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Über die Notwendigkeit aus der Kirche auszutreten
Essay von Karlheinz Deschner
Warum betrachten wir noch eine Leiche? Den Riesenkadaver eines welthistorischen Untiers? Die Reste eines Monstrums, das ungezählte Menschen (Brüder, Nächste, Ebenbilder Gottes!) verfolgt, zerfetzt und gefressen hat, mit
dem besten Gewissen und dem gesündesten Appetit, eineinhalb Jahrtausende lang, wie es ihm vor den Rachen kam,wie es ihm nützlich schien, alles zur höheren Ehre seines Molochs und zur immer größeren Mästung seiner selbst:
Väter und Mütter, Kinder und Greise, Kranke und Krüppel, die Armen im Geiste und die Genies, Millionen Heiden, Millionen Juden, Millionen Hexen, Millionen Indianer (wenigstens fünfzehn Millionen einer Generation!), Millionen
Afrikaner, Millionen Christen, alles verteufelt, getötet und verdaut ; bis hin zu jenen siebenhunderttausend serbischen Orthodoxen, die man, noch in unseren Tagen, lebendig begraben, lebendig verbrannt, lebendig gekreuzigt, zu Tode
geprügelt, ertränkt, erschossen, erstochen, erdrosselt, erhängt, geköpft, gekehlt hat, denen man die Augen ausgestochen, die Ohren abgeschnitten, die Nasen, und alles nach altem Brauch, mit Hilfe einer hochaktiven, selber
schießenden, selber stechenden, selber köpfenden Geistlichkeit ; voran die Franziskaner! Und nicht ohne Segen und Billigung Eugenio Pacelli, Papst Pius' XII., diese stets so seraphisch erscheinenden, so weithin verehrten, fast
vergötterten Asketen, derart genügsam sonst, selbstlos, derart lebenslang dem Armutsideal des Evangeliums ergeben, daß er, (ja, ich muß es unaufhörlich wiederholen) auf Erden schließlich nur einen Notgroschen hinterließ,
einen Peters- oder sozusagen Eugeniopfennig, einen Pacellipfennig von 80 (achtzig) Millionen DM in Gold und Valuten; alles ganz privat, durch Fleiß und Sparsamkeit, sauer selbst verdient (denn nur eines ist not, nicht wahr),
weshalb er nun auch für solch apostolischen Wandel, solch schöne Nachfolge Christi seiner Kanonisation entgegengeht. Ah, welche Satire der Weltliteratur ist besser, so gut, halb so gut nur wie diese Vita des berühmtesten
Papstes unserer Zeit!? Und indes Onkel Eugenio, heilig bis in die zarten, schmalen, langen Finger (ach, wie unvergeßlich verstand er doch immer mit ihnen zu segnen!), sich 80 Millionen in den Säckel steckte, stopften seine drei Neffen, alle bestbestallt zugleich beim Heiligen Stuhl und beim Big Business, sich 120 (einhundertwanzig)Millionen in die Taschen; und wie viele Millionen Katholiken sind unterdessen im Elend verkommen, verhungert, verreckt?
Nun, wird unsere Eingangsfrage nicht schon verständlicher, unsere scheinbar so anachronistische Autopsie: warum stehen wir noch immer bei diesem Scheusal mit den Engelszungen, das doch schon zweihundert Jahre tot ist, einwandfrei erlegt von einigen der besten Köpfe der Welt, im Grunde aber krepiert nur an sich selber: an seinem fürchterlichen Blutdurst (während es die Frohe Botschaft lehrte, die Nächsten- und die Feindesliebe) und an seiner Falschheit ohnegleichen (während es sich als Hort alleinseligmachender Wahrheit pries)? Wir stehen noch bei ihm, weil es mit seinem wunderbaren Magen; dem einzig Wunderbaren an ihm noch immer überall herumliegt und öffentlich verwest, gehätschelt und gepäppelt mehr als die heiligen Kühe der Inder (die doch wenigstens lebendig und arglos sind), weil sein Geruch noch immer rings die Luft erfüllt, die Welt, weil er noch immer uns entgegenschlägt aus Kutten und Soutanen, Kathedralen und Kasernen, aus den Parlamenten, den Paragraphen, den Schulbüchern, den Schundblättern, den Sendern, überall noch Mittelalter, überall noch frommes Geplärr, Hallelujagejauchz und Auferstehungsgeschrei, und dann: Helm ab zum Gebet und hinein ins atomare Massengrab, denn selbst Atomkrieg ist nach den Catch-as catch-can-Christen nicht unerlaubt, auch Atombomben, so verkünden sie, können in den Dienst der Nächstenliebe treten, können den Geist des heiligen Franziskus und der Theologie des Kreuzes kolportieren, und sei es bis zum globalen Untergang.Denn, so Pater Gundlach S.J., Professor und Rektor der Päpstlichen Universität unter Pius XII., dessen atomare Visionen (après nous le dèluge) er beredt propagierte, wir haben erstens sichere Gewißheit, daß die Welt nicht ewig dauert, und zweitens haben wir nicht die Verantwortung für das Ende der Welt,. Wir können dann sagen, daß Gott der Herr.......Wirklich, noch nach dem Untergang der Welt? Wem sagen sie es da wohl?
