-->.......Bankmann schlief sehr unruhig.
All die neuen Eindrücke, die neuen Umstände, die so ganz anders waren, als das, was Bankmann selbst je kennengelernt hatte. Das wühlte ihn doch ganz schön auf.
Fast schien es, als ob im Traume noch einmal die wichtigsten Stationen der letzten Wochen an ihm vorüberzögen.
Die Entlassung aus seiner als bombensicher empfundenen Bankstelle, der Fall in ein ganz tiefes Loch von ziemlich weit oben auf der Karriereleiter hinunter in die muffig-tristen Gänge eines profanes Arbeitsamtes. Die anfänglichen Erwartungen, die Enttäuschungen, die vielen Absagen, und noch schlimmer, die gleich ganz ohne Antwort gebliebenenen Bewerbungen.
In der Bank erfüllte er alle Anforderungen und war unersetzbar, bis man seine Abteilung einfach mit einem Federstrich auflöste. Und nun schien es so, als wären alle diese profunden Fachkenntnisse völlig wertlos, unnötig, unnütz. Und er sei nicht mehr als ein Handlanger und Hilfsarbeiter. Denn etwas anderes als Bank hatte Bankmann ja nie zu Gesicht bekommen.
Und dann der mühsame Alltag in der Brauerei, bei der er gestern einen Job bekommen hatte.
Sein neuer Chef, dem er seinerzeit, als er noch geachteter Kreditsachbearbeiter bei der Raub, Zock- und Beutelschneid-Bank war, den Existenzgründungskredit schroff ablehnte und ihn zur Tür hinauskomplimentierte, gab ihm, dem besseren, dem Nadelstreifengewandeten, nun Lohn und Brot.
Eine geradezu groteske Situation.
Zumal es vom damaligen Bankgehalt nicht nur zu Brot, sondern auch zu Lachshäppchen und Cocktails locker reichte. Sein neuer Gehalt war da schon schmerzlich geringer, ja fast beleidigend klein.
Tja. Auch die Umgangsformen waren hier so anders. Am Brauereihof und in der Abfüllhalle.
Bankmann war es gewohnt, von Akademikern umgeben zu sein, ein vertrauliches Du gehörte zur absoluten Ausnahme, vielleicht gerade mal in der gleichen Abteilung mit der netten Kollegin, die damals am Betriebsausflug so herrlich betrunken war und dann, aber, wie lange schien diese bessere Zeit schon zurückzuliegen.
Bankmann hatte immerhin die Berechtigung für einen Dienstwagen, keine S-Klasse, aber gehobene Mittelkasse, gediegen, und selbstverständlich vorausgesetzt. Natürlich war das Auto mit dem Job auch weg, er mußte jetzt selbst etwas finanzieren.
Wer hätte denn gedacht, daß er, der Top-Verdiener, jemals auf Ersparnisse angewiesen sein würde, bei seiner Position? Deswegen hatte er auch keine Ersparnisse, schließlich war er ja bei einer Bank, einen Engpaß hätte man doch im gleichen Hause locker überbrücken können. Damals. Hätte man. Nur, jetzt war er arbeitslos, und erfüllte das wichtigste Kriterium an eine Kreditvergabe nicht mehr: die Aussichten waren düster.
Zumindest fiel er jetzt morgens nicht auf, wenn er seinen in der Eile billig besorgten 14 jahre alten Golf, oder besser, die blätterigen Reste, die der Rost davon übriggelassen hatte, auf den Mitarbeiterparkplatz parkierte. Denn die zum dunklen Nadelstreifenanzug passenden Hochglanz-Autos wie aus der Bank-Tiefgaage suchte man hier vergebens. In der Brauerei.
Unter der Belegschaft war man durchgehend per Du, wie sich gestern eindrucksvoll herausgestellt hatte.
Gut, etwas Respekt hätte sich Bankmann schon erwartet, immerhin war er neu, und er war immerhin Akademiker. Man hätte das auch anders sagen können. Wenigstens hätte man es in der Bank so gehandhabt.
