-->Jung und krank in Rente
Menschen unter vierzig machen immer häufiger schlapp,
werden berufsunfähig wegen psychischer Defekte.
Die Versicherer hinken mit ihren Tarifen hinterher
- Hans-Werner Thieltges -
Die Deutschen werden zu einem Volk kranker Seelen. Immer früher und
immer jünger steigen sie aus dem Berufsleben aus, weil ihre Psyche
nicht mehr mitspielt. Der Versicherungsinformationsdienst"map-report"
zeichnet zum Thema Berufsunfähigkeit ein dramatisches Bild. Längst
haben seelische Defekte die Erkrankungen von Herz, Kreislauf oder
Knochen als gängigen Invaliditätsgrund von der Spitze der Statistik
verdrängt. Für die Versicherer könnte dieser Trend ernste Folgen
haben, ihre Beitragskalkulation ist darauf nicht eingestellt.
Gestiegenes Gesundheitsbewusstsein, bessere Unfallprävention und die
geringere Zahl älterer Arbeitnehmer haben zwar dazu geführt, dass
immer weniger Bundesbürger vorzeitig in Rente gehen müssen. Seit 1994
ist ihre Zahl kontinuierlich von fast 300 000 auf nur noch 176 000 im
Jahr 2002 gesunken, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Doch die
Statistik täuscht. Fielen Männer vor 20 Jahren noch mit
durchschnittlich knapp 55 und Frauen mit 57 Jahren aus, so liegen die
Altersgrenzen mittlerweile bei 51 und 49. Für die
Berufsunfähigkeitsversicherer ist das eine gefährliche Entwicklung,
sie müssen länger zahlen. Als Ursache steht mittlerweile auf fast
jedem dritten ärztlichen Gutachten ein krankes Gemüt, Anfang der
90er-Jahre traf dies nicht einmal bei jeder sechsten
Erwerbsunfähigkeit zu. Davon betroffen sind vor allem die vermeintlich
besonders Leistungs- fähigen, ihre Psyche macht schon vor dem 40.
Geburtstag schlapp. Seit 1993 ist der Anteil der seelisch bedingten
Rentenzahlungen in dieser Altersgruppe bei Männern von rund 32 um über
46 Prozent gestiegen, bei Frauen von 20 auf über 36 Prozent. Manfred
Poweleit, Herausgeber des"map-report", sieht deshalb eine Schieflage
bei der Kalkulation der Tarife:"Die Versicherer verlangen wenig
Prämie für eine Gruppe mit wachsendem Risiko und längerer Dauer der
Rentenzahlungen." Ein statistischer Abgleich von Ursachen,
Altersgruppen und Geschlecht mit den durchschnittlichen Rentenhöhen
zeige zudem, dass es verstärkt besser Verdienende treffe. Poweleit:
"Übereifrige Vertriebschefs könnten schnell eine wachsende Zahl von
Millionenschäden aufbauen, die mehr wehtun als die überstandene
Aktienkrise." Statt mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, beharrt
die Assekuranz weiter auf überholten Kalkulationsgrundlagen. Nach wie
vor zahlen beispielsweise Kunden mit körperlich anstrengenden Berufen
einen erheblichen Risikozuschlag auf ihren Versicherungsbeitrag. Dabei
haben sich die Relationen in den Leistungsakten der
Versicherungsgesellschaften völlig verschoben. 1993 lag der Anteil der
Knochenerkrankungen bei der dauerhaften Berufsunfähigkeit noch doppelt
so hoch wie bei den seelischen Leiden, mittlerweile kommen auf vier
etwa an einer deformierten Wirbelsäule Leidende längst fünf
Arbeitnehmer, die den Anforderungen des Berufslebens psychisch nicht
mehr gewachsen sind. Dennoch lehnen manche Gesellschaften potenzielle
Kunden von vornherein ab, wenn deren Beruf bestimmte körperliche
Anstrengungen verlangt. Oder sie gewähren Versicherungsschutz nur bis
zum 50. oder 55. Lebensjahr. Wer Negatives aus seiner Krankheitsakte
meldet, ist bei der Suche nach Versicherungsschutz oft chancenlos. Auf
100 Anträge haben die Versicherer laut"map-report" im vergangenen
Jahr nur 87 Policen verschickt, 235 000 Kunden wurden nicht
akzeptiert. Die Stiftung Warentest hat zwischen August 2003 und Mai
dieses Jahres"Finanztest"-Leser nach ihren persönlichen Erfahrungen
bei der Suche nach Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit
befragt. Von 398 Betroffenen gingen nur 168 Anträge bei den
Risikoprüfern problemlos durch. Innerhalb der restlichen 230
Interessenten erhielt nur jeder Vierte eine Police nach seinen
Vorstellungen. Mal gab es Teilausschlüsse beim Versicherungsumfang,
