-->Hallo Forumsgemeinde,
es folgt eine kleine Einführung in die Geschichtsschreibung und Chronologiekritik. Falls jemand Zeit und Lust hat, ich freu' mich über Ergänzungen, weiterführende Hinweise und Kritiken.
Unsere Zeitrechnung ist eine christliche. Die absolute Chronologie wurde erst ab dem 11./12. Jhh. durch christliche Mönche geschaffen (ebenso die AD-Zählung). Grundlage für diese Chronologie bildete die Bibel. Eine zeitgleiche Entstehung von absoluter Chronologie in der Geschichtsschreibung und der Bibeltexte, so wie wir sie heute kennen, darf angenommen werden. Die frühesten heute bekannten Bibeltexte (AT) werden in die Zeit zw. 929 bis 1121 datiert (Geniza-Manuskripte aus Kairo). Aller Wahrscheinlichkeit nach stammt auch die von den Masoreten im Orient geschaffene Thora (heutiger Text) aus der 2. Hälfte des 10. Jhh. (in dieser Zeit auch die plötzliche Christianisierung Skandinaviens und Islands; dazu später mehr). Die den Geniza-Manuskripten sehr ähnlichen Rollen von Qumran (der Dominikaner DeVaux hat jahrelang die Existenz einiger Rollen verschwiegen; warum wohl?) werden bisher auf die Zeit nach 70 AD datiert. Diese Datierung stammt jedoch nicht aus den archäologischen Zusammenhängen, sondern wurde von katholischen Klerikern vorgenommen und resultiert aus der Erwähnung der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch Titus. Für diese Zerstörung gibt es allerdings keine archäologischen, sondern nur schriftliche Belege. Ebenso für eine weitere Zerstörung des Tempels im Jahr 135 AD. Bei diesen beiden Ereignissen (Tempelzerstörungen 70 und 135) handelt es sich um Rückprojektionen der Tempelzerstörung durch die Perser im Jahr 614 AD (Auslöser der Kreuzzüge). Die Qumranrollen stammen also frühestens aus dem 7. Jhh., welches unter Berücksichtigung der frühmittelalterlichen Phantomzeit dem 10. Jhh. entspricht. Bestätigung erhält diese Sicht durch den stark vom frühen Islam geprägten Inhalt der Rollen (Geschwisterhochzeit, Engel der Gerechtigkeit und Engel des Unrechts,"Lügenpriester" Mohammed? statt Jesus). Desweiteren konnte die Urheberschaft der Rollen (zumindest eines großen Teils davon) im in der Nähe des Fundorts befindlichen Dorfes Qumran, das mit Sicherheit kein Kloster war, ausgeschlossen werden. Ebenso ausgeschlossen werden konnte durch neuere Grabungen in Qumran die Niederlassung einer Essener-Gemeinde (Essener - neben den Pharisäern und Sadduzäern eine der drei Hauptgruppen des frühen Judentums). Die Qumran-Funde (Schmuck, kostbares Geschirr, enge Verwandschaftsverhältnisse, sog. 'soziologischer Heiratskreis') passen nicht zum asketischen und zölibatären Leben der Essener.
Ähnlich wie bei den Rollen von Qumran, bestehen Datierungsprobleme bei der Septuagiuta (Bibelübersetzung ins Griechische), der Hexapla (Bibel in sechs Versionen von Origenes), den Makkabäerbüchern, den Evangelien (besonders Kodex von Sinai, Vatikanischer Kodex und Alexandrinischer Kodex, Kodex des Ephraim) und der Evangekienharmonie. Alle diese Texte wurden im Zeitraum von frühestens 10. bis ca. Ende 15. (!) Jhh. geschrieben. Vormasoretische"Ur"texte gibt es nicht und die Hoffnung, solche noch zu finden, muß wohl aufgegeben werden.
Die angesprochene Phantomzeit ("Dunkles Mittelalter", 614 bis 911 AD nach Illig) gibt es nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der griechischen Frühzeit (ca. 1200 bis 800 BC, Schichten der Tyrannis liegen direkt auf denen der Mykene) und wahrscheinlich auch in der ägyptischen und asiatischen (hier besonders China) Chronologie.
Die Kritik an der christliche Geschichts- und Geschichtenschreibung begann bereits im 17. Jhh., und zwar durch Christen selbst, beginnend mit den französischen Jesuiten Barthelemy Germon (Schriften:"Von den alten Urkunden der fränkischen Könige und der Kunst, echte von gefälschten zu unterscheiden" und"Von den alten ketzerischen Verderbern der Bücher der Kirchenväter" ) und Jean Hardouin ("Vorrede zu einer Kritik der alten Schriftsteller" ), der u.a. die Werke der antiken Autoren wie Cassiodor, Isidor von Sevilla und St. Justin Märtyrer als viele Jhh. später geschrieben und somit frei erfunden und gefälscht bezeichnet.
Die Entdeckung der frühmittelalterlichen Phantomzeit geht auf Robert Baldauf zurück. In seinem Werk"Historie und Kritik" (1903) beschäftigt er sich mit den Taten des Königs Karl der Große, die nicht von ihm getätigt wurden, sondern von einem Mönch namens Notker im Kloster St. Gallen erfunden wurden, jedoch erst nach dem 11. Jhh. aufgeschrieben wurden (wschl. erst im 14. Jhh.).
Ähnliches Unheil (nämlich die Entstehung der Schriften lange nach dem 11. Jhh.) drohen dem"Gallischen Krieg" und dem"Bürgerkrieg" von Cäsar (ist sogarCäsar selbst eine Erfindung?) sowie den"Annalen", der"Historie" und der"Germania" von Tacitus, die wschl. eine Fälschung im Auftrag von Papst Pius II. zw. 1430 und 1470 als Waffe im Kampf gegen die deutschen Kaiser war (was ich persönlich jetzt überhaupt nicht mehr lustig finde).
Weitere frühe Chronologiekritiker waren Henschen und Papebroch (17. Jhh.), Borber 1847), Pertz (1872) und Bruno Kusch (1938). Der wohl radikalste Chronologiekritiker war Wilhelm Kammeier (geb. nach 1890), der Geschichts- und Urkundenfälschungen als unkoordinierte, einige Jahrhunderte andauernde (ab 10. Jhh.)"Große Aktion" verstand.
Bei all den bisher festgestellten Fälschungen und Erfindungen stellt sich die Frage nach der Herkunft und der Entstehungszeit der Ausgangsschrift unserer heutigen Chronologie, nämlich dem AT selbst. Gemäß dem christliche Kanon, der erst im 13. Jhh. voll ausformuliert war, dem Fehlen vieler christlicher Symbole in der Antike und im Frühmittelalter, den nichtexistenten"Ur"texten sowie den auffällig vielen Parallelen zu den heidnischen und anderen Kulten, Religionen und Mythen kann die Entstehung des AT frühestens in die Nachantike (Merowingerzeit) bzw. das Frühmittelalter (Karolingerzeit) gelegt werden. Quellen- und Schriftenkunde, Numismatik, Architektur, Kunst und Archäologie unterstützen diese Sicht.
Ein großes Problem bei der Chronologiekritik stellt die Herkunft und die Bedeutung des Christusmonogramms XP dar (XP = Christos = der Gesalbte), denn damit ist keinsfalls Jesus Christus gemeint. Lassen wir uns überraschen.
Also: Wie war das nun mit der Konstantinischen Schenkung? Viele Schenkungsurkunden sind auch in deutschen Klöstern zu finden. Eine näher Betrachtung lohnt sich.
Herzliche Grüße in die Runde, <font color=#008000>Zandow</font>
|