Aber egal, bei ihnen ist kein Unsinn unmöglich und kein Verbrechen. Hauptsache: Mit Gott dem Herrn. Von Generation zu Generation in seinem Namen gelogen, gefoltert und massakriert, mit seiner Hilfe die Bäche und Flüsse rot gefärbt von Blut und Berge von Leichen aufgetürmt durch die Geschichte, mit Gott gegen die Heiden, mit Gott gegen die Juden, mit Gott gegen die Langobarden, die Sachsen, die Sarazenen, die Ungarn, die Briten, die Polen, mit Gott gegen die Albigenser, mit Gott gegen die Waldenser, mit Gott gegen die Stedinger, die Hussiten, die Geusen, die Hugenotten, die Bauern; mit Gott gegen die Protestanten, mit Gott gegen die Katholiken, mit Gott vor allem auch gegeneinander, mit Gott in den Ersten Weltkrieg, mit Gott in den Zweiten, mit Gott gewiß auch noch in den dritten, ökumenische Schlachtfeste sondergleichen: Denn überall noch im ausgehenden 20. Jahrhundert bei einem Maximum an Vernichtungsmitteln ein Minimum an Menschlichkeit, noch an der Schwelle des Atomzeitalters das reinste Kannibalenethos, noch überall während man schon den Fuß auf den Mond setzt (freilich nur, um von dort aus einmal weiter zu morden) die mittelalterliche Schindangergesinnung, noch überall der von Weihrauch, Palestrina und Pater-Leppich-Zungen durchsetzte christliche Ludergeruch, noch vierhundert Jahre nach Giordano Bruno, dreihundert Jahre nach Pierre Bayle, zweihundert nach Voltaire, hundert nach Nietsche, fünfzig nach Freud nur so beschämend, so verhängnisvoll wenige, welche endlich eine Kirche verlassen, die ihre Vorfahren, Generation um Generation, nicht nur ständig den Staaten ans Messer geliefert oder gleich selber getötet, sondern die sie auch eineinhalb Jahrtausende lang aufs ungeheuerlichste ausgepowert hat, eine Kirche, die schon Karl Kautsky die riesenhafteste Ausbeutungsmaschine nannte, die die Welt gesehen.
Nicht ohne Grund haben, ausgerechnet die Päpste, die Stellvertreter Christi, sich derart freilich das größte, das kompromittierendste Armutszeugnis der Weltgeschichte gebend, das Lesen der Bibel in der Volkssprache von Jahrhundert zu Jahrhundert streng verboten, ja bis 1897 abhängig gemacht von der Genehmigung der Römischen Inquisition! Denn all die Massaker, die Genocidkampagnen, die Heidenschlächtereien, Judenprogrome, Ketzerjagden,
die Scheiterhaufen, Marterpfähle, Hexentürme, Folterkammern, Kreuzzüge, all die angeblich so gottgefälligen Gemetzel, all die ungezählten kleinen und großen Kriege, an denen die Kirche direkt oder indirekt beteiligt war (und an wie vielen Kriegen in Europa war sie es nicht!) wie all dies Morden absolut nichts mit dem zu tun hat, der doch den Frieden und die Feindesliebe wollte, so widerspricht auch die seit der Antike unvorstellbares Elend verbreitende klerikale Ausbeutungspolitik kraß jenem Jesus, der in der Bibel in völliger Armut lebt, scharf den ungerechten Mammonund den Betrug des Reichtums geißelt, von seinen Jüngern den Verkauf des ganzen Besitzes fordert und eine Verkündigung des Evangeliums ohne Geld im Gürtel.
