-->Der gläserne Arbeitslose
Wer nächstes Jahr das neue Arbeitslosengeld II beziehen will, muss sich völlig offenbaren. Viele dürften beim Ausfüllen des 16- seitigen Antrages Probleme haben
Von Jörg Marschner
Sie besitzen weder Edelmetalle noch Antiquitäten, weder Gemälde noch irgendwie anderes Vermögen. Insofern fällt ihnen die Beantwortung der Frage 6 vom „Zusatzblatt 3“ nicht schwer. „Und wenn ich was hätte, würde ich es nicht reinschreiben“, sagt Jörg Persicke, 42, „ist doch so schon alles Schnüffelei.“ Nur Peter Schmidt(*), 52, zu Hause an der Elbe in einem Dorf oberhalb von Rathen, sagt: „Ich würde es nicht verschweigen. Die wollen doch sogar Hausbesuche machen.“ Dass die Arbeitsamtsleute kein Recht zur Wohnungsdurchsuchung besitzen, weiß er nicht.
Sechs Arbeitslosen hat die SZ vorgestern jene 20 Seiten vorgelegt, die die Agenturen für Arbeit ab 19. Juli bundesweit verschicken, darunter den 16-seitigen „Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten BuchSozialgesetzbuch (SGB II)“. Im Kurztext: Es geht um das neue Arbeitslosengeld II, mit dem ab Januar nächsten Jahres die jetzige Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammengefasst werden.
„Ist ja unglaublich!“ Jörg Persicke schüttelt den Kopf. „Vater Staat will wirklich alles wissen.“ Größe der Wohnung, Baujahr, Heizkosten, Versicherungsnummer, Bargeld, Girokonten, Geldanlage bis zum geschätzten Wert des Autos. „Bei dem haben wir Glück“, sagt Persicke. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Hannelore Werner fährt er einen acht Jahre alten Toyota, der wird nicht mehr als Vermögen angerechnet. Hätte er von irgendwem eine Luxuslimousine geschenkt bekommen, müsste er die verkaufen. Hannelore Werner muss auch ihre fondsgebundene Rentenversicherung nicht auflösen. „Die hab ich erst seit drei Jahren, da ist noch nicht viel drauf.“
„Manche mogeln sich durch - ich doch nicht“
Für die Frage, ob sie „mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen“ können, haben die beiden Pirnaer nur ein bitteres Lächeln übrig. „Was heißt drei Stunden?“, fragt Persicke. Der gelernte Facharbeiter für Anlagentechnik geht jede Woche mindestens einmal zum Pirnaer Arbeitsamt, surft im Angebot-Service, fragt nach. Er hat inzwischen Computer- und Gabelstaplerlehrgänge absolviert, die Berechtigung für Hochdruckheizen erworben, aushilfsweise in einer Zimmerei und einer Küche gearbeitet. „Ich weiß, manche mogeln sich durch, ohne zu arbeiten, aber ich doch nicht“, sagt der 42-Jährige. Für sich selbst sieht Persicke, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, in dem Papier eine Zumutung.
Hannelore Werner, gelernte Köchin, wurde aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Die 48-Jährige sieht für ihre Zukunft schwarz. Für eine richtige Umschulung sei sie zu alt, habe man ihr gesagt. Arbeiten könne sie laut Arzt nur noch unter bestimmten Bedingungen. Wenn alles so kommt wie befürchtet, haben Jörg Persicke und Hannelore Werner mit dem „Alg II“ über 150 Euro weniger als mit der jetzigen Arbeitslosenhilfe. Ob Frau Werner die private Rentenvorsorge dann noch weiterführen kann, weiß sie nicht.
