-->leider weiss ich nicht, wo ich diesen Text koopiert habe - passt aber prima hier hin:
Das große spirituelle Defizit der Babyboomer
Wir verlangten nach Wissen, strebten nach Unabhängigkeit, schufen vor allem im Westen mittels technologischer Innovationen einen beispiellosen Reichtum und entwickelten eine Mittelschicht, die gegen den Druck des physischen Überlebenskampfes gut isoliert war. Doch im Laufe dieses Prozesses haben wir die Bedeutung des Heiligen im menschlichen Leben zunehmend verringert und schließlich zerstört und uns auf diese Weise selbst auf eher materielle als spirituelle Wesen reduziert. Wir leugneten unsere Verpflichtung gegenüber einer intelligenten, uns weit überlegenen Kraft. Wir erschufen das Flachland eine Welt ohne Transzendenz und Tiefe. Jetzt, da wir durch die postmoderne Welt hasten, die sich in unvorstellbarem Tempo verändert, erweist sich der modernistische Glaube an die Omnipotenz von Vernunft und Verstand als Illusion. Der Pluralismus der Kulturen, Rassen und Perspektiven hat Fragen nach Recht und Wahrheit aufgeworfen. Wir traten für Gleichheit ein und machten aus der Wahrheit allmählich Wahrheiten unsere verschiedenartigen Lebenserfahrungen wurden Grundlage für gleichwertige und folglich relative Wahrheiten. Die Reduktion der Wahrheit auf unsere subjektive Erfahrung machte aus dem Pluralismus, so Wilber, einen „Supermagneten für den Narzissmus”. Dies ist das spirituelle Dilemma der Boomeritis: Wir gestatteten unserem kreativen Verstand, der Wahrheit das Göttliche zu rauben und an seiner Stelle unsere persönliche Erfahrung einzusetzen. Das Schlupfloch hat sich als Schlinge erwiesen.
Natürlich hatten wir, als smarte postmoderne Typen, schon gemerkt, dass der westlichen Kultur die spirituelle Dimension fehlt. Deshalb machten sich ja so viele von uns auf den spirituellen Weg oder kultivierten eine Lebensform, die der Sorge um das Wohlergehen der Unterdrückten entsprang. Wir trugen die großen Weisheitslehren aus aller Welt zusammen und hielten innere Einkehr, um über unsere tiefere Wesensnatur nachzudenken. So weit so gut.
Wenn wir jedoch glauben, dass wir tiefer gehen, enden wir nur allzu oft in einem mentalen Labyrinth aus Ideen und subjektiven Erfahrungen. Mit anderen Worten: Wir blicken auf das, was wir kennen auf unser eigenes, narzisstisches Spiegelbild.
Das postmoderne Selbst ist zutiefst subjektiv. Und Wilber macht sehr deutlich, welche Konsequenzen diese subjektive oder persönliche Herangehensweise der Boomer an die Welt hat. In Ablehnung des Gottes der Traditionalisten und der absoluten Prinzipien der wissenschaftlichen Denkweise lässt uns der pluralistische Verstand nur noch die eigene innere Erfahrung als Autorität, als Fundament für Tat und Wahrheit. Ziemlich erschreckend, wenn man an all den mentalen und emotionalen Schutt denkt, der ständig durch uns hindurchgeht! Wie Wilber erklärt, entspringen dieser subjektiven Haltung eine Reihe von Grundsätzen des Boomeritis-Pluralismus:
Wahrheit kann, da sie auf persönliche Erfahrungen gegründet ist, nur relativ sein.
Es gibt keinen Grund, über andere zu urteilen denn was sie tun, könnte ja „das Richtige für sie” sein.
Eine Hierarchie, das heißt, die Erfahrung oder den Sachverstand eines Menschen über die eines anderen (vor allem über die eigene) zu stellen, ist eine Verletzung dessen, was wahr ist (nämlich, dass die Wahrheit nur relativ ist).
Die einzige Methode, mit der man herausfinden kann, was gut und wahr ist, besteht darin, auf die eigenen Gefühle zu achten. Wenn also einen etwas gefühlsmäßig verletzt, dann geschieht ihm folglich Unrecht.
