-->Konsum statt Freundschaft«
Ein Gespräch mit dem amerikanischen Wirtschaftshistoriker Gary Cross über die nimmermüden Verbraucher in den USA, die Wegwerfgesellschaft und ökonomische Tabus bei der Präsidentenwahl
Das Gespräch führte Thomas Fischermann
DIE ZEIT: Über die Beharrlichkeit des amerikanischen Verbrauchers staunen die Experten. Der Konsument in den USA hört einfach nicht mit dem Einkaufen auf. Trotz Börsencrash und Terror, trotz der schleppenden Erholung am Arbeitsmarkt und trotz der hohen Ã-lpreise gab es nur mäßige Einbrüche im Einzelhandel.
Gary Cross: Man muss dazusagen, dass er in den vergangenen Jahren etliche Kaufanreize aus der Wirtschaftspolitik erhalten hat. Amerikanische Regierungen haben stets einen starken Willen gezeigt, den Konsum durch Aufschwünge und Abschwünge hindurch am Leben zu halten. Früher hat man das eher durch soziale Programme oder Eingriffe am Arbeitsmarkt bewerkstelligt, derzeit durch niedrige Zinsraten, doch der Effekt ist vergleichbar.
ZEIT: Sie sprechen davon, dass viele amerikanische Hausbesitzer ihre Hypotheken günstig refinanzierten und am Ende mehr Geld übrig hatten.
Cross: Der etwas allgemeinere Trend ist, dass wir Amerikaner seit den siebziger Jahren schrittweise lernen, mit einem immer höheren Grad an persönlicher Verschuldung zu leben. Die Einführung der Kreditkarte war ein einschneidender Moment, sie senkte die Hemmschwellen gewaltig. Der einfache Zugang zu Krediten erlaubt es vielen Amerikanern heute, trotz realer Lohnsenkungen in Krisenzeiten oder vorübergehender Arbeitslosigkeit einfach so weiterzuleben wie bisher.
ZEIT: Das erklärt freilich nicht, warum viele Amerikaner es wirklich tun. Sie könnten auch - wie früher - konservativ auf die mageren Jahre reagieren und vorübergehend den Gürtel enger schnallen.
Cross: Das mit dem Einschränken ist so eine Sache, denn große Teile des Konsums haben sich verselbstständigt. Seit den sechziger Jahren beschleunigt sich ein Trend, der vom Familien- und Haushaltsverbrauch hin zu mehr persönlichem Verbrauch führt. Was ich damit meine, sehen Sie zum Beispiel an der Zahl der Autos pro Haushalt: Viele Familien der Mittelschicht haben heute drei oder mehr Fahrzeuge, im Prinzip hat jeder Fahrer sein eigenes Vehikel. Genauso hat jeder einigermaßen bewohnte Raum seinen eigenen Fernseher, und schon jedes Kind hat seine eigene Spielzeugkiste. Von einem sehr frühen Alter an erwarten Amerikaner ihre eigene Ansammlung von Produkten: vom eigenen Gameboy bis zum eigenen Computer, iPod, Walkman, Fernseher und so weiter. Diese Dinge werden nicht mehr geteilt, sondern individuell genutzt und kommen außerdem schnell aus der Mode und müssen durch neuere Modelle ersetzt werden.
ZEIT: Aber man kann sich ja vorübergehend ein wenig einschränken.
Cross: Die Entwicklung resultiert aus der Marketingstrategie der Hersteller - zum Beispiel aus der Entscheidung der Automobilhersteller, ihre Autos immer stärker als Individualfahrzeuge zu definieren. Sie geben ihren Modellen schon in der Ausstattung oder im Design entsprechende Attribute, etwa »weiblich«, »männlich« oder »jugendlich«. Bei den traditionellen Familienkutschen war höchstens das Armaturenbrett schick für Papa eingerichtet - der Rest der Ausstattung erinnerte an ein Wohnzimmer.
ZEIT: Nun sehen sich die Konsumenten kaum als Opfer perfider Marketingstrategien. Firmen stellen meist her, was die Leute gern kaufen möchten.
Cross: Es gibt tiefere kulturelle und psychologische Gründe, aus denen Amerikaner diese vielen individuellen Konsumprodukte wollen. Man kann es schnell überbewerten, doch Konsum ist ein Ersatz für andere Arten kultureller Erfahrung geworden. In dieser individualistischen Gesellschaft, in der kulturelle und soziale Erfahrungen eingeschränkt worden sind, definieren sich Menschen stärker durch ihren Verbrauch und ihr Eigentum.
ZEIT: Die Harvard-Soziologin Juliet Schor zieht zur Erklärung den Spruch vom Keeping up with the Joneses heran. Familien der amerikanischen Mittelschicht eiferten ein Leben lang mit ihren Nachbarn um das größere Auto und andere Statussymbole.
Cross: Da ist etwas dran. Wie ich einkaufe, bestimmt, wer ich bin - Statusgüter positionieren mich in einer bestimmten Statushierarchie, und andere versprechen mir bestimmte Erfahrungen.
ZEIT: Sie wirken nicht eben überzeugt.
Cross: Das erklärt den amerikanischen Konsumdrang nicht allein. In den USA startete schon in den dreißiger Jahren der Trend zum »respektablen Discount-Shopping«, wie ich es nenne. Um trotz sinkender Haushaltseinkommen zu überleben, verkauften viele Unternehmen damals ihre Güter billiger, aber dafür in größerer Zahl. Das weitete sich in den sechziger Jahren mit dem Aufstieg von Discount-Ketten dramatisch aus, und seither hat sich in den USA geradezu ein Schnäppchen-Kult etabliert. Viele Amerikaner bevorzugen heute viele billige Güter gegenüber wenigen hochwertigen. Mit Status hat das weniger zu tun.