Nur schien das Mehmet, der den Stapler in der Brauerei fuhr, überhaupt nicht zu interessieren, als er ihn, den ehemaligen Kreidtsachbearbeiter, so etwas wie *Du dumme Sau, hau ab hier* nannte und ihn anschrie, er solle seinen Arsch aus der Einfahrt kriegen, weil gleich der Chef vorbeikäme und der ungern Leerlauf sehen möchte; er solle dort drüben die leeren Fässer packen und auf Paletten stellen, die er in fünf Minuten komplett transportgesichert abzuholen gedenke.
Nein, er sagte das schon direkter, so was, wie: *nimm dort Fass und stell auf Palette, dalli, hörssu, ich komme fünf Minuten, dann fertig, ja?*.
Der drohende Unterton war nicht zu überhören.
Was sollte er denn Fässer stapeln? Er war fürs Büro eingestellt worden, für die Disposition, als Unterstützung in der Buchhaltung, wie kam es dann einem Staplerfahrer zu, ihn herumzukommandieren?
Heute wollte er sich darüber beim Chef beschweren, denn so ging es ja nun nicht.
Aber das Erlebnis steckte tief in ihm und arbeitete, es brannte wie Fieber und ließ ihn sich von einer Seite, und wieder zurück wälzen, immer und immer wieder. Welch eine Demütigung.
Gerade sah er, im Traume, aber so unendlich wirklichkeitsnah, dem Staplerfahrer mitten ins Gesicht, sah seine dunklen, funkelnden Augen, den stoppeligen Mehrtagesbart, und seinen immer hektischen Gesichtsausdruck, als er mit wild pochendem Herzen aufwachte, und sich erst einmal im halbdunklen Schlafzimmer zurechtfinden mußte.
Mühsam tastete sich Bankmann zum Wecker und sah auf das Zifferblatt, welches 5:25 zeigte.
Gut, dann konnte er gleich aufbleiben, in der Brauerei fing man früh an, und Gleitzeit gab es dort nicht.
Bankmann ertappte sich im Badezimmer dabei, daß er sein Äußeres vernachlässigte.
Zu Bankzeiten ging er einmal wöchentlich zur Kosmetikerin, er legte Wert auf passende farbliche Harmonie zwischen Kleidung, Uhr und dezentem unauffälligen Herrenschmuck.
Heute hatte er sich, geradezu automatisch und unbewußt, eine alte Jeans angezogen, dazu ein Holzfällerhemd, und seine dunklen Augenringe dokumentierten ihm im Spiegel, daß er eine harte Zeit der Umstellung durchgemacht hatte.
Krawatte und diamantbesetzte Krawattennadel paßten einfach nicht in das alte Brauereigebäude und den Umgangston dort. Mann, war er weit gesunken. So dachte er wenigstens.
Als er in der Brauerei ankam, war kein Stellplatz mehr frei, und so parkte er sein Auto halt da drüben vor dem braun gestrichenen großen Einfahrstor einer etwas abgelegen stehende Halle.
Am Gelände war es schon geschäftig, und mit einem etwas zwiespältigen Gefühl stieg Bankmann die Eisentreppe hinauf, die zu seinem Büro führte. Eigentlich war es nicht sein Büro, es war ein großer Raum im ersten Stock, der über eine Freitreppe zu erreichen war. Und da hatte er einen Schreibtisch hinten in der Ecke. Einen Schreibtisch, wie man ihn aus alten Gangsterfilmen kennt, oder vom Sperrmüll, wenn alteingesessene Firmen versteigert werden, mit schmalen Holzsegmenten zum Zuziehen bzw. hinunterschieben. Wahrscheinlich war sein Schreibtisch noch aus Adolfs Zeiten, er kann auch noch älter gewesen sein. Egal. Hauptsache, er hatte Arbeit.
