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Das Troja Sachsen-Anhalts
Die Himmelsscheibe von Nebra wird in Halle ausgestellt. Sie gibt Einblicke in die Gedankenwelt der Bronzezeit
Bettina Sauer
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Der Himmel über Nebra
Die Himmelsscheibe von Nebra ist nicht nur eine archäologische Sensation, sondern auch faszinierend schön. 3600 Jahre alt, zeugt sie von der Kultur der Bronzezeit. Forscher verstehen sie als Dartellung des Himmels zu Beginn und Ende des bäuerlichen Jahres. Ab Freitag ist sie im Museum für Vorgeschichte in Halle zu sehen.
(Foto: ddp/Sebastian Willnow)
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Raubgräber entdecken sie vor fünf Jahren erdverkrustet nahe des Flüsschens Unstrut im Waldboden. Anschließend kursiert die Bronzescheibe auf dem Schwarzmarkt für Kunstschätze. Sie wird von der Polizei sichergestellt und mit großem Aufwand wissenschaftlich untersucht. Seitdem Wissenschaftler auch nur ahnen, was sich hinter dem Fund aus Nebra in Sachsen-Anhalt verbergen könnte, sorgt er für Wirbel: sowohl bei Archäologen, die sich über die älteste Himmelsdarstellung der Welt freuen, als auch bei Souvenirhändlern, die T-Shirts und Tassen mit der grün-goldene Scheibe bedrucken ließen.
Von heute an dürfte die als"Himmelsscheibe von Nebra" bekannte und 3 600 Jahre alte Bronzeplatte neue Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle zeigt sie zusammen mit 1 600 weiteren Fundstücke aus 18 Ländern. Besondere Schätze sind der Sonnenwagen aus dem dänischen Trundholm und die Goldschiffchen von Nors. Im Zentrum aber steht die Nebra-Scheibe. Ihr zu Ehren heißt die Ausstellung"Der geschmiedete Himmel".
Die Geheimnisse zu lüften, die sich hinter 32 Sternen, einem Sichelmond, einem Vollmond und mehreren Bögen aus Gold verbergen, heißt, den Geist der Bronzezeit zu verstehen. Vor allem deshalb wurde der Fund in den vergangenen zwei Jahren gründlich untersucht. Herausgefunden haben die Wissenschaftler, dass die Scheibe einen Ausschnitt aus der bronzezeitlichen Mythologie abbildet. Demnach segelt die so genannte Sonnenbarke - der untere Goldbogen - Nacht für Nacht über den südlichen Himmel. Nachdem die Sonne abends am westlichen Horizont versunken ist, bringt die Sonnenbarke sie zurück in den Osten, damit sie den nächsten Tag einleuchten kann.
Diesen Befund stellten der Astronom Wolfhard Schlosser von der Ruhr-Universität Bochum und der Archäologe Harald Meller vom Landesamt für Archäologie in Halle. Unterstützt wurden sie von vielen Kollegen: Materialwissenschaftler untersuchten die chemische Zusammensetzung der Metalle, Restauratoren setzten die Scheibe instand, andere Astronomen interpretierten die abgebildeten Himmelsgestirne."Die Idee der Sonnenbarke hatten die Archäologen", sagt Schlosser."Solche Gefährte sind ihnen auch Ägypten und Skandinavien bekannt." Dort seien die Barken häufig mit Rudern ausgestattet gewesen - dafür halten die Forscher auch einen Stoppelbart zarter Striche, die rings um den Bogen eingraviert sind.
Die Wissenschaftler vermuten, dass die Schmiede von Nebra sich das Himmelsmeer, über das die Barke segelt, als Kuppel vorstellten. Die Erde sahen sie als Scheibe, überwölbt vom Himmel, umkreist von Sonne, Mond und Sternen. Dieses Weltbild propagierte auch die Kirche noch bis zum Beginn der Neuzeit. Für den Urheber der Idee hielt man bislang Thales von Milet - er lebte von 640 bis 546 vor Christus. Doch der griechische Mathematiker formulierte sie erst, als die Schöpfer der Himmelsscheibe von Nebra schon tausend Jahre tot waren.
