Artikel aus der Sonntagszeitung (Schweiz glaube ich)
Harte Landung nach Höhenflug
Auf Grund der Kursmisere am New Market weht beim Börsenzugang neuer Unternehmen ein schÀrferer Wind
VON NADJA SIEBENMANN
ZĂŒrich - Am SWX New Market herrscht Katerstimmung. Seit der Index der Schweizer Wachstumswerte im MĂ€rz seinen Höchststand von 2587 Punkten erreicht hat, ist er um 44 Prozent eingebrochen. Schuld an der Kursmisere ist nicht nur der 30-prozentige Kurssturz an der US-Technologiebörse Nasdaq. Bei einigen New-Market-Firmen sind kurz nach dem Börsengang Schwachstellen aufgetreten, die einen ĂŒberdurchschnittlichen Kurssturz auslösten.
- Bei 4M, dem welschen Produzenten von Anlagen zur Herstellung von CDs und DVDs, haben sich die rosigen Aussichten verdĂŒstert. An Stelle eines NachfrageĂŒberhangs leide die Branche nunmehr unter ĂberkapazitĂ€ten, meldete 4M anlĂ€sslich einer «Gewinnwarnung». Doch die Probleme liegen tiefer. 4M kann die gewĂŒnschten Anlagen nicht liefern, die Kunden wandern ab. «4M hat die Konkurrenz unterschĂ€tzt», stellt ZKB-Analyst Sven Bucher ernĂŒchtert fest.
- Das Sarganser Softwareunternehmen Complet-e verfehlte die budgetierten Quartalsergebnisse zwar nur knapp. Probleme hat das Unternehmen aber vorwiegend auf personeller Seite. Querelen zwischen AktionĂ€ren und der Kontrollstelle einerseits und dem Verwaltungsrat andererseits fĂŒhrten zu einem Exodus in den FĂŒhrungsetagen. Das Vertrauen der Anleger ist erschĂŒttert, die Aktien notieren 43 Prozent unter Emission.
- Kaum besser erging es dem Complet-e-Konkurrenten Miracle. Zwar steckt die gesamte KMU-Softwarebranche im Tief. Doch bei Miracle kommen noch eigene Probleme dazu. Bereits wenige Wochen nach dem Börsengang traten erste ProduktemĂ€ngel an den Tag. Miracle musste Millionen fĂŒr gefĂ€hrdete Projekte zurĂŒckstellen.
- Das Softwareunternehmen Day Interactive befindet sich trotz der schwierigen Marktsituation immer noch auf Budgetkurs. Doch Gewinnmitnahmen der KleinaktionĂ€re drĂŒckten den Aktienkurs zuweilen unter den Emissionspreis.
Die BörsengÀnge junger Firmen sind ein fettes MassengeschÀft
Unternehmensspezifische Probleme werfen die Frage auf, ob einige der New-Market-Firmen nicht zu frĂŒh an die Börse gekommen sind. Denn vergleicht man die Fristen, mit denen Risikokapitalgeber und Banken solche Jungfirmen rezyklieren, stellt man eine deutliche Beschleunigung fest. WĂ€hrend Private-Equity-Investoren ihre «Babys» in den Achtzigerjahren im Schnitt wĂ€hrend sieben bis acht Jahren aufpĂ€ppelten, bevor sie sie an die Börse entliessen, schrumpfte diese Frist in den Neunzigern auf durchschnittlich vier bis fĂŒnf Jahre. Heute betrĂ€gt sie - wie auch im Fall von Miracle und Day - nicht selten weniger als zwei Jahre.
«Viel zu kurz», urteilt Bruno Raschle, Chef des unabhĂ€ngigen Fund of Funds Advisers on Private Equity Adveq. Zwar, so Raschle, sei die Expansion heute oftmals teurer als frĂŒher und habe der Mittelzufluss in Private Equity markant zugenommen. Doch verkĂŒrzt sich die Frist fĂŒr den Ausstieg immer dann, wenn der Pegel der Euphorie an den Börsen steigt.