ZEIT: Diese Entwicklungen kennt Europa auch, trotzdem wird dort weniger konsumiert.
Cross: Zur Erklärung muss ich darauf zurückkommen, dass Konsum vielfach soziale Beziehungen ersetzt. Europäer haben mehr soziale Beziehungen. Sie sind zum Beispiel nicht so wurzellos, sie ziehen nicht so oft um, viele bleiben in der Nähe ihrer Eltern wohnen.
ZEIT: Im Wahlkampf argumentieren die oppositionellen Demokraten nun, dass die Mittelklasse untergehe. Doch zugleich geht der Kaufrausch weiter. Ist das »Ausquetschen der Mittelschichten« ein Fantasieproblem? Können solche Familien ihre materiellen Ansprüche nicht etwas zurückschrauben?
Cross: Das können Sie vergessen. Den Gürtel enger zu schnallen kann in der amerikanischen Wirtschaftspolitik niemand ernsthaft vorschlagen. In den siebziger Jahren sind marktliberale Ã-konomen hier eine interessante Allianz mit kulturkonservativen Denkern eingegangen. Es drehte sich um das Thema individueller Entscheidungsfreiheit. Wer das Konsumfieber der Mittelschichten, das Vollstopfen der Kinderzimmer mit Produkten oder gar die drei Kleinlaster in der Garageneinfahrt kritisiert, greift die ureigensten Rechte des amerikanischen Werktätigen an. Das ist ein Tabu.
ZEIT: Und doch gibt es in den Vereinigten Staaten eine lange Tradition der Konsumkritik - nicht nur vonseiten des Außenseiterkandidaten für die Präsidentschaft, Ralph Nader, sondern auch unter Konservativen und Demokraten.
Cross: Mehrheitsfähig ist das alles nicht. Ich war kürzlich noch bei einem Wahlkampfauftritt des demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten John Edwards in einer relativ konservativen Arbeiterstadt. Die einzigen wirtschaftspolitischen Themen waren Jobs und das Gesundheitssystem. Über die Umwelt und andere Dinge, die aufs Verzichten hinauslaufen könnten, fiel kein Wort. Die Demokraten achten darauf, sich durch solche Themen nicht zu isolieren. Al Gore war im vergangenen Wahlkampf in diese Falle gelaufen.
ZEIT: In anderen Ländern ist der Übergang gelungen. In Großbritannien hatten die Thatcher-Konservativen jegliche Art von Steuererhöhung zu einem vergleichbaren Tabu erklärt. Doch Tony Blair gelang es, einen Zusammenhang zwischen höheren Steuern und besseren Leistungen herzustellen, zum Beispiel besseren Krankenhäusern.
Cross: Ich glaube, Sie können das Gleiche in den USA nicht erreichen - heutzutage. In den USA bekommen Sie heute so wenig für Ihr Steuergeld, dass eine öffentliche Debatte über die Dienstleistungen der Regierung kaum zu führen ist, es sei denn, es geht um Terrorschutz. Wir haben in den USA die Tradition, dass einzelne Haushalte ein sehr hohes verfügbares Einkommen erwirtschaften. Davon muss ein sehr großer Teil für Dinge ausgegeben werden, die anderswo ein Staat bereitstellt: Die Ausbildung der Kinder zum Beispiel kann locker die Hälfte eines Familieneinkommens auffressen.
ZEIT: Wie passt das zusammen? Wenn man Mittelschichtfamilien über ihre Sorgen befragt, stehen Jobverlust, der damit verbundene Verlust der Krankenversicherung und das soziale Abrutschen ganz oben auf der Liste der Ängste. Warum sind soziale Auffangnetze gerade in der so wandlungsfähigen amerikanischen Wirtschaftsordnung unpopulär?
Cross: Die meisten Amerikaner würden Ihnen antworten: Sie wählen lieber selbst, als ihr Risiko auf die Gesellschaft umzulegen. Das hat wohl damit zu tun, dass der Markt sich gerade in den USA vielfach als höchst effizient erwiesen hat.
ZEIT: Das ist das Klischee vom amerikanischen Denken. Schauen Sie sich dagegen die Flut von Büchern und Dienstleistungen an, die sich in den USA mit dem Thema der Work-Life-Balance auseinander setzen. Dahinter steckt eine gewisse Verweigerung gegenüber dem Zwang, immer mehr zu arbeiten und zu konsumieren.
Cross: Die meisten Amerikaner übersetzen dies aber nicht in politische Ansichten. Solche Dinge werden kulturell diskutiert, persönlich oder als Angelegenheit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber nicht als eine Frage für Washington. Das amerikanische Muster von Individualkonsum ist längst zur Lebensgewohnheit geworden, und so etwas ist schwer zu brechen. Da müsste schon ein großer Schock kommen. Ein plötzlicher Anstieg der Energiepreise wird immer wieder an die Wand gemalt. Da werde Amerika plötzlich umdenken. Wirklich? Vielleicht wird es einfach einen Markt für energieeffizientere Güter geben, ohne dass es weniger Güter werden. Sehen Sie, in Amerika können Sie heute einen Fernseher für 50 oder 60 Dollar bei Wal-Mart kaufen, das ist weniger als das Einkommen eines Arbeitstages. Mag sein, dass wir dabei Ressourcen in der ganzen Welt ausbeuten, doch für den durchschnittlichen Amerikaner stellt sich diese Frage nicht. Er schaut stolz auf die große Zahl materieller Güter, die er sich heutzutage leisten kann, und sagt sich: We can do it.
<ul> ~ »Konsum statt Freundschaft«</ul>
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