auf frühmittelalterlichen Gebiet von 196 Merowinger-Urkunden, die er in den MGH edierte, u.a. 129 als gefälscht, interpoliert oder zweifelhaft bezeichnet, wonach er schließlich bei 38 unbezweifelbar echten"Originalen" zwischen 625 und 717 landet. Entdeckt zumeist im Kloster St. Denis.
Der Bestand des Erhaltenen soll (Kölzer nach Ganz/Goffart, Charters earlier than 800) weniger als 0,001 % (!) der damals geschriebenen Urkunden umfassen. Damnach kämen wir auf ca. 5 Millionen (!) geschriebener Urkunden die sich irgendwie verflüchtigt haben. Unter Einschluss der Karolingerzeit (größeres Reichsgebiet) wären bis zu 40/50 Millionen Urkunden, eine Tagesproduktion von ca. 300 Stück.
Das ist kaum erklärlich, da diese Urkunden nicht irgendwelche Belanglosigkeiten enthielten, sondern harte wirtschaftliche Fakten (Eigentum, Rechte, deren Übertragungen,"Verleihungen","Privilegien" usw.) und deshalb sorgfältig aufgehoben werden sollten, da man sie schließlich vor Gericht benötigte. Die Werdener Fälschung ist übrigens prompt bei einem früheren Prozess aufgeflogen.
Das mit den Urkunden ist jedoch nur ein Teil des Elends. Einen weiteren präsentieren die Klöster selbst. Für die Zeit um 800 kann mit ca. 500 Klöstern gerechnet werden und einer durchnittlichen Belegung von 30 bis 50 Mönchen. Für Großklöster wie Fulda werden für 751 sogar"400 Brüder" genannt, dazu Novizen und anderes Personal.
Nun wurden die Klöster nach den Regeln Benedikts geführt (Anweisung schon Gregors des Großen um 600). Dass sich in Fulda lt. ältestem Bücherverzeichnis (lt. Fulda selbst zwischen 799 und 817) keine Benediktsregel befindet (auch keinerlei Schrifttum des angeblichen Gründers Bonifatius), sei am Rande erwähnt.
Von allen Benediktsregeln, die es"um 800" gegeben haben muss - je Kloster mindestens eine, die ja den Novizen auch vorgelesen werden musste usw. - hat sich eine einzige erhalten, ein 172 Seiten starkes Ex. aus St. Gallen, datiert 817. Dieses ist komplett und in sehr schöner karolingischer Minuskel und bestens konserviert. Da muss man soch doch fragen, warum sich von den Benediktsregeln der anderen ca. 500 Klöster nichts, nicht mal ein Schnipselchen, versteckt vielleicht in einem Einband erhalten hat. Immerhin sollten wir es mit ca. 80.000 beschriebenen Seiten (hochgerechnet aus dem St. Galler Ex.) zu tun haben.
Doch nun zum größten Elend. Nach den Regeln Benedikts hat jedes Kloster eine Bibliothek zu haben. Die Regeln 9, 38, 48, 53 schreiben"Lesungen" vor.
Dabei ist Regel 48 besonders aufschlussreich:
"Für die Tage der österlichen Bußzeit erhält jeder (Mönch) aus der Bibliothek ein Buch, das er von Anfang bis Ende ganz lesen soll. Diese Bücher werden zu Beginn der österlichen Bußzeit ausgeteilt."
Ob es sich dabei um die Bibel gehandelt hat, bzw. Teilen daraus (sie wurde traditionell in 9 Bücher geteilt), ist strittig. Aus naheliegendem Grund: Es hätte dann - bei analoger Lesbarkeit wie der Benediktsregel - ca. 140.000 einzelne Bibelblätter (bei der Neuner-Teilung) gegeben haben, woraus sich ca. 10 Millionen einzelne beschriebene Zeilen ermitteln ließen. Bei"Vollbibeln" würden wir gar bei ca. 20 Millionen Seiten zu je 30 bis 40 Zeilen landen...
Bei den großvolumigen Bänden der"Kirchenväter" kommen kaum andere Größenordnungen heraus. Wer einmal in einem Theologischen Seminar die Edition von Migné (Patrologie) hat bestauen dürfen, verfällt in tiefste Schwermut ob der laufenden Regalmeter, die dort auf ihn warten. Ein unbestreitbarer Klassiker wie Augustinus"De civitate dei" hat 22 Kapitel.