Doch schon im 3. Jahrhundert gestehen sich die Bischöfe das Recht zu, ihren gesamten Bedarf aus der Kirchenkasse zu decken. Im 4. Jahrhundert werden sie Bundesgenossen eines Staates, der seine Untertanen aussaugt bis aufs
Blut. Und im 5. Jahrhundert bereits ist der Bischof von Rom der größte Grundbesitzer im Römischen Reich. Längst dämpft man überall das politische Aufbegehren, unterdrückt die christlichen Sozialunruhen in Afrika, Spanien und
Gallien und verheißt beredt den Armen das Glück im Jenseits, nicht zuletzt um sie selber im Diesseits desto besser schröpfen zu können.
Schon im 6. Jahrhundert erhebt man, Anlaß unendlichen Jammers, den dann durch Karl den Sachsenschlächter legalisierten kirchlichen Zehnt und zieht diesen bis ins 19. Jahrhundert ein. Im 8. Jahrhundert ergaunert man sich den Kirchenstaat, läßt ihn durch fränkische und sächsische Herrscher immer wieder bestätigen und vergrößern und kämpft schließlich, selber bis an die Zähne gerüstet, mit eigenem Heer und eigener Marine fort. Man raubt alles was zu rauben
ist, Burgen, Schlösser, Städte, ganze Grafschaften und Herzogtümer. Man stiehlt alles, was zu stehlen ist: schon im 4. Jahrhundert das Vermögen der heidnischen Tempel, im 6. Jahrhundert das Vermögen aller Heiden überhaupt, dann den Besitz von Millionen vertriebener oder erschlagener Juden, das Hab und Gut der verheizten Ketzer und Hexen. Und wie man alle Andersdenkenden ausnimmt, so auch die eigenen Gläubigen durch immer neue und höhere Steuern, durch Pacht, Zins, Erpressungen, Ablaß, Wunderschwindel, Reliquienbetrug, wobei das Geld häufig durch Exkommunikation, Interdikt und das Schwert eingetrieben, das italiensiche Volk begreiflicherweise am meisten ausgeplündert und Rom selbst zur aufrührerischten und armseligsten aller abendländischen Städte wird: seine
Einwohnerzahl sinkt von zwei Millionen in heidnischer Zeit auf knapp 20 000 im 14. Jahrhundert.
Im Mittelalter besitzt die Kirche nicht allein durch Raub und Krieg, gewiß, sondern auch durch die Dotination jener, mit denen sie dabei verbündet war ein Drittel des gesamten europäischen Bodens und läßt ihn durch hörige Bauern bearbeiten, die ihren Herren oft weniger gelten als das Vieh. Nicht zufällig kostet ein solcher Bauer in der Blütezeit des Christentums nicht einmal halb soviel wie ein Pferd! Nicht zufällig besitzt die Kirche, die schon im 4. Jahrhundert, billiger Arbeitskräfte für ihre immer größer werdenden Güter bedürfend, die Sklaverei verschärft und gefestigt hatte, zuletzt wohl am meisten Sklaven. Nicht zufällig macht sie, was es sonst nirgens gibt, auch deren Freilassung als Kirchengut unmöglich, ja sie verhängt von Jahrhundert zu Jahrhundert neue Versklavungen. Nicht zufällig nimmt das Gottesgeschenk, wie es Kirchenlehrer Ambrosius, das Christliche Institut wie es nach Thomas von Aquin Aegidius von Rom nennt, im ausgehenden Mittelalter in Südeuropa noch einen Aufschwung. Nicht zufällig hält man unter allen Großstädten Europas das päpstliche Rom am längsten daran fest. Und nicht zufällig wird noch die moderne
amerikanische Negersklaverei, eine unmittelbare Fortsetzung der Sklaverei des Mittelalters, mit denselben theologischen Argumenten gestützt: Der religiösen Gleichstellung und der Gottgewolltheit: Mit anderen Worten:
gehorchte der Sklave früher nur aus Ohnmacht, aus bloßer Furcht, machte ihm die Kirche den Kadavergehorsam zu einer sittlichen Pflicht! (Und wie ihm, so im Grunde allen, allen Soldaten, allen Zivilisten, allen Christen überhaupt.)