mal musste eine kürzere Laufzeit oder eine geringere Rente in Kauf
genommen werden. In 74 Fällen gab es vom Versicherer ein striktes
Nein. Das überrascht nur auf den ersten Blick. Tatsächlich verfügen
bei weitem nicht alle Versicherer über die notwendige Erfahrung im
Umgang mit solchen Policen, viele setzen ihre Unterschrift Jahr für
Jahr nur unter kaum mehr als eine Hand voll Verträge. Die Süddeutsche
Lebensversicherung beispielsweise verbuchte seit 1998 im Schnitt
gerade mal neun Abschlüsse pro Jahr. Herbert Schmidt, in Saarbrücken
gerichtlich zugelassener Versicherungsberater, verkaufte von 1995 bis
2000 als Außendienstler Versicherungen für die Debeka. Schmidt
schildert Seltsames aus dieser Zeit:"Vom zuständigen Bezirksdirektor
hatten wir die Anweisung, keine Berufsunfähigkeitsversicherungen
abzuschließen." Die Risiken für die Gesellschaft seien zu hoch
gewesen. Herbert Grohe, Vorstandsmitglied der Debeka, weist dies auf
Nachfrage zurück:"Hier kann es sich nur um einen unerklärlichen
Einzelfall gehandelt haben." Wenn seine Gesellschaft einen Tarif
konzipiere, wolle sie ihn natürlich auch an ihre Kunden verkaufen.
Tatsache ist jedoch, dass ein großer Teil der Policen kaum dem
eigentlichen Zweck dient. Oft werden Berufsunfähigkeitsversicherungen
als Zusatz zu Kapitallebens- oder privaten Rentenversicherungen
vereinbart, die jährliche Rente darf dann aber nur maximal 48 Prozent
der Versicherungssumme betragen. Im Ernstfall reicht diese Leistung
dann oft bei weitem nicht aus, die Lücke zwischen dem letzten
Einkommen und dem bestehenden Anspruch an die gesetzliche
Rentenversicherung zu schließen. Eine lückenhafte oder gezielt
unvollständige Beratung kann für die Kunden allerdings katastrophale
Folgen haben. Auch wenn die absolute Zahl der eintretenden
Berufsunfähigkeiten seit Jahren rückläufig ist - spätestens seit der
Rentenreform vor drei Jahren ist eine private Absicherung des Risikos
nahezu unumgänglich. Seit dem 1. Januar 2001 gibt es für alle seit
1961 Geborenen keine gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente mehr, wenn
sie zum Stichtag der Reform noch im Arbeitsleben standen. Stattdessen
ist eine zweistufige und völlig unzureichende Rente wegen
Erwerbsminderung eingeführt worden. Etwa ein Drittel des letzten
Bruttogehalts gibt es daraus, wenn bereits eine dreistündige
Beschäftigung täglich nicht mehr möglich ist. Bei maximal fünf Stunden
schrumpft der Anspruch auf nur noch 17 Prozent zusammen. Verschärfend
kommt hinzu, dass jede offene Beschäftigung angenommen werden muss,
unabhängig von ihrer Qualität. Die Frage nach dem Sinn einer
zusätzlichen privaten Berufsunfähigkeitspolice ist vor diesem
Hintergrund schnell beantwortet, die Wahl des Versicherers hingegen
sollte wohl überlegt werden. Stiftung Warentest hat die meisten
Anbieter aktuell auf ihre Qualität hin überprüft, von 139 Angeboten
erhielten 47 die Note"sehr gut", ein besseres Ergebnis gab es nach
eigener Aussage noch nie. Ein bestimmter Versicherungstarif der
Interrisk findet sich dort jedoch nicht - er schließt ausgerechnet
psychische Erkrankungen aus. Die Tabelle auf dieser Seite orientiert
sich an der Rangliste der zwölf bestplatzierten Unternehmen, hier
allerdings mit einer höheren Todesfallsumme. Das gewählte Modell ist
eine Kombination aus Risikolebens- und
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die am Markt am weitesten
verbreitete Variante, eine Rente abzusichern. Die Vorsorge für die
Hinterbliebenen ist nämlich gerade bei jungen Familien besonders
wichtig und fällt beim Gesamtbeitrag kaum ins Gewicht. Als Alternative
empfehlenswert ist daneben die ein wenig preiswertere
Berufsunfähigkeitspolice als eigenständiger Vertrag. Wie viel Rente
letztlich versichert wird, hängt immer von den persönlichen
Lebensumständen und auch vom jeweiligen Geldbeutel ab. In späteren
Jahren kann der Umfang der Police immer noch erweitert werden, hierfür
bedarf es allerdings einer Nachversicherungsgarantie im Vertrag (siehe
Kasten).
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