Der Kampf der Pluralisten für die Rechte derer, die von den Segnungen der Moderne ausgeschlossen waren, brachte das ist wohl wahr für viele Menschen neue Handlungsfreiheit und eröffnete ihnen ungeahnte Möglichkeiten. Doch gleichzeitig und gewiss unbeabsichtigt schuf er ein Klima, in dem jedes empfindliche, benachteiligte Selbst die Verletzung seiner eigenen Gefühle als einen persönlichen Angriff bezeichnen und einen Opferstatus für sich beanspruchen kann, um dann mit einer Schadenersatzklage vor Gericht zu ziehen (oder zumindest Kostendeckung durch die Krankenkasse zu fordern). Die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, das starke Bedürfnis, jemand anderem die Schuld an den eigenen Problemen in die Schuhe zu schieben, ist ein typisches Merkmal des Narzissmus. „Das wirklich Tragische” daran ist, wie Wilber anmerkt, dass die „echten Beschwerden” tatsächlicher Opfer durch jenen „Opfer-Chic bagatellisiert werden”. Wenn Wilber darlegt, wie weit wir zu gehen bereit sind, um der Verantwortung zu entfliehen der Mann mit einem Taillenumfang von 152 cm, der die Fluggesellschaft wegen Diskriminierung verklagt, weil er sein Gesäß nicht in den Sitz pressen kann; der Prozess gegen McDonald's, weil der Kaffee zum Mitnehmen zu heiß war; oder die Flut von Selbsthilfegruppen für jedes echte oder eingebildete Trauma geht es ihm in erster Linie um die Frage, wie tief die Boomeritis bereits in die westliche Kultur eingedrungen ist. Meine Frage hingegen lautet: Was bedeutet das alles für das geistige Leben?
„Möglicherweise ist etwas mit mir nicht in Ordnung vielleicht habe ich in meiner Vergangenheit zu großen Schaden erlitten, vielleicht kann mir eine Therapie dabei helfen, herauszufinden, was mich zurückhält.”
Im Spiegel unseres Verstandes die Erlösung zu suchen ist ein Boomeritis-Trick, der es uns ermöglicht, uns nicht zu verändern, während wir gleichzeitig fortwährend über Veränderung nachdenken, als sei dies das Eigentliche, um das es gehe. Das zutiefst subjektive Selbst, das letzten Endes unseren Gedanken und Gefühlszuständen immer Vorrang und Autorität verleiht, korrumpiert das eigentliche Ziel des spirituellen Lebens. Der Sinn und Zweck des spirituellen Lebens, der Beweggrund für die Suche wird darauf reduziert, sich besser fühlen zu wollen. Mit einem Wort: Glückseligkeit. Mit zwei Worten: Keinen Stress.
Diese Verzerrung der spirituellen Wahrheit durch den Narzissmus führt zu einer Flachland-Spiritualität ohne wirkliche Transzendenz, die sich vom Leben derer, die nicht auf einem spirituellen Weg sind und spirituelle Praktiken üben, kaum unterscheidet. Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Der mit Boomeritis infizierte Sucher hält viel von sich selbst und fühlt sich anderen auf Grund seiner spirituellen Identität überlegen schließlich ist er doch ein so spiritueller Mensch.
Im Wörterbuch lautet die Definition: Narzissmus ist ein übermäßiges Interesse an der eigenen Person, der eigenen Bedeutung und Größe, den eigenen Fähigkeiten; Egozentrik. Den Klinikern zufolge ist die innere Befindlichkeit des Narzissmus die eines leeren oder fragmentierten Selbst, das verzweifelt versucht, diese Leere zu füllen, indem es sich selbst erhöht und andere erniedrigt. Die emotionale Grundstimmung ist ein Niemand-hat-mir-zu-sagen-was-ich-tun-soll!
Bei der Befriedigung der narzisstischen Bedürfnisse verfallen die Menschen im manische Verhaltensweisen.
„Das Hauptcharakteristikum... ist der Prozess der Umbenennung. Das heißt, man nimmt den jeweils aktuellen eigenen, egoistischen Zustand und lernt, diesen fortwährend in ‚spirituell', ‚göttlich' und ‚heilig' umzubenennen man benennt das Ego um in Göttin, man benennt es um in das heilige Selbst oder das göttliche Gewebe des Lebens... Und letztendlich führt dies dazu, dass man noch die subtilsten Ausläufer des Ego in Göttliches umbenennt. Das ist das neue spirituelle Paradigma.” Mit anderen Worten: das Lebensgewebe wird zum Lügengewebe. Durch den Prozess der Umbenennung und die Überbetonung der Gefühle versucht die Boomer- Spiritualität, das Heilige in etwas zu verwandeln, das wir zur Befriedigung unserer narzisstischen Wünsche besitzen können. Und was Wilber hier ausführt, gilt keineswegs nur für die sogenannte New-Age-Bewegung. Diese Umbenennung des Ego und seiner Motive in ‚spirituell' kann jede Form von Spiritualität korrumpieren.