Denn stets stand die Kirche auf seiten der Sklavenhalter, der Ausbeuter, die christliche Kirche jeder Konfession: die katholische, die schon in der Antike durch Augustin das Ideal der arbeitsreichen Armut pries, die Sklaven mit der
Gottgewolltheit ihres Loses tröstete, ihren Herren aber den Nutzen vostellte, der ihnen aus solcher Beeinflussung der Sklaven erwächst; die Kirche Luthers, der selber sogleich in der pfäffischen Weise die fürchterlich geschundenen
Bauern an die Fürsten verriet, deren Macht dadurch bis ins 20. Jahrhundert stärkend; die Englische Hofkirche, die das entsetzliche Elend der englischen Land- und Fabrikarbeiter in vielem schlimmer als die antike Sklaverei noch während des ganzen 19. Jahrhunderts völlig kalt gelassen und die eher noch, wie Marx schreibt, den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf 1/39 ihres Geldeinkommens verziehen hat; und die Orthodoxe Kirche Rußlands, die dort ein Drittel allen Bodens sogar bis 1917 besaß und das Volk nicht weniger auspreßte als der Zar, dessen oberster Macht sich unterzuordnen, wie es gleich im ersten Artikel des Russischen Reichskodex hieß, Gott selbst befiehlt Immer, wie gesagt, in Gottes Namen. Die Kriege in Gottes Namen. Und die Armut in Gottes Namen. Und wie gestern, so heute, wo sich die Methoden zwar, wohlgemerkt: zwangsläufig geändert haben, die Ausbeutung aber geblieben ist.
Denn woher das ungeheure Kapital, das die Kirchen bis heute horten? Allen voran die katholische, die noch immer über den größten Grundbesitz in der christlichen Welt verfügt, deren Aktien- und Kapitalbeteiligungen schon vor einem Jahrzehnt auf etwa 50 Milliarden Mark geschätzt worden ist, der allein in Rom fast ein Dutzend Banken unterstehen, der auch die größte Privatbank der Welt, die Bank of America, mit 51 Prozent faktisch gehört, die hohe Geldreserven in Fort Knox liegen und Kapitalien in allen möglichen Unternehmen investiert hat, in große spanische Firmen, in französische Erdölgesellschaften, argentinische Gas- und Kraftwerke, bolivianische Zinngruben, brasilianische
Gummiwerke, in die nordamerikanische Stahlindustrie, die General Motors Corporation, die Alitalia, die größte italienische Luftfahrtsgesellschaft, und die Autofirma Fiat, in eine lange Reihe führender italienischer Versicherungs-
und Baugesellschaften, in deutsche Lebens- und Sachversicherungen, die Badische Anilin- und Sodafabriken, die Farbenfabriken in Leverkusen, die Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft, die Hamburger Elektrizitätswerke, die Essener Steinkohlenbergwerke, die Rheinischen Stahlwerke, die Vereinigten Deutschen Metallwerke, die Süddeutsche Zuckeraktiengesellschaft, die Gesellschaft für Lindes Eismaschinen, in die Siemens & Halske AG, die Mannesmann AG, bei BMW usw., usw., von den kircheneigenen Banken nicht zu reden......
Kirche, Krieg und Kapital sind von Konstantin bis heute so miteinander verschmolzen, so offenkundig zu einer einzigen Geschichte des Grauens verquickt, daß ihre Verteidiger jetzt freilich selber bekennen, daß an ihnen nicht alles ideal und göttlich sei, daß gerade die irdische Geschichte manchmal recht menschlich, vielleicht allzumenschlich verlaufe.
