-->Die erstickte Flamme
Im letzten Jahr, als der Kanzler noch SPD-Parteivorsitzender war, veröffentlichte der Leiter des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Professor Hans-Werner Sinn, sein mittlerweile bekanntes Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“. Darin hat er Gerhard Schröders späterem Nachfolger das erste Kapitel mit der Überschrift „Schlusslicht Deutschland“ mit den Worten gewidmet: „Für Franz Müntefering, der glaubt, Deutschland wachse nur deshalb so langsam, weil wir schon da sind, wo die anderen erst noch hin wollen.“
Nun nehme ich an, dass Franz Müntefering seinerzeit wohl kaum die vorliegende Krise des deutschen Sozialstaats meinte, sondern wohl eher das Ausmaß der sozialen Absicherung. Die SPD weiß, dass Deutschland auch hier auf Dauer keinen Sonderweg innerhalb der EU gehen kann.
Ob man allerdings dann annehmen darf, dass die Bürger aus anderen Mitgliedstaaten ein derartig umfangreiches Sozialprogramm wie das deutsche für erstrebenswert halten, weiß ich nicht. Und sowenig ich weiß, wo andere Länder in Sachen Sozialstaat hin wollen, so sehr weiß ich, wo wir uns bereits befinden - auf dem falschen Dampfer!
Nach den vom Sozialministerium jüngst veröffentlichten Zahlen haben die Sozialausgaben im Jahr 2002 den höchsten Stand in der Geschichte der Bundesrepublik erreicht. Und sie wachsen weiter. Seit 1960 sind sie von Jahr zu Jahr stetig gestiegen. Es ist nicht ein einziges Jahr ohne spürbare Erhöhung des Sozialbudgets vergangen. In fetten wie in schwierigen Jahren fand eines in jedem Fall statt: die Erhöhung der Sozialausgaben.
Berücksichtigt man bei der Entwicklung des Sozialbudgets die gesamtwirtschaftliche Situation, indem man die entsprechenden Ausgaben ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt setzt, so ergeben sich über die Gesamtzeit hinweg zwar Auf- und Abwärtsbewegungen, doch ist der Trend in den betrachteten 42 Jahren - übrigens ähnlich den Arbeitslosenzahlen - eindeutig steigend. Die niedrigste Quote liegt mit 21,1 Prozent am Anfang, die höchste mit 32,5 Prozent am Ende des Betrachtungszeitraums.
Damit machen die Sozialausgaben inzwischen fast ein Drittel des Werts der hier zu Lande erwirtschafteten Güter und Dienstleistungen aus. Und auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Lage werden für 2003 sowie für das laufende Jahr weitere Rekordzahlen erwartet. Das ist auch für ein Land, das Wert darauf legt, eine „soziale“ Marktwirtschaft zu sein, deutlich zu hoch!
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Läge der Preis für den hohen Grad sozialer Absicherung einfach darin, ein paar Abstriche bei den Wachstumsraten zu machen, könnte man sich zwar immer noch über den Handel streiten, es wären damit aber nicht die Probleme vorliegenden Ausmaßes verbunden. Doch selbst die verteilungsbetonte SPD gewinnt die schmerzliche Erkenntnis, dass Wachstum sich nicht beliebig verteilen lässt. Und so hört man von der neuen Hoffnung der sozialdemokratischen Partei inzwischen auch Worte wie: „Man kann nur verteilen, was man vorher erwirtschaftet hat, und ernten, was man vorher gesät hat.“ Ein Grundsatz, der einem eingefleischten Sozialdemokraten, der gewohnt ist, mit Bedarfsgerechtigkeit zu argumentieren, schwer über die Lippen geht.
Wachstum ist keine erlegte Beute, die man in Ruhe zerlegen kann, weil sie nicht mehr wegläuft. Wachstum ist ein hochkomplexer Prozess, der ähnlich einer Flamme seinen Nutzen nur spenden kann, solange die Verbrennung aufrechterhalten wird. Reicht die Sauerstoffzufuhr nicht aus, erlischt die Flamme. Unser Wachstumsfeuer ist erstickt, weil wir zu viel und auch noch feuchtes Holz darauf gelegt haben. Es wieder neu zu entzünden ist weit schwerer, als ein brennendes Feuer am Leben zu erhalten.
Und so erhöhen sich von Jahr zu Jahr nicht nur die Arbeitslosenzahlen und die Sozialausgaben, sondern auch die Anforderungen an die Reformen. Je schmerzlicher wiederum die Reformen sein müssen, desto schwieriger wird es, sie durchzusetzen. Und je größer die Kompromisse werden, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Holzhaufen wieder Feuer fängt. Ein Teufelskreislauf!
Dieser Zusammenhang gilt leider völlig unabhängig von dem Wunsch, alle Bürger mit einem Höchstmaß an Absicherung durch die Gemeinschaft zu versorgen. Man kann das wünschen und trotzdem einsehen, dass es nicht funktioniert. Ludwig Erhard schrieb schon in den Fünfzigern mahnende Worte über die Gefahr, aus der Sozialen Marktwirtschaft einen Versorgungsstaat zu machen. Er nannte es einen „modernen Wahn“, alles absichern zu wollen.
Leider sind seine schlimmsten Befürchtungen eingetreten. Wir haben vieles gesichert, darunter die stetig steigende Arbeitslosigkeit. Wodurch Erhard wirklich überrascht worden wäre, hätte er damals die Zahlenreihen der letzten 42 Jahre schon einsehen können, ist die Tatsache, wie lange es möglich war, einer vernünftigen Kursänderung auszuweichen.
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<ul> ~ handelsblatt</ul>
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