-->Hi bernor,
>Das mit der gleichen / ähnlichen Form der Urkunden (Schrift, Pergament) leuchtet ein - die Frage ist, wenn Du die"Kirchenväter" wie Hieronymus als fiktiv bezeichnest, nur: Konnten Poggio u.a. im späten Mittelalter auch die Inhalte solcher Schriften einfach so erfinden, hatten sie's kirchenrechtlich/-"geschichtlich" so drauf, daß sie entsprechende, möglichst konforme Texte schreiben konnten, eventuell mit Hilfe kirchlicher"Ghostwriter"?
Das kanonische Recht ist wohl die Basis. 12. Jh, siehe unten.
>Auch wenn man diese Frage mit"Ja" beantworten kann, bleibt ein Rest, der nicht so leicht zu erklären ist: die Erwähnung von Unterschieden zwischen Vulgär- und klassischem Latein, z.B. bei Augustinus:
Reden wir von Augustinus: Wie sollte man an"seinen" Schriften erkennen, dass sie von"ihm" sind? Die ältesten Handschriften beginnen mit dem bekannten"Incipit" (Es fängt an...), hier ein sogar noch spätes Beispiel, datiert Salzburg 1474/6 (ein Traktat"gegen alle Pest"):
("Es beginnt der Prolog der himmlischen Offenbarungen der Herrin Brigitte (= Heilige von Schweden) SEELIGEN Gedenkens..." -"INcipit prologus in libro reuelacionum celestium beate memorie domine Birgitte...")
Brigitte, Patronin Europas - Selig-/Heiligsprechung wann?
Wichtig: Die Bücher der (spät)-mittelalterlichen Bibliotheken waren nicht nach Autoren geordnet. Man fand (und identifizierte sie als"Eigentum") sie zumeist nach dem xten Wort auf der zweiten Seite.
Es gibt kein Titelblatt (wie heute) und nirgends erscheint"vorne" ein Autorenname.
>Dieser setzte sich dafür ein, in Gebeten / Liedern bereits etablierte"falsche" Formen aus der Umgangssprache nicht zu korrigieren: also z. B. statt florebit ("wird blühen / sich hervortun") die vulgäre Form floriet (aus der 3./4. Konjugation in die 2. übernommen) zu belassen (De doctrina christiana 2, 13, 10).
Das halte ich für - mit Verlaub - kompletten Schwindel. Niemand legt mehr Wert auf das klassische, eben nicht"umgangssprachliche" und also verderbte Latein (Latein als Umgangssprache ist ein Thema für sich) als die Kirche. Schon das Wort"doctrina" hat mit klassischem Latein nichts zu tun.
>Und:"Ein Mensch, der Gott um Vergebung seiner Sünden bittet, kümmert sich nicht viel darum, ob die dritte Silbe von ignoscere kurz oder lang gesprochen wird..." (De doct. christ. 2, 10, 19).
Ein mittellateinische Gelehrten-Gag. Bestenfalls 11./12. Jh., wenn nicht später.
>(Auch Hieronymus beließ es bei Vulgarismen.)
MA-Latein und streckenweise ganz und gar schrecklich. Wie seine Vulgata - immerhin gerade bei"Offenbarungstexten" auf größte Akkuratesse zu achten, noch dazu bei einer Übersetzung aus dem griechischen Urtext!
>Waren Leute wie Poggio u.a., die gerade zugange waren, Italienisch neben Latein schriftsprachlich zu etablieren, überhaupt interessiert, soetwas (vielleicht als eine Art Echtheitsmerkmal?) in die Schriften hineinzufälschen?
Gute Frage! Würde ich mit glattem Ja beantworten.
>Von der fachlichen Eignung, die Lautentwicklung des Vulgärlatein nachvollziehen zu können, mal ganz abgesehen.
Wo bleibt z.B. das"mangnus" (statt"magnus" = groß), wie wir es noch in St. Mang ("Heiliger" im Allgäu) als schriftlich fixiert bewundern dürfen?
>Es wird also irgenwelche Vorläufer-Manuskripte gegeben haben - wenn auch wohl keine Originale mehr, sondern nachträglich (11./12. Jh.?)"bearbeitete" Fassungen, in denen den"Kirchenvätern" diverse Neuerungen der hochmittelalterlichen Kirche untergeschoben wurden, ohne dabei andere Textteile, siehe oben, zu verändern.