Nun heißt es aber doch den Begriff des Menschlichen und selbst Allzumenschlichen etwas arg strapazieren, wenn man ausgerechnet als dezidierte Religion der Nächsten- und der Feindesliebe nicht einmal, nicht zehnmal, nicht
hundertmal, sondern eineinhalb Jahrtausende lang seine Nächsten und Feinde schlimmer abschlachtet und abschlachten läßt als das Vieh; wenn man, direkt und indirekt, mehr Menschen umgebracht hat als jede andere Religion der Welt, ja vermutlich mehr als alle anderen zusammengenommen! Und es heißt doch wohl den Begriff des Menschlichen und selbst Allzumenschlichen etwas arg strapazieren, wenn man ausgerechnet in der Nachfolge dessen, der den schroffen Antikapitalismus der jüdischen Propheten und der in Gütergemeinschaft lebenden Essener aller Rigorosität fortsetzte, der lehrte: Sammelt nicht Schätze auf Erden Verkauft euren Besitz und gebt ihn den Armen Keiner von euch kann mein Jünger sein, der nicht auf alles verzichtet, was er besitzt und dergleichen - wenn man ausgerechnet in dieser Nachfolge um es noch einmal mit Kautsky zu sagen, zur riesenhaftesten Ausbeutungsmaschine der Welt wird, ja, wenn man, nach großen Verlusten in aufgeklärten Zeiten, in unserem Jahrhundert im Verein mit Gott und allen Supergangstern des Faschismus ; von Mussolini über Hitler bis zu Franco und Pavelic wieder die kolossalsten Reichtümer erringt, sie durch Bettel, Spenden, Steuern und eine immense Beteiligung an der europäischen- amerikanischen Großindustrie, einschließlich der Kriegsindustrie, fortwährend
steigert, steigern muß, wie man gern zugibt, weil außer der Militärseelsorge und der menschlichen Dummheit allein noch das Geld der Fels Petri ist, das Fundament, auf dem das Christentum (nicht nur) Roms heute beruht, worauf es
verwest, bedeutend nur noch für die Schädel von Primitiven und Profiteuren.
Man räumt ja ein, daß die Ideale des Evangeliums sehr hochgesteckt sind, daß man Christentum und Kirchen nicht schon deshalb verdammen darf, weil sie diese Ideale nicht ganz, nicht halb oder, wenn Sie wollen, noch weniger
realisieren. Aber es faßt, um es zu wiederholen, den Begriff des Menschlichen und Allzumenschlichen doch etwas weit, wenn man von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Jahrtausend zu Jahrtausend genau das Gegenteil realisiert, kurz, wenn man durch seine ganze Geschichte als Inbegriff und leibhafte Verkörperung und absoluter Gipfel welthistorischen Verbrechertums ausgewiesen ist! Eines Verbrechertums, neben dem selbst ein hypertropher Bluthund wie Hitler noch
fast wie ein Ehrenmann erscheint, weil er doch von Anfang an Gewalt gepredigt und nicht, wie die Kirche, den Frieden!
Der grelle Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit zeitigte übrigens bald ein untrügliches Hauptkennzeichen jedweden Kirchenchristentums: den seit der Antike in ihm herrschenden, die Existenz von sechzig christlichen Generationen
vergiftenden Faktor fortgesetzter Heuchelei; förderte eine buchstäblich unglaubliche Exegetenkunst im Drehen und Wenden aller ethisch wesentlichen Jesusworte, man log dazu und log hinweg, man log hinein und log heraus, stets
wie man es gerade brauchte, weit mehr Zynismus und Charakterschwäche im Kopf als Redlichkeit und Humanität.
Sind die christlichen Kirchen doch überhaupt nicht nur pazifistisch und sozial gesehen tödlich diskreditiert, sondern auch unter einen dritten, noch zu betrachtenden Aspekt, ich meine unter dem der Wahrheit. Denn es stimmt doch alles schon mit ihren Glaubensfundamenten nicht! Unterstellt deshalb sogar, diese Kirchen könnten sich plötzlich, nach so vielen Jahrhunderten des Raubens und des Mordens, zu ethisch intakten Gemeinschaften regenerieren, ja zum
Inbegriff der Menschlichkeit (was faktisch, weil sie vom Blut, das sie den Staaten liefern, leben, ausgeschlossen ist): dann wären sie doch immer noch dogmatisch unglaubwürdig, da sie mit Jesus so gut wie nichts verbindet, dagegen
fast alles von ihm trennt was wir erfreulicherweise weniger von bösen Freigeistern wissen als von ganzen Generationen christlicher Theologen, deren eminente Arbeit und Akribie bei der kritischen Bibelforschung der Laie sich
kaum vorstellen kann.
Wir wissen nicht sicher, ob die Gestalt des Jesus von Nazareth über die alle außerchristlichen Geschichtsquellen seines Jahrhunderts (trotz der Blinden, die sahen, der Lahmen, die gingen, und der Toten, die wieder auferstanden)
schweigen historisch ist. Doch wir wissen sicher, daß der biblische Jesus dessen radikalem Ethos, wie unrealisierbar durch die Massen auch immer, höchste Achtung gebührt sich in seiner felsenfesten Überzeugung vom nahen Weltende und baldigen Kommen des Gerichts getäuscht hat: wie alle anderen apokalyptischen Alarmschläger, die endzeitlichen jüdischen und iranischen Propheten vor ihm und die ganze Urchristenheit noch danach.
