-->13.03.2004
Feuilleton
American Peace
Die Regeln des Schlafentzugs: US-Streitkräfte in Afghanistan (Teil 4 und Schluß)
* jW dokumentiert Auszüge eines 59seitigen Berichts zum Vorgehen der US-Streitkräfte in Afghanistan, der am Montag von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vorgelegt wurde und unter www.hrw.org eingesehen werden kann.
Zwei im März 2002 in Bagram Inhaftierte (die später nach Guantanamo überführt wurden und von dort in ihre Heimat zurückkehrten) beschrieben Human Rights Watch, wie sie in einer Gruppe, ausgezogen bis auf die Unterwäsche, über Wochen in einer Zelle gefangengehalten wurden. Helle Scheinwerfer strahlten in die Zelle. Das US-Militärpersonal hielt die Häftlinge außerdem wach, indem es mit Schlagstöcken gegen die metallenen Wände schlug. Die durch den mehrwöchigen Schlafentzug verängstigten und verwirrten Häftlinge wurden während der Verhöre gezwungen, aufrecht zu stehen. Ein helles Licht strahlte direkt in ihre Augen. Sie würden erst befragt, hieß es am Anfang, wenn sie eine Stunde völlig bewegungslos blieben, nicht einmal den Kopf bewegten. Täten sie es doch, würde »die Uhr zurück auf Null« gestellt. Anschließend brüllte das hinter dem Licht positionierte US-Personal Fragen. Die Dolmetscher übersetzten. Zwei andere, Ende 2002 in Bagram Inhaftierte, erzählten einem Reporter der New York Times, sie hätten mehrere Wochen am Stück nackt und stehend verbracht, auf schmerzvolle Weise gefesselt. Gewaltsam hätte man ihnen den Schlaf entzogen. Wiederholt wären sie geschlagen worden.
Ein Reporter der Associated Press interviewte die Häftlinge Saif-ur Rahman und Abdul Qayyum, die 2002/03 jeweils über zwei Monate in Bagram festgehalten wurden. Qayyum wurde im August 2002 verhaftet, Rahman im Dezember 2002. Einzeln befragt, beschrieben sie die Umstände ihrer Gefangenschaft sehr ähnlich: Schlafentzug, zermürbend langes Aufrechtstehen und Demütigungen durch weibliche Soldaten. Rahman sagte, er sei in der ersten Nacht seiner Inhaftierung in eine eiskalte Zelle gebracht worden. Splitternackt wäre er mit kaltem Wasser übergossen worden. Er glaubte sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Militärbasis in Jalalabad. Später, in Bagram, hätten ihn US-Soldaten gezwungen, sich nackt auf den Boden zu legen. Mit einem Stuhl hätten sie ihn niedergedrückt. Die ganze Zeit über wäre er gefesselt gewesen, sogar während des Schlafs. Mit anderen Häftlingen zu reden, war ihm verboten gewesen. Qayyum und Rahman wurden verdächtigt, mit Rohullah Wakil in Verbindung zu stehen, einem lokalen Kommandeur der Provinz Kunar, der 2002 erst in die Loja Dschirga gewählt, dann aber verhaftet wurde und noch inhaftiert ist.
Nach Aussagen Entlassener bestrafte das US-Personal Häftlinge von Bagram, die mit Mitinhaftierten sprachen oder das Wachpersonal anschrien, indem es ihre Handgelenkfesseln für jeweils zwei Stunden über den Zellentüren befestigte. Diese Methode verursachte starke Schmerzen in den nach oben gestreckten Armen.
Im März 2003 dementierte Roger King, US-Militärsprecher in Bagram, daß Mißhandlungen stattgefunden hätten, räumte aber ein: »Wir bringen Leute dazu, für längere Zeit zu stehen... Schlafentzug gilt als effektive Methode, Redehemmungen zu überwinden oder den Widerstand der Befragten zu brechen... Wir untersagen es ihnen, miteinander zu reden. Täten wir dies nicht, könnten sie Pläne schmieden oder sich auf die Unterstützung der anderen verlassen. Wenn sie dennoch miteinander reden, können sie zu gewissen Dingen gezwungen werden, etwa eine Zeitlang zu stehen - als Strafe.«
King sagte außerdem, daß es hinsichtlich des Schlafentzugs eine »gebräuchliche Methode« sei, permanent Licht brennen zu lassen und die Häftlinge alle 15 Minuten zu wecken, um sie zu verwirren.
Verschiedene US-Offizielle, die sich anonym interviewen ließen, räumten ein, daß die Befrager des US-Militärs und des CIA auf den Schlafentzug als Methode setzen; daß Häftlinge mitunter auch gezwungen würden, stundenlang mit schwarzen Kapuzen auf den Köpfen oder gefärbten Brillen vor den Augen in schmerzvollen Stellungen auszuharren. (...)
Human Rights Watch brachte in Erfahrung, daß US-Streitkräfte regelmäßig Afghanen auf dem lokalen Flughafen im Ostteil von Jalalabad festhalten. Viele ehemalige Häftlinge lehnten es ab, mit Human Rights Watch über ihre Erfahrungen in der Gefangenschaft zu sprechen. Einer sagte: »Wir wurden dort wirklich grausam behandelt. Sie taten furchtbare Dinge mit uns. Dinge, die wir nie vergessen werden. Es war schrecklich, was sie taten... Wir können darüber nicht reden. Wir wollen mit Ihnen nicht darüber reden. Wir haben Vereinbarungen getroffen, nicht zu reden, und wir wollen es auch nicht. (...)
Im Dezember 2002 starben zwei afghanische Gefangene auf dem Luftwaffenstützpunkt in Bagram. US-Militärärzte stellten in beiden Fällen nach Autopsien fest, daß die Gefangenen ermordet worden waren. (...) Im Juni 2003 starb ein Afghane in einem Gefangenenlager in der Nähe von Asadabad in der Provinz Kunar. Offizielle US-Militärs in Afghanistan und den Vereinigten Staaten verweigerten die Veröffentlichung jedweder näherer Information über diesen Toten.
* Übersetzung: Sebastian Schulze
<ul> ~ http://www.jungewelt.de/2004/03-13/020.php</ul>
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