-->Donnerstag, 09. Dezember 2004
Kommentar Der Euro und die Schmerzgrenze
Stephan Kaufmann
Die politischen Betreuer des Standorts Deutschland sind anspruchsvoll geworden. Nicht nur von den Arbeitnehmern fordern sie Verbilligung, sondern auch vom Euro. Denn der, so sagen sie, sei zu teuer. Gegenüber dem US-Dollar ist der Euro in den vergangenen zwei Jahren um rund 50 Prozent gestiegen. Nun wird geklagt: Deutsche Exportwaren seien nicht mehr wettbewerbsfähig. Güter aus dem Dollar-Raum würden billiger und sorgten so hier zu Lande für Konkurrenz. Zudem sänken die Exporteinnahmen - jeder eingenommene Dollar ist schließlich nur noch 0,75 Euro wert. Jeden Tag, so heißt es, steige der Euro näher an die"Schmerzgrenze", ab der dann die Krise ausbricht.
Nun ist es mit dieser"Schmerzgrenze" so eine Sache. Sie scheint vor den Warnern zu fliehen. Anfang 2001 zum Beispiel, der Euro hatte sich gerade von seinen Tiefs erholt, da war sein Kurs laut Außenhandelsverband BGA mit 0,94 Dollar schon wieder zu hoch. Ende 2002 sahen Bank-Volkswirte die"Schmerzgrenze" bei 1,04 Dollar je Euro erreicht. Der Maschinenbauer-Verband VDMA wiederum ortete diese Grenze Anfang 2003 bei 1,10 Dollar. Bis Mitte 2003 stieg der Euro bis auf 1,15 Dollar und hatte damit laut deutschem Industrieverband BDI die"Schmerzgrenze" nun wirklich überschritten. Doch der Euro legte weiter zu, und während die Investmentbank ING ab einem Kurs von 1,25 den Einbruch bei den Exporten vorhersagte, so sahen ihn die Forscher vom Ifo-Institut Ende 2003 bei 1,30. Und nun soll es also bei 1,40 Dollar so weit sein.
Sicher schadet die Euro-Rally vielen Geschäften. Eine eindeutige Wirkung hat sie jedoch nicht. Ursache ist die viel zitierte Globalisierung, in der der Wechselkurs eben nur ein Faktor unter vielen ist. Es besteht daher kein Grund zu Panik. Zunächst geht der weitaus größte Teil der deutschen Exporte ohnehin in die Euro-Zone, ist also vom Euro-Hoch unbeeindruckt. Der Dollar-Raum kauft nicht mal ein Fünftel aller Ausfuhren.
Auch dieses Fünftel jedoch ist nicht unbedingt gefährdet. Denn viele deutsche Unternehmen haben ihre Ausfuhren durch Wechselkursgeschäfte abgesichert. Außerdem sind die Lieferverträge und Geschäftsverbindungen mit dem Ausland häufig langfristig, der Wechsel von einem deutschen zu einem amerikanischen Lieferanten ist also gar nicht so leicht möglich. Und schließlich lassen die Firmen zunehmend mehr im Ausland selber produzieren - wer in Amerika fertigt, der hat mit dem schwachen Dollar kein Problem.
Zudem hat der starke Euro auch positive Folgen für hiesige Unternehmen. Er macht Kapitalexport billiger - wer sich heute in den USA eine Fabrik oder ein Unternehmen kaufen will, für den sinken die Investitionskosten mit jedem Cent, den der Euro steigt. Zudem sorgt die Euro-Stärke für billige Importe. Vor allem Rohstoffe wie Erdöl, aber auch Vorprodukte aus dem Ausland werden günstiger. Diesen Preisvorteil können Exporteure weitergeben. Das Euro-Hoch dämpft somit die deutsche Preissteigerungsrate. Das bewirkt wiederum niedrige Zinsen, also niedrigere Kreditkosten für Firmen.
Wie wenig eindeutig ein schwacher Dollar auf den deutschen Export wirkt, lässt sich empirisch zeigen: Von 1985 bis 1995 sank der Dollar von 3,45 Mark auf 1,36 Mark. Im selben Zeitraum stieg der deutsche Export - unter Schwankungen - von umgerechnet 236 Milliarden auf 339 Milliarden Euro. Noch ein Beispiel: Im Jahr 2000 sank der Euro bis auf 0,82 Dollar, heute kostet er 1,33 Dollar. Trotz dieser Aufwertung von 60 Prozent hat sich das Exportvolumen Deutschlands von 597 Milliarden auf dieses Jahr schätzungsweise 720 Milliarden Euro erhöht. Weltmarktanteile wurden hinzu gewonnen.
Man sieht: Die Gefahr für den Export ist weniger der Wechselkurs. Das Bangen um die Ausfuhr-Milliarden lenkt von der wichtigen Frage ab, wie lange die deutsche Wirtschaft ihr Wachstum eigentlich noch aus dem Ausland holen, wie lange sie also ihr Wachstum noch importieren will?
...
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/meinung/402210.html
J
|