Vorne links hatte er ein paar Ablageschalen stehen, darin befand sich auch die für ihm bestimmte Post, die es zu erledigen galt.
Er setzte sich, und begann, den Stapel Papier einmal durchzublättern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was ihn erwarten würde.
Da schrieb zum Beispiel eine Firma, er konnte es kaum entziffern, weil er handschriftlich gekritzelt war, sie ersuchten um die Zusendung von Mustern, um sie ihren Kunden einmal vorstellen zu können, sie hätten konkret Interesse am Mondscheinbier.
Gut, dachte sich Bankmann, das ist ja kein Problem, und so startete er seinen Computer am Arbeitsplatz und tippte einen Antwortbrief:
Sehr geehrte Frau Düselmann,
wir danken Ihnen für Ihr Schreiben, dessen Eingang ich Ihnen hiermit bestätige.
Um ihre Anfrage prüfen zu können, darf ich Sie bitten, mir zunächst einmal ein paar weiterführende Angaben über ihre Firma zu übersenden, insbesondere erwarte ich Kennzahlen wie Umsatz, Umsatzerwartung, einen Businessplan, und eine Marketingplanung betreffend die beabsichtigte Produktpräsentation in Ihrem Hause.
Er wollte gerade weitertippen, mit freundlichen Grüßen, als er hinter sich die Anwesenheit einer Person verspürte, die ihm über die Schulter blickte und mitlas, was er da schrieb.
Es war der Chef.
Bankmann hatte nicht mitbekommen, daß es von hinten her noch einen Zugang ins Büro gab, der Chef mußte von dort hinten gekommen sein, so daß er ihn nicht bemerkte.
Statt eines von Bankmann erwarteten *Guten Morgen* und einer kurzen Konversation sagte der Chef zu ihm schlicht gar nichts, er schüttelte nur mit dem Kopf und bedeutete ihm mit einer Geste, er solle ihm nach draußen folgen.
Sie gingen beide die Eisentreppe hinunter und blieben auf der Rampe unten stehen, von wo aus man den ganzen Hof übersehen konnte.
Hör mal zu, Bankmann, sagte sein Chef,
Bankmann, wir sind hier nicht in einem Wolkenkuckucksheim, sondern wir müssen hier Geld verdienen, und das können wir nur, wenn wir Kunden finden, und wenn wir unsere Produkte verkaufen. Verstehst Du das?
Ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sein Chef fort:
Du kannst in Deinen Brief auch gleich reinschreiben, daß sie ein Bild von sich beilegen soll, und ihre Schuhgröße angeben soll sie auch.
Ja, was denkst Du denn, was die mit Deinem Brief machen wird?
Mann, Bankmann, wir dürfen froh sein, daß sie sich für unser Bier interessiert, und dann kommst Du und willst sie erst mal ausforschen.
Das kannst Du machen, wenn sie für ein paar Zehntausende bestellen will, aber sie hat doch jetzt nur ein paar Freibierflaschen haben wollen?
Komm mal runter von deinem Ast, Junge, Du bist hier in der Wirklichkeit.
Und jetzt gehst Du rauf und schreibst das nochmal. Und bevor Du das rausläßt, kommst Du noch mal zu mir, nein, gib das vorne der Sekretärin, und laß Dir von ihr das OK geben. Hast Du mich verstanden?
Ich muß mal schnell nach dem dummen Arschloch suchen, das sich da drüben vor das Lagertor gestellt hat, fuhr sein Chef fort, wenn ich den erwische, kann der was erleben.
Und weg war der Chef.
Auweia.
Hätte er ihn in dieser Situation nach Mehmet und dem gestrigen Vorfall fragen sollen?
Besser nicht.
Tja. Das ging ja gut an. Das war nicht sein Tag, und das war nicht seine Welt, so viel stand fest.
Wie es weiterging, lassen wir Doktor Bankmann bei Interesse gerne weitererzählen.
Hier und in Kürze.
Beste Grüße vom Baldur
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