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Bereit zur Kontrolle
Big Brother hat seinen Schrecken verloren: Zum Schutz vor Terrorismus fordern die Deutschen mehr Überwachung
http://www.welt.de/data/2004/03/18/252625.html
von Frank Diering und Hans-Jürgen Leersch
Bundesgrenzschutz am Düsseldorfer Flughafen - Foto: dpa - Berlin, Bahnhof Zoologischer Garten. Beamte des Bundesgrenzschutzes sprechen einen jungen Mann an. Routinekontrolle. Er soll seine Papiere vorzeigen und den Rucksack öffnen. Sein Zug nach Basel geht in wenigen Minuten. Er schaut ungeduldig auf die Uhr, bittet die Wachleute um Eile, denn er müsse noch durch die Sicherheitsschleuse. Nicht nur dass sein Gepäck durchs Röntgengerät geschoben wird wie sonst nur auf Flughäfen üblich. Nein, er selbst muss auch noch durch den Iris- und Gesichtsscan des Bundesgrenzschutzes, wo mit Hilfe eines elektronischen Abtastgeräts die biometrischen Daten zu seiner Person europaweit abgeprüft werden.
"Big Brother is watching you?" Weit gefehlt: Das ist ein Blick ins neue Sicherheitsszenario, zu dem die Deutschen nach den verheerenden Anschlägen von Madrid durchaus bereit wären. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid im Auftrag der WELT sind 79 Prozent der 1001 befragten Bundesbürger dafür, auf Bahnhöfen die gleichen Sicherheitskontrollen einzuführen wie auf Flughäfen. Zudem sprechen sich 74 Prozent dafür aus, öffentliche Plätze und Straßen per Videokamera zu überwachen, 61 Prozent hätten gegen mehr Straßenkontrollen der Polizei und des Bundesgrenzschutzes nichts einzuwenden, auch wenn gegen die kontrollierte Person kein konkreter Verdacht besteht. Nur sechs Prozent reichen die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen aus. Vom so genannten"großen Lauschangriff" sind die Deutschen indes nicht sehr überzeugt: Nur 18 Prozent wären bereit, für mehr Sicherheit den Einsatz von Mikrofonen und Wanzen zum Abhören von Wohnungen und in der Ã-ffentlichkeit zu zulassen, mehr Videoüberwachung wollen 24 Prozent.
Auch im Falle neuer Fahndungsmethoden hat die Mehrheit der Deutschen keine Berührungsängste mit Big Brother, um Terroristen und organisierten Kriminellen schneller auf die Spur zu kommen. So würden 87 Prozent den Fingerabdruck im Ausweis und Reisepass akzeptieren; 74 Prozent hätten nichts gegen eine elektronische Kontrolle der Iris des Auges, und 66 Prozent würden sich an den Kontrollpunkten auf Flughäfen und Bahnhöfen auch das Gesicht scannen lassen. Die an Airports bisher praktizierte einfache Ausweiskontrolle zum Abgleichen persönlicher Daten halten nur drei Prozent für ausreichend.
56 Prozent plädieren zudem dafür, dass die Soldaten notfalls auch Aufgaben der Polizei übernehmen und öffentliche Plätze, Bahnhöfe und Flughäfen schützen sowie sich an Passkontrollen beteiligen. Gegen einen solchen Einsatz der Bundeswehr sind 44 Prozent. Nahezu unentschieden ist die öffentliche Meinung, wenn es darum geht, an den Grenzen von Frankreich, Ã-sterreich, Holland, Belgien und Dänemark wieder Grenzkontrollen vorzunehmen: 49 Prozent wären dagegen, 48 Prozent dafür.
Neben dem Bundeswehr-Einsatz im Innern, der von SPD und Grünen strikt abgelehnt wird, verläuft die deutsche Debatte in eingefahrenen Gleisen: So steht wieder einmal die Selbstständigkeit der Landesämter für Verfassungsschutz auf dem Prüfstand. Die Debatte war schon kurz nach dem gescheiterten NPD-Verbots-Verfahren entflammt. Doch daraus dürfte - wieder einmal - nichts werden; bis auf Berlin und Bremen lehnten alle Länder Zusammenlegungen ihrer Ämter strikt ab. Für den CDU/CSU-Innenexperten Hartmut Koschyk ist dies auch nicht die zentrale Frage. Es dürfe nicht um Zentralisierung von Behörden gehen, stattdessen müsse ein besserer Informationsaustausch an erster Stelle stehen. Auch die Kronzeugenregelung müsse wieder her, fordert Koschyk.
Artikel erschienen am 18. März 2004
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