Peter Schmidt, gelernter Maurer, längere Zeit Lagerist und seit August vorigen Jahres ohne Job, erlebt bereits jetzt, was für viele erst nächstes Jahr Realität wird. Seit drei Monaten bekommt der 52-Jährige keinen Cent mehr vom Arbeitsamt. Schmidt besitzt nämlich ein kleines Haus. In absehbarer Zeit sollten davor Straße, Gehweg und Beleuchtung gebaut werden, wozu jeder Eigentümer sein Scherflein beisteuern muss. Dafür hatte Schmidt einige tausend Euro zur Seite gelegt. Nun wird aber nicht gebaut, und Schmidt hat das dem Amt mitgeteilt. Außerdem läuft ein Bausparvertrag und eine Kapitallebensversicherung. „Ich hab gemacht, was von den Politikern immer fürs Alter empfohlen wurde, ich hab mir das abgespart.“ Jedenfalls gilt Schmidt nun als zu vermögend, um noch Arbeitslosenhilfe zu bekommen. „Ich lebe von der Substanz.“ Der Mann ist doppelt geplagt, denn vor zwei Jahren stand die Elbe in seinem Haus zwei Meter hoch, und der Sandstein ist immer noch nicht trocken. Deshalb kann er derzeit auch keine Angebote etwa in Riesa oder Chemnitz annehmen, denn abends muss er am Haus werkeln. Vom Arbeitsamt hat er seit vorigen August nicht ein Angebot bekommen.
Als Schmidt die 20 Seiten durchliest, sagt er einmal leise: „Du kriegst die Krise.“ Dann: „Das macht mir Angst.“ Ihn bewegt, wie wohl sein Haus bewertet wird, wenn wieder alles in Ordnung ist. Immerhin könnte er dann eine Wohnung vermieten und bekäme dann vielleicht gar nichts vom Amt. „Ans Alter will ich gar nicht denken.“ Aber auch Schmidt hegt noch Hoffnung. „Ich will ja arbeiten! Ich will raus aus dem Schlamassel!“
„Ich mach die Mücke und fang in Südtirol an“
Ein wesentlich jüngerer Mann, der gerade das Pirnaer Arbeitsamt verlässt, macht sich weniger Sorgen. Über sich sagt er nur: „Bin Maurer, wohne in Stolpen, lebe allein, aber im Haus meiner Mutter. Wird nun etwa künftig deren Rente mit angerechnet?“ Der Mann kann beruhigt werden, das ist nicht der Fall. „Ist ja auch egal“, sagt der Stolpener. „Ich werde nach Ã-sterreich gehen.“ Da war er schon mal sechs Monate und ist nur wieder heimgekommen, weil er hier etwas in Aussicht hatte, was sich aber zerschlug. „Nee, das hier mach ich nicht mehr mit!“
In den drei Stunden vorm Pirnaer Arbeitsamt treffen wir noch einen, den der 16-Seiten-Antrag nicht interessiert: Dirk Rosner (*), 24. „Ich mach die Mücke. Diesen Freitag fang ich in Südtirol als Koch an“, sagt er strahlend. „Kost und Logis frei und gut über 1 200 Euro auf die Hand.“ Beim Arbeitsamt war er nur noch wegen der Reisekosten nach Südtirol. Ilona Martens (*), 24, hat auf ihren Kumpel gewartet und sich inzwischen die 20 Seiten angeschaut. „Furchtbar“, sagt sie und ist schnell fertig. Bei den meisten Fragen kann die Fachverkäuferin Striche machen. Sie lebt allein bei der Mutter, hat nichts, was auch nur entfernt an Vermögen erinnert. Heute war sie nur auf dem Arbeitsamt, um sich nach drei Wochen Erdbeerernte wieder arbeitslos zu melden. „Zum Einsatz wurden wir vergattert, sonst wäre die Leistung gekürzt oder gestrichen worden.“ Zum Erdbeer-Verdienst sagt Ilona: „War ein Witz.“ In der ungewohnten Arbeit hohe Leistung zu bringen, schafft nicht jeder. Dass sie nächstes Jahr nur noch 331 Euro im Monat bekommt, erschüttert sie kaum: „Jetzt kriege ich nur wenig mehr.“ Die Antragsfrage, ob sie drei Stunden täglich arbeiten könne, bezeichnet sie als „blöd“. „Ich würde alles machen, was ich kann und wenn es nicht nur ‘nen Hungerlohn gibt.“
Manchmal holen Werner Rößler und seine Frau die Bilder vom Urlaub in der Dominikanischen Republik hervor. Das war 2001 zu ihrer Silberhochzeit....................
<ul> ~ und hier Rest </ul>
|