-->Demografie: Eine Dauerstagnation droht
Die Bevölkerung schrumpft und wird immer Àlter. Folge: Der Wirtschaft droht aus Mangel an ArbeitskrÀften und Konsumkraft eine Dauerstagnation.
Der alte Menschheitstraum, das ewige Leben? Beinahe. Dass die Menschen immer lĂ€nger leben, findet James Vaupel âeinfach wundervollâ. Ein langes Leben bei guter Gesundheit - fĂŒr den Direktor des Max-Planck-Instituts fĂŒr demografische Forschung in Rostock ist das der âgroĂartigste Fortschritt in der Menschheitsgeschichteâ. So hat sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen in hoch entwickelten LĂ€ndern mehr als verdoppelt. Wurde ein um das Jahr 1800 herum geborenes MĂ€dchen im Durchschnitt gerade mal 40 Jahre alt, haben die heute geborenen MĂ€dchen eine Lebenserwartung von rund 85 Jahren.
Damit ist aber noch lange nicht Schluss. âIn den nĂ€chsten Jahrzehnten wird die Lebenserwartung der Deutschen um rund 2,5 Jahre pro Dekade zunehmenâ, prognostiziert Vaupel. Ende dieses Jahrhunderts werde die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen mehr als 100 Jahre betragen. âBereits die HĂ€lfte der im Jahr 2004 Geborenen wird ihren 100. Geburtstag erlebenâ, prophezeit der Rostocker Demograf.
Was fĂŒr den Einzelnen wie eine VerheiĂung klingt, stellt Wirtschaft und Gesellschaft in den alternden LĂ€ndern vor gigantische Herausforderungen. Zumal die Menschen im Durchschnitt nicht nur Ă€lter werden, sondern auch immer weniger Nachwuchs zeugen. Besonders drastisch zeigt sich das in Japan, Italien, Spanien und in Deutschland.
Wenig Zeit zum Gegensteuern
Die Folge: JĂ€hrlich sterben hier zu Lande rund 80 000 Menschen mehr als geboren werden. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerung in Deutschland selbst bei einer jĂ€hrlichen Nettozuwanderung von 100 000 Personen von derzeit 83 Millionen auf nur noch knapp 70 Millionen im Jahr 2050 schrumpfen. Als Folge der steigenden Lebenserwartung wird sich die Zahl der ĂŒber 80-JĂ€hrigen mehr als verdreifachen - von drei auf zehn Millionen. Im Jahr 2050 wird es in Deutschland dann ebenso viele Menschen ĂŒber 80 Jahre geben wie unter 20 Jahren. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung wird von aktuell 40 auf knapp 52 Jahre klettern.
FĂŒr die Wirtschaft ist das fatal. Denn weniger und Ă€ltere Menschen werden nicht nur weniger Waren und Dienstleistungen produzieren. Sie werden auch weniger GĂŒter konsumieren, zumal sich ihre Alterseinkommen, im VerhĂ€ltnis zur heutigen Rentnergeneration, in Zukunft verringern dĂŒrften. Der langfristige Wachstumstrend der deutschen Wirtschaft droht dadurch weiter zu sinken. Die derzeitige Wachstumskrise auf Grund des Reformstillstands könnte im schlimmsten Fall fast nahtlos in eine mehrere Jahrzehnte anhaltende Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ĂŒbergehen, fĂŒrchten Experten.
ZwangslĂ€ufig ist das allerdings nicht. Verhindern lieĂe sich die Wachstumskrise durch ein rasches und konsequentes Gegensteuern von Politik und Wirtschaft. Viel Zeit bleibt dafĂŒr aber nicht. Die aktuelle WachstumsschwĂ€che, so argwöhnt Paul Hewitt, Politikberater im US-Sozialministerium und ehemaliger Direktor am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, deute darauf hin, âdass die Ăra der Alterungsrezessionen bereits begonnen haben könnteâ.
GroĂe Bedeutung des Faktors Arbeit
Umso wichtiger wird deshalb die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Sie ist die entscheidende Voraussetzung, um politischen Handlungsspielraum fĂŒr Zukunftsinvestitionen zu gewinnen. Die rot-grĂŒne Bundesregierung aber tut genau das Gegenteil: Sie erhöht die Schulden und hinterlĂ€sst der jĂŒngeren Generation eine schwere Hypothek. Die skandinavischen LĂ€nder machen es besser.