Wir wissen sicher, daß die Evangelien von führenden Theologen unseres Jahrhunderts als an der Geschichte nicht interessierte, nur mit äußerste Vorsicht zu benutzende Anekdotensammlung charakterisiert weder von einem
Urapostel noch überhaupt von einem Augenzeugen stammen; daß sie erst Jahrzehnte nach Jesu mutmaßlichem Tod aus umlaufenden Erzählungen sowie eigenen Erfindungen der Evangelisten zusammengestellt worden sind und auch der Christenheit bis weit ins 2. Jahrhundert hinein nicht als heilig und inspiriert gegolten haben; daß kein Evangelium, wie überhaupt keine biblische Schrift, im Original, im ursprünglichen Wortlaut vorliegt, sondern nur in Abschriften von Abschriften; daß die Kopisten länger als zwei Jahrhunderte unabsichtliche und absichtliche Änderungen gemacht, Harmonisierungen, Ergänzungen, Verbesserungen, weshalb der originale Bibeltext oft nicht mit Sicherheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit festzustellen, dafür aber die Zahl der verschiedenen Lesarten auf schätzungsweise 250 000 gewachsen ist.
Wir wissen sicher, daß im Christentum, wie in der gesamten Antike, frommer Betrug von Anfang an erlaubt gewesen, daß er gewissermaßen zu den literarischen Gepflogenheiten der Zeit gehörte; weshalb nicht nur Paulus, unter dessen
Namen selber einige biblische Briefe ganz, andere zum Teil gefälscht sind, bekennt, es komme nur darauf an, Christus zu verkünden, mit oder ohne Hintergedanken sondern Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos, der Patron der Prediger, ganz offen und sogar unter Berufung auf Beispiele des Alten und Neuen Testaments für die Notwendigkeit der Lüge zum Zweck des Seelenheils eintritt; wie selbst Origenes, einer der größten und edelsten Christen, mit aller
Entschiedenheit Betrug und Lüge als Heilmittel erlaubt. Nietzsches Definition des Christentums als Kunst heiligen Lügens wird denn auch durch die gesamte protestantische Bibelkritik bestätigt. Die Fälschungen schreibt heute der
Theologe Carl Schneider in seiner großen Geistesgeschichte des antiken Christentums beginnen in neutestamentlicher Zeit und haben nie aufgehört.
Wir wissen sicher, daß Jesus vom ältesten Markustext über die jüngeren Evangelien des Matthäus und Lukas bis zum jüngsten Johannesevangelium mehr und mehr vergottet, aber auch noch bis ins 3. Jahrhundert hinein meist nicht mit
Gott indentifiziert, sondern diesem deutlich untergeordnet worden ist, was allgemeine Kirchenlehre war! Wir wissen sicher, daß die jüngeren Evangelien die älteren systematisch verbessert, daß sie nicht nur die Gestalt Jesu, sondern
auch die seiner Jünger von Mal zu Mal mehr idealisiert und die Wunder fortwährend vermehrt und gesteigert haben.
Wir wissen sicher, daß auch die Urapostel Jesus nicht für Gott hielten, daß das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis weder von den Aposteln stammt noch ihre Glaubensüberzeugung wiedergibt, daß es erst im späteren 2. Jahrhundert in Rom entstanden, sein Wortlaut aber noch im 3. Jahrhundert überall in Fluß gewesen und endgültig erst im Mittelalter festgelegt worden ist.
Wir wissen sicher, daß Paulus, der eigentliche Gründer des Christentums, Jesu Person weitgehend ignoriert und seine Lehre fundamental verändert hat, daß er nicht nur die Askese, die folgenschwere Verachtung der Frau und die
Diffamierung der Ehe im Christentum eingeleitet, sondern auch eine Reihe ganz neuer, der jesuanischen Botschaft strikt widersprechender Dogmen aufgestellt, wie die Prädistinationslehre, die Erlösungslehre, die gesamte Christologie; daß es zwischen ihm und den Jerusalemer Aposteln zu lebenslangen theologischen Kämpfen kam, wie es überhaupt im Christentum, selbst in der Urgemeinde, niemals einheitliche Glaubensvorstellungen gegeben, wohl aber im 3. Jahrhundert schon viele Dutzende, im 4. Jahrhundert schon Hunderte rivalisierender Konfessionen unter denen schließlich der Katholizismus siegte, weil er alles, was ihm paßte von den anderen großen Häresien übernahm, dabei aber geschickt gewisse Extreme vermied, weil er am besten organisiert und im Konkurrenzkampf am brutalsten
war. Ist doch die ganze Dogmengeschichte eine einzige Kette von Intrigen und Gewaltsamkeiten, von Denunzierungen, Bestechungen, Dokumentenfälschungen, Exkommunikationen, Verbannungen und Mord.