Nun, wenn man aufmerksam zuhört, dann hört man unter der verzweifelten Sorge um das eigene Image, unter dem Geschrei des falschen Opfers, unter dem Umbenennen aller Erfahrungen zu etwas Göttlichem und unter der Antipathie gegen Hierarchie und Autoritäten, unter allen Grundsätzen der Boomeritis-Spiritualität laut und deutlich das wahre Boomeritis-Mantra: Niemand hat mir zu sagen, was ich tun soll! Wir kennen uns in den Weisheitstraditionen mittlerweile so gut aus, wir haben so viel gelesen und die Erfahrungen unseres egoistischen Bewusstseins in die uns passenden spirituellen Kategorien übersetzt da wird es leicht ersichtlich, wie und warum diese starken Ideen (über mich!) ein solcher Magnet für den Narzissmus sind. Auf diese Art dargestellt kann man das alles leicht durchschauen, ja sogar recht amüsant finden ach ja, dieser Narzissmus, welch eine Torheit, ha ha. Doch im großen Kontext einer Welt, die gefährlich außer Kontrolle gerät, weil wir so sehr außer Kontrolle geraten sind, ist das leider kein Witz. Der Narzissmus ist eine gewaltige Kraft in uns, die sich in hunderttausenden Jahren Menschheitsgeschichte aufgebaut hat und die wir restlos aufgeben müssen, wenn wir den evolutionären Sprung in eine neue Seinsweise wagen wollen. Er ist eine vorsätzliche und aggressive Ablehnung der Schöpferkraft des Universums, ob man sie nun das Göttliche, Gott oder wie auch immer nennt. Dieses Grundmotiv Niemand-hat-mir-zu-sagen-was ich-tun-soll! klingt wie das übellaunige Gequengel eines Zweijährigen was es eigentlich auch ist es ist aber keineswegs harmlos, wenn es uns eine Entschuldigung dafür verschafft, dass wir uns ausschließlich um uns selbst kümmern, wenn es die authentische Würde der spirituellen Suche und das Gebot, nach dem höchsten menschlichen Potenzial zu streben, zerstört, oder wenn es die Wut der unzähligen verletzten Egos rechtfertigt, die sich in der gegenwärtigen Kultur benachteiligt fühlen.
„Es ist das Ego, und alles, was es will, ist, dich vollkommen zu betäuben, dich von allem, was dir wichtig ist, von deinem eigenen Herzen abzuschneiden. Es will das ‚Du', das Mitgefühl hat, dem etwas am Herzen liegt, töten.” Ich wusste, das war die Wahrheit. Im Zentrum dieser Kraft liegt eine gegen die Liebe gerichtete, brutal-blinde Zerstörungswut. Sie jagte mir Angst ein. Es war mir klar: ich musste dem ein Ende setzen. Die Boomeritis begann mich zu töten. Etwas in mir musste sich ändern und zwar schnell.