Weniger Menschen, weniger Wachstum. Dass die Bevölkerungsentwicklung maĂgeblich das Wirtschaftswachstum beeinflusst, wies der US-Ă-konom Robert Solow bereits in den FĂŒnfzigerjahren nach. Der Ă-konomie-NobelpreistrĂ€ger zeigte, dass der Output einer Volkswirtschaft an GĂŒtern und Dienstleistungen entscheidend von der Menge und QualitĂ€t der eingesetzten ArbeitskrĂ€fte, der Maschinen sowie der Höhe des technischen Fortschritts abhĂ€ngt.
Wie groĂ die Bedeutung des Faktors Arbeit ist, hat Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Ohne die Millionen Kriegsheimkehrer und FlĂŒchtlinge aus dem Ostblock, die den Unternehmen als billige ArbeitskrĂ€fte zur VerfĂŒgung standen und deren Konsum die Binnennachfrage anheizte, wĂ€re das Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen. So nahm die Zahl der BeschĂ€ftigten von 1950 bis 1960 jĂ€hrlich um 2,1 Prozent zu, das BIP stieg im gleichen Zeitraum um 8,0 Prozent pro Jahr.
Babyboomer in Rente
20 Jahre spĂ€ter, als die Babyboomer-Generation ins Arbeitsleben eintrat, profitierte Westdeutschland erneut von der gĂŒnstigen demografischen Entwicklung. Zwischen 1980 und 1991 legte die BeschĂ€ftigung um jahresdurchschnittlich 1,2 Prozent zu, das BIP wuchs um 2,6 Prozent. In den Neunzigerjahren aber Ă€nderte sich das schlagartig. Die BeschĂ€ftigung stagnierte, die durchschnittliche Wachstumsrate des BIP fiel auf magere 1,6 Prozent pro Jahr.
Entsprechend trist sind die Aussichten fĂŒr die nĂ€chsten Jahrzehnte. âDie Bevölkerungs- und ErwerbstĂ€tigenzahl in Deutschland fĂ€lltâ, sagt Michael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. In einer Studie fĂŒr das Roman Herzog Institut kommt er daher zu dem Ergebnis, dass von der demografischen Entwicklung nur noch ânegative Impulse fĂŒr das Wirtschaftswachstum in Deutschlandâ zu erwarten sind.
Wenn von 2015 an die ersten Babyboomer in Rente gehen, wird das Erwerbspersonenpotenzial - also die Personen, die dem Arbeitsmarkt zur VerfĂŒgung stehen - ohne Zuwanderung um 1,3 Prozent pro Jahr abnehmen. Im Jahr 2050 werden dem Arbeitsmarkt dann nur noch rund 24 Millionen Menschen zur VerfĂŒgung stehen, 16 Millionen weniger als heute. âDas Gesicht der deutschen Wirtschaft wird sich dramatisch verĂ€ndernâ, warnt Horst Siebert, ehemaliger PrĂ€sident des Kieler Instituts fĂŒr Weltwirtschaft (IfW).
BIP schrumpft langsamer als die Bevölkerung
Einer Studie der Deutschen Bank Research zufolge wird der Mangel an ArbeitskrĂ€ften das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft um rund 0,5 Prozentpunkte jĂ€hrlich schmĂ€lern. âStatt wie derzeit um 1,5 Prozent wird die Wirtschaft damit auf lĂ€ngere Sicht bestenfalls noch um 1,0 Prozent pro Jahr wachsenâ, sagt der Autor der Deutsche-Bank-Studie, Bernhard GrĂ€f.
Mit einer Stagnation des BIPs mĂŒssten die Deutschen rechnen, wenn der Strom an Zuwanderern versiegt und die ProduktivitĂ€t infolge der Alterung im Vergleich zu den Neunzigerjahren mit 0,5 Prozent pro Jahr nur noch halb so schnell wĂ€chst. Wenn auf Grund mangelnder Investitionen auch noch der Beitrag des Kapitalstocks zum Wirtschaftswachstum nur halb so hoch ausfĂ€llt wie in den Neunzigerjahren, wĂŒrde die deutsche Wirtschaft von 2020 an in eine Dauerrezession rutschen, das BIP nĂ€hme um 0,3 Prozent pro Jahr ab.
Allerdings nĂ€hme selbst im schlimmsten Szenario das reale Einkommen pro Kopf zwischen 2001 und 2050 noch um insgesamt knapp 40 Prozent zu. Ursache dafĂŒr ist der verstĂ€rkte Einsatz von Maschinen und Anlagen, der das BIP langsamer schrumpfen lĂ€sst als die Bevölkerung. Ein Grund zur Entwarnung ist das nicht. Denn mit dem RĂŒckgang des deutschen BIPs schrumpft auch das Marktvolumen fĂŒr die Unternehmen. âInternational orientierte Investoren und Unternehmer orientieren sich bei ihren Anlageentscheidungen nicht am Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung, sondern an der absoluten GröĂe des BIPsâ, weiĂ Deutsche-Bank-Ă-konom GrĂ€f. Rutscht Deutschland in eine Dauerrezession, dĂŒrften Investoren einen groĂen Bogen um das Land machen - mit negativen Folgen fĂŒr BeschĂ€ftigung und Wachstum.
