-->Wer weiß weiter?
77 Prozent der befragten Deutschen halten die Demokratie für die"einzig denkbare und beste Staatsform". Wer würde einem fremden Menschen, der Zettel und Bleistift gezückt hat, auf seine Fragen etwas anderes antworten wollen? Aber selbst wenn man sicher wäre, daß der Gegenüber nicht... und vor allem, wenn man sich von dem Sog frei machen könnte, der von Befragern ausgeht und einzig nur die Frage aufkommen läßt:"Was will der von mir hören?", was sonst wollte man antworten? Schade, daß die 13 Prozent Westdeutschen und 21 Prozent Ostdeutschen nicht sagten, welches bessere politische System sie sich vorstellen könnten. Etwa:"Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder haben"? Ja, wenn's der alte wäre und kein Jetset-Offspring, wie man ihn in anderen Monarchien, vor allem solchen, die als Musterland der Demokratie gelten, bewundern kann. Es ist schon gut, wenn das Volk selbst entscheidet, wer über es regieren soll.
Entscheidet es aber? Sind es nicht immer nur die anderen, die entscheiden, während man selbst mit dem vorlieb nehmen muß, was dabei herauskommt? Ja, man könnte, wenn man Zeit und Geld übrig hätte und eine Alternative wüßte… 88 Prozent der Bundesbürger wagten immerhin - nachdem es ihnen die Medien in den Mund gelegt hatten - vor gezücktem Bleistift einer Forsa-Umfrage zu bekennen, das Vertrauen in die Politik verloren zu haben und bezeichneten diesen Vertrauensschwund als"groß" oder"sehr groß". Die Politiker sind aber nicht die einzigen, die das Vertrauen der Bevölkerung verspielt haben: 46 Prozent trauen auch Industriemanagern nicht mehr, 21 nicht den Spitzenbeamten, aber nur 15 mißtrauen Journalisten. Seltsam, wo die doch die Meinungen filtern, in die, die es gibt, und die, die es nicht gibt. Zugegeben, die Prozentzahlen der Wahlen stehen wie alle derartigen Meinungen auf wackeligen Füßen. Aber sie lassen hochkommen und gewähren - selbst wenn man ihnen nicht mehr traut. Jetzt wollen in Sachen und Brandenburg die Hauptverlierer bei der jüngsten Wahl regieren.
Wahlen unterscheiden sich kaum von momentanen Meinungsumfragen. Es ist da wie in der Kaufhalle: Was soll man bei dem Angebot mitnehmen? Wenn es sich um Hemden oder Blusen handelt, fällt man die Entscheidung hautnah. Aber in der Politik? Theoretisch gingen hier die Entscheidungen sogar unter die Haut - aber wer kann/will das schon überblicken:"Die werden das schon richtig machen, schließlich sind sie vom Fach". Ehe die Bevölkerung die Wirkung zu spüren bekommt, vergehen oft Jahre und dann liegen die eigentlichen Entscheidungen weit zurück und die Verantwortlichen stehen nicht mehr zur Wahl.
Bei den jüngsten Wahlen verloren bekanntlich beide führenden Parteien"kräftig". Das enttäuschte vor allem die"Opposition", die sich aufgrund der miesen Stimmung - nach dem Motto, wenn den nicht, dann den - Zugewinne erhofft hatte. Damit war es aber nichts: Nichtwähler und Wähler gaben zu verstehen, daß ihnen die ganze Richtung nicht mehr paßt. Doch es geht in der Richtung weiter, ob mit Zustimmung oder ohne, ob mit der Koalition oder mit der Opposition. Nur die Grünen legten zu, denn es geht in ihre Richtung: Vorwärts bis ans"Ende der Industriegesellschaft"! Morgenthau dachte an Deutschland, die Grünen an ganz Europa.