"Kirchenväter" halte ich sämtlich für fiktiv. Schon die Namen! Ignatius (ignatus = ungeboren), Athenagoras (Athen plus"agora" = Marktplatz), Melitos (Süßer?), Theophilos ("Gottlieb"), Athanasios (unsterblich), Gregor (Wachsamer), Epiphanios (Erschienener), Chrysostomus (Goldmund/-band), Germanus (!), usw. usw.
>Offen bleibt weiterhin, was die"Ur- und Frühchristen-Gemeinde" überhaupt für ein Verein war - siehe die militärische Ausdrucksweise, auch bei Kirchenvätern.
Sehr gut! Wir haben es mit versprengten Resten der römischen Militärmaschinerie zu tun bzw. den daran (direkt?) anschließenden mittelalterlichen ("klösterlichen") Kampfbünden. Fulda stellte für Romzüge mehrere Dutzend schwer bewaffnete Ritter, hatte aber lt. seinem ersten Bibliotheksverzeichnis nicht einen einzigen"Kirchenvater" im Bestand.
>Interessant ist gerade bei Poggio, dass er zwar stets angibt, in einem"alten verstaubten Kloster" fündig geworden zu sein. Das Original konnte leider in keinem einzigen Fall von ihm präsentiert werden, da es unmittelbar nach seiner"Abschrift" zerfallen ist.
>Denkbar ist daher auch, daß sehr wohl"Originale" vorhanden waren (aus welchem Jh. auch immer), diese jedoch von Poggio & Konsorten nach der Abschreibeaktion vernichtet wurden - aus geschäftlichen Gründen, um mögliche Konkurrenz durch spätere Abschreiber (und auch das Aufdecken von Fehlern bei der Abschrift) auszuschließen.
Guter Einwand. Aber bei der Handvoll schneller und gewandter Schreiber (Poggio war auch deshalb päpstlicher Sekretär) eher unwahrscheinlich. Außerdem hätte ein"Original" eher mehr als weniger gebracht. Und die Äbte haben der Vernichtung wohlwollend zugeschaut? Danach hatten sie doch selbst nichts mehr in Händen. Man beachte auch die Geschichte des Codex Sinaiticus (heute BM in frischem Exemplar, gleich am Eingang). Da ging's um große Summen...
>Unsere heutige Anschauung, wonach alte, historisch bedeutsame"Originale" an sich erhaltenswert sind (siehe Denkmalschutz usw.), hat sich erst seit dem 19. Jh. entwickelt - vorher hatte man offenbar keine Probleme damit, Altes durch adäquat erscheinendes Neues zu ersetzen: bei den o.a. Manuskripten (und später Büchern) kam es wohl weniger auf den Inhalt als vielmehr auf die"schöne Form" an, deren Nachfrage in gehobenen Kreisen es pekuniär auszunutzen galt.
Auch das hat was. Die Poggio-Mss. sind Prachtexemplare. Aber wenn's eh nur auf die schöne Form ankommt, kann man den Inhalt dazu doch gleich erfinden. Man denke an Silius Italicus und seinen Punischen Krieg in Versform (!). Übrigens auch ein Poggio-Elaborat. Den Verfasser-Namen hat er frei erfunden.
>Bei den traditionell ebenfalls merkantil orientierten Katalanen heißt es heute noch, daß z.B. ein Bild nicht"schön ist", sondern"schön macht" - vor allem, wenn es teuer genug (bezahlt worden) ist.
Niccoli und die Medici haben richtig abgelegt. Aber noch etwas Wichtiges zum Schluss:
Bekanntlich sind Rechtstexte erheblich wichtiger als Belletristik. Und die müssen nun wirklich in Urschrift erhalten bleiben. Wie kömmt's dann, dass sich das kanonische Recht erst im 11. (!) Jh. überhaupt nachweisen lässt. Das Decretum Gratiani (Sammlung) zwischen 1120 und 1140 datiert wird.
Auch das weist auf den mehr und mehr gehegten Verdacht hin: Christentum ab 1000 (siehe Christus 1053).
Danke für die Mühen und schönsten Gruß!
|