-->09.12.2004 05:03
"Eine gute Schule putzen Lehrer selbst"
Deutschlands beste Rektorin spricht im Rahmen der Pisa-Debatte über ihre Erfolgsrezepte
VON FRANK VAN BEBBER
In Zeiten von Pisa stehen die Menschen für die Idee einer besseren Schule Schlange: Über zwei Stockwerke warten die Besucher im Treppenhaus des Konstanzer Kulturzentrums auf Einlass. Über 200 Menschen, darunter viele Lehrer, wollen Enja Riegel hören. Die 64-Jährige war Rektorin der Helene-Lange-Gesamtschule in Wiesbaden, die vor vier Jahren das bundesweit beste Pisa-Ergebnis erzielte. Seit ihrer Pensionierung tourt sie mit Vorträgen durch die Republik. Baden-Württemberg hat sie als"neugierigstes, interessiertestes Land" erlebt.
Am Ende gibt es auch in Konstanz reichlich Beifall. Dabei verkündet Riegel vor allem Zumutungen: In ihrer Schule müssen Lehrer länger anwesend sein als nur die Unterrichtsstunden, sie müssen andere Fächer fachfremd unterrichten - und Lehrer und Schüler putzen die Schule selbst. Das mit dem Putzen wollte anfangs sogar die Schulbehörde verbieten. Sechs Jahre putzten Lehrer und Schüler heimlich. Riegel ist vom Sinn überzeugt: Wenn man lernen wolle, was eine Sache wert sei und dass der Staat nicht alles leisten könne,"dann fängt es beim Putzen an." Der Saal beklatscht die Idee mit dem Selbstputzen. Heute zahlt die Stadt der Helene-Lange-Schule die so gesparten 27000 Euro aus. Dafür engagiert die Schule Schauspieler und Regisseure, die mit den Schülern Theater spielen. Der Unterricht entfällt dafür oft, doch die Schüler geben auch Wochen ihrer Ferien her.
Die Reformschule ist eine Gesamtschule. Riegel sagt:"In Baden-Württemberg wissen sie sowieso nicht, was das ist." Also: In den Klassen fünf bis zehn, Größe jeweils 25 bis 27 Schüler, sitzen Starke und Schwache. Die Hälfte der Schüler sei für das Gymnasium geeignet, 30 Prozent für die Realschule, 20 Prozent gelten als schwach. So lerne der Sonderschüler neben dem späteren Harvard-Stipendiaten, sagt Riegel."Hauptübel der deutschen Schule ist die frühe Trennung."
In der Helene-Lange-Schule bleibt niemand sitzen. In der fünften und sechsten Klasse gibt es statt Noten Elterngespräche."Es ist die Kunst des Lehrers, mit unterschiedlichen Schülern guten Unterricht zu machen", sagt Riegel. Lehrer müssten wieder lernen, mit Unterschieden umzugehen. An ihrer Schule unterrichten Teams einen Jahrgang bis zum Abschluss. Der Klassenlehrer hat in seiner Klasse mehr Stunden als üblich, bis zu sechs am Stück, weil er fachfremd unterrichtet.
Der Pisa-Sieg hat Riegel zur glaubwürdigen Expertin gemacht. Widerspruch gibt es nur, als sie andeutet, sie halte Annette Schavan für eine reformfreundliche Ministerin. Doch sie und ihr Kollegium haben vor 17 Jahren reformiert, als niemand an Pisa dachte. Oft spürten sie Widerstand der Behörde. Ihre Schule ist keine auf Tests getrimmte Kaderschmiede. Die Schüler spielen nicht nur Theater, sondern absolvieren jedes Schuljahr wochenlang ein Sozial-, Betriebs- oder Kulturpraktikum. Sie arbeiten mitten im laufenden Schuljahr an Projekten. In sechs Jahren verlieren sie so gegenüber anderen Schulen ein halbes Jahr Fachunterricht. Doch die Helene-Lange-Schüler waren beim Pisa-Test ein ganzes Schuljahr voraus. Dass Schule so anders erfolgreich sein kann, ist nicht jedem geheuer. "Wir durften bei der letzten Pisa-Studie nicht mehr mitmachen", sagt Riegel mit Verweis auf das hessische Schulministerium."Das wurde verboten, dass wir nicht wieder so gut werden."
http://www.suedkurier.de/nachrichten/bawue/art1070,1320253.html
[b]Es geht, wenn man will. Sogar in"Affistan" - aber will man das wirklich???
J
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