Professor Paul Nolte glaubt zu wissen, was der Fall ist. Im Stern meint er:"Der untere Rand der Gesellschaft ist dabei, sich aus der Demokratie zu verabschieden". Was will der Rand stattdessen? Nolte beobachtet des weiteren"eine Tendenz der Oberschicht, die Arbeit in der Gesellschaft den mittleren Schichten zu überlassen" das heißt wohl, auf die Unterschicht verzichten zu wollen. Wohin mit ihr also? Kurz, er meint:"Die Krise der Demokratie ist eine Klassenfrage". Was ist mit einer solchen Formulierung gewonnen, etwa Klassenkampf? Den Professor stört, daß keine der Parteien die Politischen Lager abbildet, so daß keiner mehr die politische Lage diskutiert werden kann; er meint: in und durch die angeblich politischen Parteien - hier hat er Recht. Alle Parteien sind - so der Professor - in sich gespalten, in Leute, die in die vorgegebene Richtung ziehen und solche, die ohne anstößig zu erscheinen versuchen, sich dagegen zu stemmen. Aber haben nach 1918 die Parteien je die politische Vorstellungen der Bürger abgebildet oder nur die der Sieger? Sie haben versucht, egoistische Interessen von Personen und Personengruppen zu"Wahlprogrammen" zusammenzufassen, die dann auch so verblasen ausfielen, daß sich jeder das Seine darunter vorstellen konnte. Das war auch"gut so", weil sie ohnehin nicht umgesetzt werden sollte. Eine Richtungsvorgabe für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung wurde nicht versucht. Es hat auch nie jemand danach gefragt. Das ging so, weil die Menschen so, wie es lief, einigermaßen zu frieden waren.
Haben jüngste Wahlen an der Unzufriedenheit und den Montagsdemonstrationen etwas geändert? Der Kanzler meint laut FAZ"ja". Die Teilnahme ginge zurück, weil die Leute keine Alternative zu dem sehen, was er macht. Der Kanzler hofft, daß sich seine guten Beziehungen zu"Attac" und ihrem Sprecher Peter Wahl wie geplant auswirken. Dem erlaubten Austoben folgt - wie geplant - die Erschlaffung. Wahl ließ am 21. in Berlin verkünden, die Zeit der Montagsdemonstrationen sei vorbei. Am 2. Oktober käme es noch einmal zu einer Großveranstaltung in Berlin - und das war es dann auch. Dem typischen 68er ist in Sachen Politkarriere das Hemd näher als der Rock und er zeigt, daß"Attac" der Sozialhygiene dient und die politische Meinungshandhabe pflegeleichter macht.
In den großen Städten ging die Teilnehmerzahl angeblich (wer hat nachgezählt?) etwas zurück, doch nahm die Zahl der Städte mit Demonstrationen zu. Sie finden längst nicht mehr nur in Deutschland statt. In den für ihre Lösung der Arbeitslosenproblematik angeblich vorbildlichen Niederlanden finden aus den gleichen Gründen Demonstrationen - dort heißen die Einschnitte ins Sozialwesen natürlich nicht Hartz IV oder Agenda 2010, doch die Sache ist die gleiche. Dort gingen 50.000 auf die Straße. In Rotterdam blockierten Warnstreiks einen Tag lang Innenstadt und Hafen, ähnlich wütend ging es in Den Hague, Geldern und Vlissingen zu. Der Widerstand gegen die Umverteilungsreformen soll auch schon auf Kopenhagen, Brüssel, Rom und Paris übergesprungen sein. Selbst in der Schweiz kommt es in den sieben größeren Städten zu Demonstrationen und Protesten. Die Berichterstattung hält sich aufgrund"höherer Vernunft" zurück.
In Frankreich und Italien versuchten die Wirtschaftsminister bereits, eine Notbremse zu ziehen: Sie nötigten Großhandelsketten, ihre Preise um ein paar Prozentpunkte zu senken. Bei uns glaubt man, genügten die altbewährten Neidgefühle, man entfachte eine Diskussion um die Energiepreise der Großkonzerne, ohne die Energiesteuern zu senken. Dies und die Verschärfung der wirtschaftspolitischen Notstandsgesetze zeigen, daß der herrschenden Politelite Zweifel kommen, ob sie ihren Auftraggebern, den Geschäftsbanken im Hintergrund gerecht werden kann. Droht als wirklich"Klassenkampf" oder versucht man wieder - wie von Moses Hess in seinem Buch"Jerusalem oder Rom" Mitte des 19. Jahrhunderts als bessere Lösung vorgeschlagen - so etwas wie"Rassenkrieg". Die NPD rüstet gegen die Islamisten um. Wer hat sie wohl auf die Idee gebracht? Etwa ihre zahlreichen Betreuer vom Verfassungsschutz oder ihre neuen, israelischen Freunde?