Bei alldem aber und auch dies wissen wir sicher, und es ist tragikomisch genug gibt es im Christentum absolut nichts, was nur den geringsten Anspruch hätte auf geistes- oder religionsgeschichtiche Originalität. Denn von seinen
zentralsten Gedanken bis hin zum periphersten Brauch wurde alles von Heidenoder Juden rezipiert: die Predigt vom nahen Reich, die Gotteskindschaft, die Nächsten- und die Feindesliebe, die Messias- Heilandsidee, die Prophezeiungen des Erlösers, seine Herabkunft, sonderbare Geburt durch eine Jungfrau, Anbetung durch die Hirten, seine Verfolgung schon in der Wiege, seine Versuchung durch Satan, seine Lehren, Leiden, Sterben (auch am Kreuz), sein Wiederauferstehen (auch am dritten Tag oder nach drei Tagen, also am vierten Tag, denn selbst dieses Schwanken der Evangelien hat seine Ursache offenbar darin, daß man die Auferstehung des Gottes Osiris am dritten, die des Gottes Attis am vierten Tag nach seinem Tod beging), sein leibhaftiges Erscheinen vor Zeugen, seine Höllen- und Himmelfahrt, die Erbsündenlehre, die Prädistinationslehre, Trinität, Taufe, Beichte, Kommunion, die Siebenzahl der Sakramente, die Zwölfzahl der Apostel, das Apostelamt, das Amt des Bischofs, des Priesters, des Diakons, Sukzessionen, Traditionsketten, Gottesmutter, Madonnenkult, Wallfahrtsorte, Votivtafeln, Reliquienverehrung, Weissagung, Wunder, wie Wandel auf dem Wasser, Sturmbeschwörungen, Speisenvermehrungen,
Totenerweckungen wozu die Aufzählung: nichts ist neu! Und all dies kehrt im Christentum nicht etwa nur äußerlich wieder, nur als formale Analogie, als bloße Parallelität der Riten, sondern mit denselben Bedeutungsinhalten, es lebt
nur unter anderem Namen fort, und oft nicht einmal dies.
Mit der mißlichen Glaubensgrundlage der Kirche hat sich die gegenwärtig so viel verhandelte Frage nach ihrer Reform eigentlich von selbst erledigt. Denn wollte man wirklich und dies wäre doch die unerläßliche Bedingung jeder Reform! auf Jesus zurückgehen, und das heißt heute selbstverständlich auf jenen Jesus, den eine fast zweihundertjährigen Evangelienforschung kritischer Theologen aus dem Legendenschutt herausgelöst hat, müßte man doch alles auf- und
preisgeben, was man ist, woraus man besteht, Sakramente, Dogmen, Bischöfe und Papst! Jede christliche Reform könnte überhaupt nicht bloß Reform bleiben, sondern müßte zur Revolution werden, zu einem Umsturz aller menschlichen Verhältnisse. Das ergäbe sich und ganz unabhängig noch von den Resultaten der kritischen Theologie allein aus dem Gebot der Feindesliebe! Ja, es ergäbe sich bereits aus dem der Nächstenliebe, das einer der lautersten Christen der Antike, Kirchenvater Basilius (der sein ganzes Vermögen und seinen riesigen Besitz, so groß, daß ihn drei Fürsten besteuert hatten, sogleich und restlos den Armen schenkte), mit dem Satz kommentierte: Wer den Nächsten liebt wie sich selbst, hat nicht mehr als der Nächste.(Es ist leider lächerlich, diesen Gedanken auch nur einen Augenblick länger zu verfolgen; und lächerlich, zugegeben, angesichts der Christen- wie Kommunistenheit.)