Die größten Gefahren der Boomeritis zeigen sich erst, wenn wir das Verlangen der Evolution nach wirklicher Transformation ernst zu nehmen beginnen. Erst dann wird der Kontrast zwischen dem Ruf des Geistes nach Weiterentwicklung und der Macht des Narzissmus wirklich augenscheinlich. Nur dann ist es möglich, zu erkennen, dass die Tatsache, dass das narzisstische Ego das Heilige benutzt, um sich eine sichere, vertraute Welt und eine positive Identität zu erschaffen, unsere eigentlichen Beweggründe für die spirituelle Suche auf das Schlimmste korrumpiert. Meine Krise rührte von dem Bedürfnis her, wissen zu müssen wissen zu müssen, wer ich bin, wo ich bin und nicht zuletzt, dass ich ein guter Mensch bin und deshalb besser und gescheiter als alle anderen und alles, was mir widerfuhr, für eine Spiegelung meiner selbst zu halten. Was die Schrecken der Boomeritis noch verdoppelt, ist, dass der hoch entwickelte Verstand den niederen Narzissmus tarnt. Das Endresultat ist Nihilismus; denn wenn man das Heilige seiner Tiefe beraubt, wird das Leben oberflächlich, bedeutungslos und bar jeder Möglichkeit einer echten Transformation. Wenn wir das unantastbare, erhabene Mysterium des Lebens um der eigenen Befriedigung willen in etwas Materialistisches verwandeln, dann rauben wir dem Heiligen und unserem Leben den Sinn nur um etwas zu erschaffen, an dem wir uns angesichts des wahrhaft Unbekannten und Unermesslichen festhalten können. „Wir wissen, dass um das Jahr 2020 herum die größte gesundheitliche Bedrohung für die Menschheit die Depression sein wird”, sagt Dr. Max Bennett, weltweit anerkannter Neurologe der Universität Sidney. „Weder Krebs noch Herzerkrankungen, sondern die Depression.” Wir sind nicht umsonst zur Prozac-Nation geworden: Wir sind durch Nihilismus zur Prozac-Nation geworden. Die Boomeritis erschafft eine Welt der Scheinspiritualität, in der das Heilige seiner Kraft und Güte beraubt zu einem Diener für uns und unser persönliches Bedürfnis nach Kontrolle degradiert wird. Die Wahrheit ist allerdings genau anders herum: Wir existieren, um dem Heiligen zu dienen, und nur in dieser Erkenntnis können wir einen Lebenssinn finden. Mein spiritueller Lehrer hat einmal geschrieben: „Was würdest du tun, wenn dir klar würde, dass alles von dir abhinge? Was würdest du tun, wenn dir plötzlich bewusst würde, dass die Verantwortung für die gesamte Evolution der menschlichen Spezies allein auf deinen Schultern ruhte? Was würdest du tun?” Mein Herz fühlte sich von diesen Fragen stets beflügelt vielleicht, weil ich das Herz eines Paradigmen sprengenden Boomers habe doch sie ließen mich auch wanken: das ist eine Nummer zu groß! Doch das Leben ist so groß. Ihres wie meines.
Die narzisstische Wut, der ich mich überlassen hatte, indem ich meine Hingabe verweigerte, ist gewaltig. Wie gewalttätig sie ist, bleibt in der Regel verborgen, bis wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Doch bis dahin schaffen wir durch die Entscheidungen, die wir in unserem Narzissmus fällen, der nur sich selbst bereichern will und sich nicht um die Konsequenzen kümmert, eben jenes Chaos, in dem die Welt sich heute befindet dazu zählen auch das alltägliche Durcheinander unserer Beziehungen, Unordnung und Verschwendung. Die Kraft der Evolution, die Kraft des Lebens ist aber noch gewaltiger. Fünfzehn Milliarden Jahre lang hat sich jene Kraft auf diesen Moment der Bewusstseinsentwicklung zu bewegt, in dem wir unser Schicksal und das der Welt bestimmen können. Die intensive Beschäftigung mit derlei Fragen, mit der sehr realen Unermesslichkeit des Lebens, mit der Tatsache, dass ich hier in einem Laboratorium des Geistes im 21. Jahrhundert lebe und die Lehre der evolutionären Erleuchtung erkunde, eröffnet eine andere Perspektive, ein anderes Bewusstsein, jenseits des Ego mit seinem unaufhörlichen Bedürfnis, wissen zu wollen. Es ist wie bei einem Muskel, den man lange nicht benutzt hat und jetzt wieder trainiert: Ich kann diese Perspektive noch nicht sehr lange aufrechterhalten. Aber es ist mir zutiefst bewusst, dass sie immer da ist. Und in der Klarheit dieser Perspektive erkenne ich, dass ich den Ruf des Geistes, den universalen Antrieb der Evolution, vollkommen persönlich genommen hatte, wo er doch einfach das ist, was er ist eine Verpflichtung, die sich aus dem außergewöhnlich hohen Wert unserer menschlichen Existenz erklärt. Wenn wir aus den Begrenzungen unseres eigenen, persönlichen Lebens heraustreten, um es im Licht unserer kollektiven Evolution anzuschauen, dann erzeugt der Strom des Lebens einen radikal anderen Kontext für unsere Entscheidungen. Wenn wir aus ihm heraus handeln, aus der tiefsten Wahrheit dessen, was es heißt, ein Mensch und jetzt am Leben zu sein, eröffnet sich ein revolutionäres Potenzial, das uns über die Boomeritis hinaustragen kann, in eine Transformation, die wohl am Ende wirklich Paradigmen sprengend für die gesamte Menschheit sein wird und das würde das Herz eines jeden Boomers fürwahr zum Singen bringen.
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