-->Sie kamen, um zu nehmen: Wikinger am Rhein
von Peter Dittmar
Bonn - Es gibt sie, aber es gab sie nicht: Die Wikinger mit dem Hörnerhelm und den Drachenbooten, die nichts weiter kannten als alle Welt zu überfallen und sich danach mit Met zu besaufen. Auch dass die Geschichte stets von den Siegern geschrieben werde, gilt hier nicht. Die"Wikinger am Rhein" im Rheinischen Landesmuseum in Bonn stellen so ziemlich alles in Frage, was man bisher zu wissen glaubte - selbst aus seriöseren Quellen als"Hägar dem Schrecklichen". Denn auch in der Literatur schwankt ihr Charakterbild zwischen rüden mordgierigen Seeräubern und strahlend blonden Ariern des Nordens, die todesverachtend neue Welten - Amerika inklusive - erobern.
Das 19. Jahrhundert entdeckte einerseits die Wikinger der Sagas. Hinter Namen wie Erik Blutaxt, Ivar der Knochenlose, Sven Gabelbart, Harald Blauzahn oder Harald Schönhaar meinte man, den romantischen Vorstellungen der Zeit und ihrem Geniekult entsprechend, Männer zu erkennen, die zu heroischen Taten jenseits von Konvention und Religion bereit waren. Nur übersah man dabei, dass diese Heldengesänge rund dreihundert Jahre post festum entstanden waren. Andererseits nahm man die drastischen Schilderungen über das Wüten der Nordmänner, die sich in Chroniken von Zeitgenossen wie Regino von Prüm oder Adam von Bremen fanden, zum Nennwert. Dass dabei christlicher Hochmut gegenüber den Heiden die Feder geführt haben könnte, vergaß man.
Bonn setzt gegen diese Voreingenommenheiten die Erkenntnisse der Skandinavistik und die Realien, die weitgehend der Archäologie zu verdanken sind. Das sind Waffen und Werkzeuge, Schmuckstücke und Keramiken, sowie Modelle und Rekonstruktionen der Wikingerschiffe. Die"typischen" Drachensteven sucht man allerdings vergebens. Für sie gibt es keine Zeugnisse. Und auch die Hörnerhelme, erfährt man, entstammen der Fehlinterpretation bronzezeitlicher Funde.
Der normale Wikinger trug nur eine Lederkappe, weil ein Helm den Gegenwert von 410 Gramm Silber kostete - wohingegen zehn Hühner bereits für ein Gramm, ein Schaf für 15, ein Schwein für 30, ein Sklave für 306 Gramm Silber zu haben waren. Und als Waffe begnügte er sich mit einer Axt. Ein Schwert mit damaszierter Klinge samt Scheide erforderte nämlich 478 Gramm Silber (soviel wie für ein Pferd). Das konnten sich nur Reiche leisten. Die Klingen dieser Schwerter wurden aus dem Frankenreich importiert. Deshalb glaubte Karl der Kahle mit einem Export-Verbot seine waffentechnische Überlegenheit sichern zu können. Aber bereits damals erwiesen sich Non-Proliferations-Abkommen als wenig effektiv.
Die Bonner Ausstellung ist der Versuch, ein differenziertes Bild der Wikingerzüge zu zeichnen, die 793 mit dem Überfall auf das Kloster Lindisfarne vor der Küste von Northumbrien einsetzten, und deren Endpunkt 1066 die Schlacht von Hastings sowie der Untergang der Siedlung Haithabu (bei Schleswig) markieren. Dabei konzentriert man sich auf einen bislang vernachlässigten Nebenschauplatz: die rheinischen Lande von der niederländischen Küste bis nach Koblenz und Trier. Dazwischen gab es kaum eine Siedlung - Xanten, Köln, Bonn, Aachen eingeschlossen - die nicht ausgeraubt und niedergebrannt wurde. Der Taktik der Wikinger, die auf ihre schnellen Schiffen setzten, hatten sie, nachdem die Befestigungen und Schutzflotten Karls des Großen an den Flussmündungen unter seinen Nachfolgern vernachlässigt worden waren, nichts Gleichwertiges entgegen zu setzen.
Die Wikinger brachen jedoch nicht nur zu Beutezügen auf. Sie unternahmen durchaus auch Handelsfahrten. Deshalb lagen Schrecken und Kooperation oft nur wenige Kilometer oder Monate auseinander (das niederländische Dorestad wurde siebenmal geplündert, obwohl und weil es ein wichtiger Handelplatz war). Alle diese Fahrten entsprangen nicht einem Herrscherwillen. Sie bildeten, wiewohl von Abenteuerlust und Beutegier beflügelt, gewissermaßen einen saisonalen Nebenerwerb der bäuerlichen Skandinavier. Ihre"Expeditionen" wurden von Gruppen organisiert, anteilig finanziert und am Erfolg war jeder entsprechend beteiligt - oder seine Erben, falls er nicht zurückkehrte.
Die Wikinger, das wird dabei deutlich, gab es eigentlich nicht. Die Bezeichnung, deren Etymologie unbestimmt bleibt, kam erst im 11. Jahrhundert auf. Zuvor war entweder neutral von den Nort(h)manni oder Dani, im baltischen Raum von Rus oder Warägern die Rede.
Rheinisches Landesmuseum, bis 17. Oktober, danach in Utrecht und Roskilde; Katalog 19,90 Euro
Artikel erschienen am Mi, 28. Juli 2004
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