Doch um abschließend noch etwas weniger utopische Reformvorstellungen zu streifen: Reformierte man denn nicht seit je? Reformierte nicht schon die zweite Christengeneration gegenüber der ersten, die nachkonstantinische Kirche
gegenüber der vorkonstantinischen: Bonifatius reformierte und Hugo von Cluny, man reformierte in Gorze, Brogne, Hiersau, Siegburg, Einsiedeln; reformierte in Konstanz, Basel, in Trient. Man reformierte nicht zuletzt in Rom.
Innozens III., der nicht nur Hitlers Judenstern vorweg-, nicht nur eine Fülle scharfer antisemitischer Sanktionen ins Kirchenrecht aufnahm und die Christenheit gegen Albigenser und Waldenser hetzte..erhebe dich und umgürte dich mit dem Schwert...die vertraute christliche Sprache, worauf man allein in Bèziers 20 000 Einwohner erschlug und einen zwanzigjährigen (natürlichheiligen) Bürgerkrieg begann, sondern der überhaupt so sehr in kriegerische und
finanzielle Geschäfte verstrickt war, daß der Bischof Jakob von Vitry klagte, ein Gespräch über geistliche Dinge sei kaum noch erlaubt gewesen, gilt als einer der größten päpstlichen Reformer. Und Luther reformierte in der allein entscheidenen Sicht bekanntlich noch päpstlicher als der Papst, ließ eher noch mehr Hexen verbrennen, wurde ein noch viel wütender Antisemit (auf den Streicher in Nürnberg sich mit Recht berief!), forderte im Hinblick auf die Juden:
Daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke.....Daß man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre... Daß man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Talmudisten....Daß man ihnen verbiete, bei uns öffentlich
Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren, bei Verlust des Leibes und Lebens und rief auch den Adel auf, die ausgebeuteten Bauern zu...zu würgen, zu stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund
totschlagen muß, ein Reformator so großen Stils, daß er selbst gestand: Prediger sind die größten Totschläger..... Ich, M. Luther, hab im Aufruhr alle Bauern erschlagen, denn ich hab sie heißen totschlagen; alle ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich weise es auf unseren Herrn und Gott, der hat mir das zu reden befohlen.
Natürlich, wie immer: Mit Gott! Die ärgsten Gangstereien der Geschichte stets in seinem Namen. Und so, mit Gott, erneuerten und vervollkommneten sie weiter, eine unaufhörliche reformatio in capite et membris bis heute: ethisch gesehen ständig größere Massaker bis zu den als Kreuzzüge gefeierten und mit dem stärksten Beistand der Kirchen(bei gleichzeitigen papalen Friedensappellen!) geführten zwei Weltkriegen. Und dogmatisch immer größere Märchen bis zur Dogmatisierung der (von Rom selbst jahrhundertelang bestrittenen) leiblichen Himmelfahrt Mariens durch den berüchtigten Pacelli, der freilich, wiewohl sonst Proletariern sehr abgeneigt, zur Gattin des galiläischen Schreinermeisters (wie zu den führenden faschistischen Mordbrennern und zum Großkapital) derart wunderbare Beziehungen hatte, daß sie ihm 1950, im Jahre der Definition des Dogmas, gleich an drei aufeinanderfolgenden Tagen (um 16 Uhr) am Himmel erschien!
Gott, wirklich, ich muß ihn anrufen, und da kommen immer noch Reformer? Ã-kumenische Beweger und Begegner? Una-sancta-Sirenen? Die Dialog-mit-der-Welt-Führer? Die das Evangelium-den Atheisten-Bringer? Die Sich-Ã-ffnenden-nach-links-und-rechts? Ja, als was kommen, als was fungieren sie denn? Doch als die Verlängerer des Unglücks, der Helfershelfer der Hierarchie, die gerade ihretwegen wie noch nach jeder Reform im Grunde ganz und gar genau so fortexistieren wird: mit der alleinseligmachenden Pfründe und der alleinseligmachenden Macht, mit Militärbischöfen und Feldgeistlichen, mit einem Heer assistierender Moral-Theologen und einem, wenn alles fällt, ganz
ergreifend Frieden! Frieden! flehenden (und auf den Fahneneid pochenden!) Papst. Reformer? Kadaverkosmetiker bloß. Bestallte Konservierer einer Leiche, die schon riecht und nicht mehr der Reform bedarf, sondern nur noch des Abdeckers.
Ein Beitrag des Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V., AG-Medien; info@ibka.org
Erschienen in -Gegen den Strom--------www.gegendenstrom.de/
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