Die Spitzen der Elite zeigen aber noch keine Anzeichen von Panik. Auch das hat seine Gründe. Sie haben - wie mir Leute, die es wissen sollten, allerdings unüberprüfbar versichert haben - längst Ihre Schäflein in Sicherheit gebracht. Sie haben, wie z.B. Kommissar Verheugen (SPD) ihre üppig zugeflossenen Gelder in Ländern angelegt, die sie für politisch stabil halten und in die sie sich vor einem eventuell ausbrechenden Volkszorn glauben zurückziehen zu können. Angeblich sind für diesen Notfall schon Regelungen getroffen worden und steht die Flugbereitschaft der jeweiligen Wehrmacht bereit, um die Herren und Damen Demokraten gegebenenfalls auszufliegen. Schließlich ist es wichtig, daß sie in einem solchen Fall beim Großen Bruder für die Zeit danach eine Exilregierung bilden.
Fraglich ist nur, ob ihre Scherflein in den scheinbar stabilen Ländern auch sicher sind, denn beim Geld endet bekanntlich die Freundschaft. Der Internationale Währungsfond hat in seinem jüngsten"World Economic Outlook" z.B. vor einer weltweiten Hypothekenkrise gewarnt. Die mäßige Zunahme sogenannter Bruttosozialprodukte sei zum großen Teil durch gewaltige Steigerungen bei Boden und Immobilienpreisen (über 50% in 6 Jahren) überzeichnet worden. Diese Preise, die damit verbundenen Hypotheken und der Wert entsprechender Anlagen ließen sich auf Dauer nicht mehr halten. In den USA stehen die beiden halbamtlichen Hypotheken-Refinanzierungsfirmen"Fannie Mae" und"Freddie Mac" bereits unter"kriminellen" Betrugsverdacht (Aus Verzweiflung wurden Bücher gefälscht). Jedenfalls dürften die Preise bei Immobilien einbrechen, wenn die Zinsen weiter steigen und zu Verkäufen zwingen.
Verlieren Arbeitslosen mit der Arbeit auch die Wohnung, ist wahrscheinlich selbst in den USA Schluß mit lustig. Der eine oder andere wird sich auch dort fragen, ob es denn wirklich so ist, daß der freie Markt die beste Gewähr für Wirtschaftswachstum und Wohlstand des gesamten Volkes und nicht nur seiner sogenannten Elite bietet. Was aber tun, wenn der Markt, das heißt die ihn steuernden reichsten Geschäftsbanken, nicht mehr regieren? Was tun, wenn das Vertrauen in Politiker und Top-Manager verspielt ist? Was tun, wenn alles, was an amtlichen Statistiken, Äußerungen zur neueren Geschichte und Politik aus gutem Grund unter Täuschungsverdacht gerät und die allgegenwärtige Werbung selbst das Gefühl für Wahrheit erstickt hat. Bietet kann dann irgendein neuer Starker Mann oder"kleiner Hitler" eine Lösung bieten?
Vertrauen und Wahrheit zerbröckelt in jedem einzelnen. Wer seinem eigenen Urteil nicht mehr trauen kann, wird immer und von allen hereingelegt werden. Ob er sich das noch wird leisten können, wenn sich die Verhältnisse weiter zuspitzen, wird er mit sich selbst ausmachen müssen. Wegschauen gelingt mit der Zeit immer schlechter. Und so mancher in höchsten Kreisen - und nicht mehr nur bei den Zeugen Jehovas - hofft, eine Art Harmageddon werde ihm alle Probleme und Selbstzweifel vom Hals schaffen. Und Sie, worauf hoffen Sie?
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