Ein Zufall? Wohl kaum. Denn BörsengĂ€nge (IPO) junger Firmen sind ein dickes MassengeschĂ€ft. Und je heisser der Markt, desto fetter die Gewinne. Die Wertschöpfungskette eines IPOs ist lang: UnabhĂ€ngige Private-Equity-Firmen und Venture-Funds von Banken kaufen sich zu tiefen Preisen in die Firmen ein, AltaktionĂ€re beziehen Aktien auf Grund von Vorleistungen oder auf Kredit. HĂ€ufig sind die gleichen Banken, die ĂŒber ihre Venture-Töchter Firmenanteile halten, auch an der Platzierung beteiligt (Miracle/CSFB, Day/Vontobel). DafĂŒr kassieren sie dann nochmals happige GebĂŒhren. Die hohen BörsenumsĂ€tze in den ersten beiden Handelstagen generieren wiederum KommissionsertrĂ€ge fĂŒr die beteiligten Banken. Zu guter Letzt festigen die GeldhĂ€user die Beziehungen zur Grosskundschaft (z. B. Pensionskassenmanagern), indem sie ihnen Tranchen zum Ausgabepreis zuschanzen.
HĂ€ufig rechnen sich die Deals kurzfristig nur fĂŒr jene, die beim IPO mitmischen oder den schnellen Ausstieg suchen: Venturekapitalisten, AltaktionĂ€re, AnwĂ€lte, Berater, Investmentbanken und Pensionskassenmanager. Die Unternehmen kassieren dagegen oft nur einen geringen Betrag. Beim IPO von Complet-e beispielsweise flossen der Firma vom Gesamterlös in Höhe von 50 Millionen nur gerade 14 Millionen Franken zu.
Sind die erfahrenen AktionĂ€re einmal ausgestiegen, steht das Management alleine da. «Die neuen HauptaktionĂ€re sind meist nicht geeignet, den Aufbau zu unterstĂŒtzen. Gibt es Probleme, steigen die meisten aus», sagt Private-Equity-Spezialist Raschle. Auch die neureichen AltaktionĂ€re gebĂ€rden sich oft egoistisch. «Einige wollen doch tatsĂ€chlich ihre Aktien noch vor Ablauf der Sperrfrist verkaufen, um ein HĂ€uschen zu bauen oder einen Kredit zurĂŒckzuzahlen», entrĂŒstet sich ein nicht genannt sein wollendes Kadermitglied einer grossen IPO-Bank.
In Deutschland werden Sperrfristen von zwei bis drei Jahren verhandelt
Private Equity ist fĂŒr alle Beteiligten eine heisse Gratwanderung zwischen Aufbauhilfe und Abkassieren, meint Raschle. Als beispielsweise die UBS-Venture-Tochter Aventic im Winter 1999 bei Day einstieg, glaubte sie, der Börsengang wĂŒrde im Jahr 2001 stattfinden. Doch Management und Emissionsbank drĂ€ngten auf einen schnelleren Exit im FrĂŒhjahr 2000, als sich die Börse gerade in der letzten Phase ihrer Superhausse befand. «Nicht, dass Day nicht reif gewesen wĂ€re. Aber vielleicht wĂ€re es besser gewesen, man hĂ€tte der Firma noch ein Jahr lĂ€nger Zeit gegeben fĂŒr den Aufbau», meint ein Aventic-Mitglied rĂŒckblickend.
Day hatte GlĂŒck. Denn nach dem Tech-Crash haben sich die Spielregeln verschĂ€rft. Laut Raschle werden in Deutschland nun Sperrfristen fĂŒr das Management von zwei bis drei Jahren verhandelt, fĂŒr Venturekapitalisten sind neue Exitfristen von 9 bis 18 anstatt 6 Monaten im GesprĂ€ch. Damit erhöht sich das Risiko. «Private-Equity-Firmen und Banken mĂŒssen ihre Wahl jetzt sorgfĂ€ltiger treffen, und das Management muss zusehen, dass das Geld lĂ€nger reicht», meint Adveq-Chef Raschle. Denn sinken die Kurse, werden die Investoren risikoscheuer. FĂŒr defizitĂ€re Internetfirmen gibts dann weniger Geld - wenn ĂŒberhaupt.
Viele Firmen haben ihre IPO-PlĂ€ne deshalb verschoben oder ganz aufgegeben. «Das deutet doch daraufhin, dass diese Unternehmer nicht an ihre Zukunft glauben, sondern nur optimal Kasse machen wollen», feixte Wolfgang Gerke, Professor fĂŒr Börsen- und Kapitalmarktwesen auf dem deutschen Börsensender n-tv.
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