-->Serie von Verfahren gegen Deutschland
Ultimatum zum VW-Gesetz / Verstöße gegen EU-Umweltrecht / Streit um Dosenpfand
bü. BRÜSSEL, 30. März. Wegen zahlreicher Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht hat die Europäische Kommission am Dienstag eine Serie von rechtlichen Schritten gegen die Bundesregierung beschlossen. Politisch besonders brisant ist die seit langem erwartete Einleitung der zweiten Stufe des Verfahrens gegen das Volkswagen-Gesetz, das dem Land Niedersachsen seine starke Stellung in dem Konzern sichert. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich mehrfach persönlich bemüht, das Verfahren doch noch abzuwenden. Die Kommission fordert die Bundesregierung nun auf, die beanstandeten Bestimmungen innerhalb von zwei Monaten so abzuändern, daß das Gesetz den Kapitalverkehr im EU-Binnenmarkt nicht länger behindere. Andernfalls droht Berlin eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Schon im März 2003 hatte die Kommission Änderungen angemahnt, ohne daß die Bundesregierung oder Niedersachsen reagierten. Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein hatte deshalb Anfang 2004 eine schärfere Gangart verlangt, sich aber zunächst in der Kommission nicht durchsetzen können. Bolkestein sieht in dem Gesetz einen ungerechtfertigten Schutz vor feindlichen Übernahmen. In ihrer kombinierten Wirkung bildeten die im VW-Gesetz verankerten Bestimmungen ein potentielles Hindernis für Investoren aus anderen Mitgliedstaaten; damit verstoße es gegen die Gebote der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs, heißt es in der Begründung. Im einzelnen sieht das Gesetz eine Stimmrechtsbeschränkung auf 20 Prozent vor und räumt sowohl Niedersachsen als auch dem Bund das Recht ein, je zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. In Verbindung mit der Sperrminorität von 20 Prozent habe Niedersachsen praktisch die Kontrolle über das Unternehmen.
Gleich in vier Fällen wirft die Kommission Deutschland vor, gegen das EU-Umweltrecht zu verstoßen. Wegen des geplanten Ausbaus des Frankfurter Flughafens hat sie ein neues Verfahren eingeleitet, weil das Land Hessen in seiner Flächennutzungsplanung EU-Sicherheitsvorschriften verletze (siehe Unternehmen). Als besonders eklatant wertet Umweltkommissarin Margot Wallström die Mißachtung der von der EU verlangten Umweltverträglichkeitsprüfungen für Pläne und Projekte, welche EU-Naturschutzgebiete beeinträchtigen können. Vier Bundesländer - Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt - hätten ihr Landesrecht nicht an das Gemeinschaftsrecht angepaßt. Die Frist dafür war im Juni 1994 ausgelaufen. Die Kommission hat ihnen nun ein letztes Ultimatum von zwei Monaten gesetzt. Bei einer Niederlage vor dem EuGH könnten hohe Geldstrafen auf Deutschland zu kommen.
In einem weiteren Verfahren muß sich das Land Niedersachen dafür verantworten, daß es ein Windkraftprojekt im Brualer Moor ohne Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt habe. Dabei geht es um eine Anlage mit siebzehn großen Turbinen. Brandenburg wird von der Kommission vorgeworfen, sich bei der Straßenplanung in den unteren Havel-Niederungen über die EU-Naturschutzvorschriften hinweggesetzt zu haben. Das Gebiet gehöre zu einem Netz von Schutzgebieten (Natura 2000) und unterliege besonderen Bestimmungen.
Neues Ungemach aus Brüssel droht der Bundesregierung auch wegen des Dosenpfands, an dem die Kommission ebenfalls bereits 2003 Änderungen angemahnt hatte. Wie in der Auseinandersetzung über das VW-Gesetz pocht Bolkestein auf Einleitung der zweiten Verfahrensstufe, um den Druck zu erhöhen. Auf Drängen von Kommissionspräsident Prodi hat er sich aber vorerst zu weiteren Gesprächen bereit erklärt. Die Entscheidung über die Verschärfung des Verfahrens ist auf den 20. April vertagt worden. Die Beanstandungen richten sich vor allem gegen die"Insellösungen", mit denen der Einzelhandel Verkauf und Rücknahme von Getränkeverpackungen auf Produkte der eigenen Kette beschränkt.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.03.2004, Nr. 77 / Seite 11
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