Woher die vielen Schreiber gekommen sein mögen, ist das nächste Rätsel. Es sind diverse Professbücher erhalten, in denen sich die angehenden Mönche schriftlich zu allem Möglichen verpflichten (Gehorsam,"Stabilität" - offenbar des Gelübdes usw.) Die Eintragungen in den Professbüchern sind, sofern sie einzelnen Personen zuzuordnen sind, von zum Teil kaum entzifferbarer Schrift, oft steht auch nur ein"+ ego adalbt" o.ä., so dass sie als Schreiber dieser gigantischen Textmengen kaum in Frage kommen. Zudem lassen sich selbst bei intensivem Schriftenvergleich (und dies bei einer relativ"sauberen" Schrift, die wir heute noch in der heute üblichen"Antiqua" finden) keine eindeutigen Beziehungen zwischen den Professen und den angeblich von ihnen später geschriebenen Büchern bzw. Urkunden feststellen. Die Literatur spricht deshalb vorsichtig von"Ähnlichkeiten" bzw."Berührungspunkten", was Null-Aussagen sind.
Zudem ist der sog."älteste Bibliothekskatalog" von St. Gallen, der auf 884/888 datiert wird, gänzlich dubios. Es erscheinen die Titel dort mit einem "De..." (also"Über..."), obwohl die Bibliotheken ihre Bestände noch bis in 13. Jh. hinein niemals als mit einem"Titel" versehen angaben, sondern mit einem "Incipit..." (Hier beginnt...). Dazu wurde dann das erste Wort des zweiten Blattes oder das erste Wort des vorletzten Blattes hinzugefügt, um den Band auch einwandfrei identifizieren zu können. Dies erforderte schon die Kostbarkeit des Buches. Der älteste Buchpreis, den wir kennen, ein Avarroes (415 Blatt) um 1250 kostete über den Goldpreis auf heute umgerechnet mehr als 1000 Euro.
Schließlich ist lt. Neddermeyer 1997 die Handschriftenproduktion zwischen 740 und 770 gänzlich zum Erliegen gekommen. Handschriften aus späterer Zeit, siehe nochmals das Bücherverzeichnis von Fulda"um 800" zeigen, dass selbst die Schreiber solcher Schriften nicht imstande waren, wichtige Wörter korrekt zu schreiben (epistola, apostolus, dialogi usw.).
789 hatte KdG das Kloster Fulda (Besitzungen vom Bodensee bis zur Nordsee) in seiner "Epistola de litteris colendis" eindringlich gebeten, seine"Bildungspolitik" zu unterstützen. Allerdings fehlte dort so ziemlich alles: die komplette Hl. Schrift, die Benediktsregeln, Heiligenviten, usw. Auch von antiken Schriftstellern ist weit und breit nichts zu sehen. Die erscheinen dafür ganz woanders und das schlagartig, nämlich im vierten (!) St. Galler Verzeichnis von 1070, wo dann 70 Autoren von Cicero bis Vitruv aus dem Nichts auftauchen (ähnlich Reichenau und Lorsch). Eine Rekonstruktion der Salzburger Bestände fürs 8./9. Jh. enthält gerade drei antike Klassiker-Fragmente, davon zwei Medizintexte.
Kurzum: Wer Märchen liebt und gerne lacht, sollte sich in das Gebiet"frühmittelalterlicher" Urkunden und Handschriften versenken. Er lernt dann u.a. dass Herrscher an gerade gegründete Klöster Gebiete verschenkten, die nicht etwa in der Nachbarschaft, sondern Hunderte von Kilometern entfernt gelegen waren, dass in Deutschland der Feigenanbau gepflegt wurde, dass die bösen Sarazenen"Mauren" genannt wurden, dass es einen Terenz-Text"Incipit eunuchus" (der Ärmste) gegeben hat und dass man sich auch mit der Paulus-Apokalypse beschäftigte, die den Apostel sogar über Gottvater selbst stellt.
Viel Vergnügen + schönen Sonntags-Gruß!
|