-->Mittwoch, 24. November 2004
Kreative Buchführung
Landesregierungen schönen ihre Haushaltsplanungen. Kontrollen und Sanktionen reichen nicht aus. Fünf Beispiele
Anke Springer
BERLIN, 23. November. Die Verschleierung von Finanzdefiziten nimmt laut Bund der Steuerzahler (BdSt) immer stärker zu. "Die Haushalte der letzten drei, vier Jahre sind auf tönernen Füßen gebaut worden", sagte der Haushaltsexperte vom BdSt Andreas Schmidt der Berliner Zeitung. Weil es aber zu wenige Kontrollmechanismen gebe, gelange der tatsächliche Umfang der finanziellen Engpässe erst viel zu spät an die Ã-ffentlichkeit, beispielsweise wenn das Parlament einem Nachtragshaushalt zustimmen müsse.
Schmidt forderte wirksamere Sanktionen, wenn die Regierungen gegen ihre Sorgfaltspflichten verstoßen. Den Rechnungshöfen fehle die Macht, wirklich etwas zu ändern. Sie müssten das Recht haben, Strafanzeige zu erstatten oder die Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen zu beauftragen. Die Notwendigkeit dafür würde allerdings parteiübergreifend durch eine"Koalition des Schweigens" geleugnet, sagte Schmidt.
Nordrhein-Westfalen: Schon bei der Verabschiedung des Doppelhaushaltes 2004/2005 ist laut Bund der Steuerzahler klar gewesen, dass die Steuerschätzung der NRW-Landesregierung zu optimistisch gewesen ist. Nach dem Jahresabschluss für 2003, der als Basis für die folgenden Jahre hätte dienen können, lagen die Steuereinnahmen für das abgelaufene Jahr um 1,3 Milliarden Euro unter den Erwartungen. "Hinter diesen Zielverfehlungen ist Methode zu vermuten, denn so kann die verfassungsrechtlich vorgegebene Kreditobergrenze eingehalten werden", meint der nordrhein-westfälische Steuerexperte Heiner Cloesges. Der nordrhein-westfälische Landesverband moniert außerdem so genannte verdeckte Rücklagen. Die Landesregierung gewährt den Kommunen demnach ihre Steuerverbundmittel trotz konjunkturbedingt rückläufiger Einnahmen in voller Höhe, erhält dafür aber mit zeitlicher Verzögerung Rückzahlungen für die kreditierten Zahlungen.
Schleswig-Holstein: In"großem Stil" werde der Landeshaushalt schön gerechnet, sagte der Steuerexperte Rainer Kersten. In seinem jüngsten Bericht habe der Landesrechnungshof die übermäßige Ausgliederung von Aufgaben auf bestehende oder neu gegründete Unternehmen gerügt. Durch solche Neben- oder Schattenhaushalte könnten die finanziellen Transaktionen des Landes aber nicht mehr ausreichend transparent dargestellt werden. Die Rechnungsprüfer beanstanden auch, dass dadurch die Personalentwicklung des Landes verschleiert werde. Die Stellenzahl der Landesverwaltung sei nominell zwischen 1998 und 2003 zwar um 1 708 zurückgegangen. Real habe das Land in dieser Zeit aber nur 198,5 Stellen unter dem Strich eingespart.
Baden-Württemberg:"Verdeckte Kreditaufnahmen" und einen"Hang zur Unseriösität" wirft der baden-württembergische Bund der Steuerzahler seiner Landesregierung vor. Diese habe nicht nur Gewinn bringende Forderungen zum Stopfen von Haushaltslöchern verkauft, sondern plage sich noch bis zum Jahr 2026 mit den Lasten eines so genannte Zero-Darlehens aus den 80er Jahren herum. Bei dieser Art Darlehen werden Zins und Tilgung über längere Zeit ausgesetzt und schlagen sich zum Teil erst Jahrzehnte später im Haushalt nieder. Dies wird auch bei der Höhe der Rückzahlungsverpflichtungen schmerzlich deutlich. "Auffällig ist, dass für einen Kredit in Höhe von 323 Millionen Euro Zinsen in Höhe von fast einer Milliarde Euro anfallen", beanstandet der baden-württembergische Bund der Steuerzahler. Das größte Problem aber sei, dass jahrelang versäumt wurde, dafür Rücklagen zu bilden.
Hessen: Auch die hessische Landesregierung von Ministerpräsident Roland Koch entwickelt Kreativität bei der Aufstellung ihres Landeshaushaltes. In den letzten drei Jahren habe die Wiesbadener Landesregierung,die sich für 270 Millionen Euro ein neues Polizeipräsidium in Frankfurt am Main leistete, dreimal Einnahmen für den Verkaufserlös ihres alten Präsidiums im Haushalt angesetzt, damit Einnahmen und Ausgaben nicht so stark auseinander klafften. Ein viertes Mal sei ihnen dann doch"zu peinlich gewesen", sagte Clemens Knobloch vom hessischen Bund der Steuerzahler. Das Gebäude stehe allerdings immer noch zum Verkauf.
Niedersachsen:"In maximal zehn bis 15 Jahren wird uns das Ganze um die Ohren fliegen", sagte Bernhard Zentgraf vom niedersächsischen Bund der Steuerzahler über die Haushaltslage des Landes. Viel zu hohe Steuerschätzungen suggerierten der Ã-ffentlichkeit Steuerausfälle, tatsächlich verdeckten sie nur den Handlungsdruck der Hannoverschen Landesregierung. Für die Jahre 2006, 2007 und 2008 rechnete die Koalitionsregierung aus CDU und FDP in Niedersachsen mit einem Anstieg der Steuereinnahmen um bis zu fünf Prozent. Bei einem gegenwärtigen Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent sei diese Annahme nicht zu erfüllen, sagte Zentgraf.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/397724.html
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