Anhaltende KonsumschwÀche
Auch fĂŒr die BundesbĂŒrger wĂ€re eine Zunahme ihres Pro-Kopf-Einkommens um 40 Prozent zwischen 2001 und 2050 enttĂ€uschend. Bedeutet dies doch, dass ihr persönlicher Wohlstand jĂ€hrlich nur um magere 0,8 Prozent zunehmen wĂŒrde. Von 1950 bis 2000 war das reale Pro-Kopf-Einkommen noch um 9,7 Prozent pro Jahr geklettert. âDie sinkenden Wachstumsraten der Pro-Kopf-Einkommen werden die finanzielle Lebensplanung der BĂŒrger auf den Kopf stellenâ, prophezeit Jörg KrĂ€mer, Chefvolkswirt von Invesco Asset Management.
Der Einzelhandel bekommt das schon jetzt zu spĂŒren. Dass sie nur noch mit sinkenden EinkommenszuwĂ€chsen rechnen können, hat die Konsumenten deprimiert. Statt neue Autos, Möbel oder Kleidung zu kaufen, legen sie einen immer gröĂeren Teil ihres Einkommens auf die hohe Kante. So kletterte die Sparquote von 9,6 Prozent Anfang 1999 auf 10,6 Prozent im vierten Quartal 2003.
Ein Ende der KonsumzurĂŒckhaltung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Gerade weil die Deutschen immer Ă€lter und weniger werden, droht der Wirtschaft in den nĂ€chsten Jahrzehnten eine langanhaltende Konsumflaute - selbst wenn das Pro-Kopf-Einkommen steigt. Denn die höhere Kaufkraft je Einwohner wird durch die rĂŒcklĂ€ufige Bevölkerung mehr als kompensiert. âVor allem bei personenbezogenen Produkten und Dienstleistungen wird die rĂŒcklĂ€ufige Bevölkerungszahl das inlĂ€ndische Marktpotenzial schmĂ€lernâ, urteilt IW-Ă-konom Grömling. Um nicht in eine âĂra der ĂberkapazitĂ€ten mit einem deflationĂ€ren Schwund unternehmerischer Preissetzungsmachtâ zu schlittern, wie US-Politikberater Hewitt fĂŒrchtet, mĂŒssen die Betriebe in den nĂ€chsten Jahren ihre ProduktionskapazitĂ€ten der geringeren Nachfrage anpassen.
Die Alten sparen mehr als die Jungen
ZusĂ€tzlich wird der Konsum gebremst, weil die Bevölkerung im Schnitt immer Ă€lter wird. Denn der Anteil der Menschen im Ruhestand nimmt zu, und diese beziehen in der Regel ein geringeres Nettoeinkommen als ihre erwerbstĂ€tigen MitbĂŒrger. So verfĂŒgen die zwischen 65- und 70-JĂ€hrigen gegenwĂ€rtig ĂŒber knapp 2250 Euro im Monat. Dagegen liegen die durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommen der ErwerbstĂ€tigen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren zwischen 2800 und 3300 Euro.
Die demografische Zeitbombe fĂŒhrt
also dazu, dass immer mehr Menschen in vergleichsweise schwĂ€chere Einkommensklassen abrutschen. Die jĂŒngste Rentenreform der Bundesregierung wird diesen Trend noch verstĂ€rken, weil sie die Zunahme der AltersbezĂŒge verlangsamen wird.
Von ihren Einkommen legen die Alten zudem einen gröĂeren Teil auf die hohe Kante als die Jungen. Auf den ersten Blick mag das paradox erscheinen. SchlieĂlich sparen die meisten Menschen in jungen Jahren, um spĂ€ter auf diese Reserven zurĂŒckzugreifen. Doch statt ihre Ersparnisse auf den Kopf zu hauen, stocken die Alten ihr Vermögen weiter auf. Einer Studie des Deutschen Instituts fĂŒr Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge liegt die Sparquote der ĂŒber 65-JĂ€hrigen mit 9,5 Prozent um drei Prozentpunkte höher als die der JĂŒngeren.