Dieses noch im Mittelalter vorherrschende Weltbild scheint also in der Bronzezeit schon bekannt gewesen zu sein. Dafür sprechen Indizien, die Meller und Schlosser fanden, als sie über die Bedeutung der Goldbögen am Rand der Scheibe nachdachten. Einer dieser Bögen ist abgefallen, seine Leerstelle und der andere Bogen umschließen jeweils einen Winkel von 82 Grad. Das entspricht genau dem Bogen, den die Sonnenauf- und -untergänge vom 21. Juni bis zum 21. Dezember überstreichen. Die Enden der Bögen markieren die Sonnenwenden, die schon seit rund siebentausend Jahren gefeiert werden. Die Nutzer der Scheibe konnten mit den Bögen außerdem den Lauf der Sonne über das Jahr verfolgen.
Lange waren sich die Forscher darüber im Unklaren, welcher Bogen für die Morgen- und welcher für die Abendsonne steht. Aufschluss gaben ihnen schließlich die beiden Monde. Nach Schlossers Überlegungen kann die leicht gekippte Mondsichel in der rechten Hälfte der Scheibe nur für den Mond stehen, der von der untergehenden Sonne beschienen wird. Deshalb müsse der Bogen neben diesem Mond für den Sonnenuntergang stehen. Wie auf modernen Sternenkarten ist damit Westen auf der Scheibe rechts.
Die Scheibe symbolisiert zwar die Himmelskuppel mit Gestirnen, eine präzise Sternenkarte ist sie jedoch nicht. Als einziges erkennbares Sternbild prangen zwischen den beiden Mondabbildungen die Plejaden auf der Scheibe. Sie gingen Schlossers Berechnungen zufolge in der Bronzezeit im Raum Nebra am 10. März und 17. Oktober in der Abenddämmerung unter. Anfang März aber war es für die Bauern an der Zeit, die Felder zu bestellen, Mitte Oktober mussten sie die letzte Ernte einfahren. Daran wurden sie vor mehr als 3 500 Jahren womöglich von der Scheibe erinnert. Denn im Frühling zeigte sich oft eine Mondsichel beim Plejadenuntergang, im Herbst hingegen der Vollmond.
Das Universum als Kuppel, die Sonnenwenden als Endpunkte goldener Bögen und die Plejaden als Signale im bäuerlichen Jahr -"die Scheibe bündelt das astronomische Wissen der damaligen Zeit", sagt Meller. Damit sei sie für das Volk, das sie schuf, ungeheuer wichtig gewesen. Das zeigt auch der Fundort der Scheibe: Sie wurde zusammen mit kostbaren Schwertern vergraben, wie sie sich Fürsten schmieden ließen. Meller vermutet, dass die Fürsten die Scheibe auch herstellen ließen, um sie dem Volk vorzuführen. Außerdem hätten sie wohl die Deutungshoheit über das astronomische Wissen gehabt. Vielleicht haben sie die Scheibe aus diesem Grunde im Laufe von rund zwei Jahrhunderten immer wieder verändert.
So zeigte die Urfassung nur die Sterne und die beiden Monde - ein rein nächtlicher Bezug. Später kam durch die Einfügung der Horizontbögen auch die Sonne ins Spiel, zuletzt setzten die Schmiede als mythologische Verzierung das Sonnenschiff auf das Firmament.
Die Interpretation der Scheibe eröffnet ganz neue Perspektiven auf die Bewohner der Bronzezeit im Raum des heutigen Deutschlands."Wir wussten bislang nur, in welchen Häusern sie lebten, was sie aßen, welche Transportwege sie nutzten und wie alt sie wurden", sagt Meller."Sie haben hingegen nichts geschrieben und kaum gemalt. [Obacht jetzt kommt es!]Der Fund in Nebra gibt uns zum ersten Mal einen tieferen Einblick in die Gedanken der damaligen Menschen." [Das sage ich doch immer! Einfach heutigen Maßstäbe anzulegen ist voll daneben] Und er liefert einen Beleg dafür, dass die bronzezeitliche Kultur nördlich der Alpen auf einem beachtlichen Niveau stand. Wolfhard Schlosser:"Möglicherweise sah das Lebensumfeld im heutigen Sachsen-Anhalt damals ähnlich aus wie das der Griechen zu Zeiten des Trojanischen Krieges."
Grüße
J
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