Verkehrssektor wird verlieren
Neben dem Bestreben, den eigenen Kindern und Enkeln ein erkleckliches Vermögen zu hinterlassen, vermuten Konsumforscher, dass die Alten eine ganz besondere Art von Zukunftsangst plagt. âWeil die Menschen infolge des medizinischen Fortschritts damit rechnen, immer lĂ€nger zu leben, legen sie auch im hohen Alter weiter Geld auf die hohe Kanteâ, sagt Wolfgang Twardawa, Marketingleiter der Gesellschaft fĂŒr Konsumforschung (GfK) in NĂŒrnberg.
Unklar ist jedoch, ob dieses Verhalten nur fĂŒr die Kriegsgeneration gilt oder auch fĂŒr die eher hedonistisch geprĂ€gte Babyboomer-Generation, die in den nĂ€chsten Jahrzehnten in den Ruhestand geht. Noch befindet sich diese Generation mitten im Erwerbsleben, kurz vor dem Höhepunkt ihrer Einkommensentwicklung und zeigt sich ausgabefreudig. So gaben rund 45 Prozent der ĂŒber 50-JĂ€hrigen bei einer Umfrage im Jahr 2002 an, sich lieber ein schönes Leben zu machen, als zu sparen. 1992 lag dieser Anteil bei 27 Prozent. Doch wenn die Babyboomer in Rente gehen, werden auch sie sich in Bescheidenheit ĂŒben mĂŒssen. Weitere RentenkĂŒrzungen, eine steigende Lebenserwartung sowie explodierende Kosten fĂŒr die medizinische Versorgung werden sie zwingen, ihren Konsum zurĂŒckzuschrauben und weiter vorzusorgen.
Dennoch wird es Branchen geben, die von der Alterung profitieren. Vor allem Unternehmen im Bereich der Gesundheits- und Körperpflege können sich ĂŒber eine steigende Nachfrage freuen. Schon jetzt stecken die ĂŒber 70-JĂ€hrigen mehr als sechs Prozent ihrer Konsumausgaben in den Erhalt ihrer Gesundheit. Bei den 25- bis 35- JĂ€hrigen sind es nur 2,2 Prozent.
Zu den Verlierern der demografischen Zeitenwende wird der Verkehrssektor gehören. Die abnehmende Zahl der Berufspendler wird nicht nur bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben zu ĂberkapazitĂ€ten fĂŒhren. Auch die Automobilindustrie dĂŒrfte sich in einer weniger mobilen Gesellschaft schwerer damit tun, neue Modelle an den Rentner und die Rentnerin zu bringen. Schon jetzt wenden Ă€ltere Haushalte nur zehn Prozent ihrer Ausgaben fĂŒr MobilitĂ€t und Kommunikation auf. Bei jĂŒngeren Personen liegt dieser Anteil fast doppelt so hoch.
Höhere Leistung herauskitzeln
So wird den Firmen nicht viel anderes ĂŒbrig bleiben, als aus den knapper werdenden ArbeitskrĂ€ften eine höhere Leistung herauszukitzeln. Dabei mĂŒsste sich die jĂ€hrliche Zunahme der ProduktivitĂ€t der BeschĂ€ftigten von 1,0 auf rund 2,0 Prozent verdoppeln, um die negativen Auswirkungen des rĂŒcklĂ€ufigen Arbeitsangebots auf das Wachstum wettzumachen.
Ist das bei einer allmĂ€hlich vergreisenden Belegschaft möglich? DafĂŒr spricht, dass Ă€ltere ArbeitskrĂ€fte ĂŒber mehr Erfahrungen verfĂŒgen als ihre jĂŒngeren Kollegen. Auch können sie durch Weiterbildung der Entwertung ihrer Qualifikationen entgegenwirken. Infolge des medizinischen Fortschritts dĂŒrften sie zudem lĂ€nger gesund bleiben. Demografieforscher Vaupel glaubt sogar, âdass die Menschen in Zukunft ohne Probleme bis zu ihrem 70. oder gar 80. Lebensjahr arbeiten könnenâ.
Fraglich ist jedoch, ob sie in einem solchen Alter noch in der Lage sind, die fĂŒr den technischen Fortschritt so wichtigen Innovationen voranzutreiben. âIn Ă€lteren Gesellschaften ist die Risikoaversion gröĂer, und der technische Fortschritt ist geringerâ, sagt Wirtschaftsforscher Siebert. FĂŒr ihn ist deshalb gewiss: âDie wirtschaftliche Dynamik wird sinken.â
<ul> ~ Aus der Wirtschaftswoche</ul>
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