-->Hallo Leute,
anläßlich des G8-Gipfels wollte ich aufs Wochenende einige Gedanken zur Entwicklungshilfe und zur Entwicklungspolitik und -theorie aus debitistischer Sicht in die Diskussion werfen. Das Posting ist etwas länger geworden. Ich gebe daher zunächst mal einen Überblick, damit ihr entscheiden könnt, ob ihr weiterlesen bzw. es in voller Gänze lesen wollt.
1. Verschiedene Perspektiven auf Entwicklungshilfe:
--- G8-Kritiker und Bob Geldof / Live8
--- Thabo Mbeki - Bruder des südafrikanischen Präsidenten
--- IWF
2. Hintergrund der widersprüchlichen Einschätzungen: unzureichende
Wirtschafts-/Entwicklungstheorien
3. Entwicklungshilfe und -Politik aus debitistischer Sicht
--- Maßnahmen
--- Probleme
--- Fragen
Ich fand es zunächst interessant, anhand des G8-Gipfels wieder mal zu beobachten, zu welchen unnötigen Kontroversen unzureichende Wirtschaftstheorien, an die dennoch fest geglaubt wird (und die deshalb auch ideologischen Charakter tragen) auch auf dem Feld der Entwicklungshilfe und -Politik immer noch führen:
Die westlichen G8-Kritiker sagen, die Entwicklungshilfe wurde zuwenig aufgestockt. Man muß den Entwicklungsländern mehr Schulden erlassen und mehr Geld geben, dann wird alles gut.
(s. z.B. http://www.welthungerhilfe.de/WHHDE...iv/entwicklungshilfe_kritik.html )
Aus der Sicht der Eigentumstheorie / des Debitismus der Wirtschaft stellt das eine fromme Illusion dar (siehe unten).
Bob Geldof macht eine Neuauflage von LiveAid (Live8) und trötet ebenfalls in dieses Horn:"mehr Geld für die Armen" --- aus der Sicht der Eigentumstheorie bringt das im Endeffekt wenig (siehe unten), aber immerhin die Möglichkeit, einen Haufen Rockmusiker im Namen einer"guten Sache" Self-Promotion machen lassen zu können; denn für so eine vermeintlich offensichtlich und ausschließlich gute Sache findet man immer ein breites Echo unter den Jungen und Junggebliebenen der westlichen Welt. Wobei ich den Musikern ihre guten Motive gar nicht absprechen will --- die interessieren sich halt nicht für Wirtschaftstheorie, und die auf individueller Erfahrung beruhende Alltagstheorie besagt nun mal meistens in etwa „mehr Geld = weniger Armut“.
Kritik an dieser „mehr Geld = weniger Armut“ Theorie kam interessanterweise aus einem „Entwicklungsland“ selber: der Bruder des südafrikanischen Präsidenten, Thabo Mbeki, kritisierte Geldof dafür, daß dieser zuwenig über die Ursachen der Armut in Afrika wisse: „Niemand bezweifelt Deine guten Absichten bei der Organisierung von Live 8; Deine Leidenschaft für die Lösung unserer diversen Übel verdient Applaus. Aber... es besteht echte Gefahr, dass Du die Dinge schlimmer machst.“ schrieb er Geldof.
Mbeki sieht die wirklichen Probleme der Entwicklungsländer in einer korrupten und gierigen Elite, in deren Taschen die Entwicklungsgelder seiner Meinung nach verschwinden. Seiner Meinung nach begehen diese Politiker"Diebstahl am Reichtum eines ganzen Kontinents"."Nur wenn Afrikas Regierungen zur Rechenschaft gegenüber ihrer Bevölkerung gezogen werden, besteht Hoffnung auf Änderung", meinte er.
( Siehe http://www.netzeitung.de/entertainment/people/347323.html )
Aus der Sicht der Eigentumstheorie / des Debitismus wäre das teilweise richtig -- aber das"zur Rechenschaft ziehen" allein dürfte es aus dieser Sicht auch nicht bringen: okay, dann dürfen diese Politiker halt nichtmehr einfach Mercedes Staatskarossen en masse kaufen. Aber was macht man dann mit der Kohle, und bringt DAS dann was für die gesamtwirtschaftliche Produktivität und einen selbstgeschaffenen statt nur geschenkten"Nationalreichtum"? (mehr dazu siehe unten)
Der IWF sagt ganz ähnlich wie Mbeki: Aufstockung bringt überhaupt nix, solange die Gelder in korrupten Regierungskreisen unproduktiv verbraten werden (was ja aus der Sicht der Eigentumstheorie nicht nur stimmt, sondern sogar fast schon notwendige Folge ist --- denn das politische System ist ja befehlsstrukturell angelegt). Der IWF sagt: die E-Länder müssen ihre gesamtwirtschaftliche Produktivität erhöhen und erwartet, daß das auch eintritt, wenn die Vergabe der Gelder an"eine gute Regierungsführung" geknüpft werden (obwohl Studien nahelegen, daß EH-Gelder selbst dann verpuffen können ---- daß aber"stabile Institutionen" und eine"gute Wirtschaftspolitik" Voraussetzungen für"wirksame Hilfszahlungen" seien).
Worin genau aber diejenigen"stabilen Institutionen" im Detail bestehen sollen, die dann die gewünsche „Entwicklung“ nach sich ziehen, wissen Sie anscheinend auch nicht so recht. Vage ist da von einer „Verbesserung des Wirtschafts-, Rechts- und Bildungssystems“ und der „Infrastruktur“ die Rede. Doch damit man genau solche Institutionen schaffen kann, die die dann die gewünschte Wirtschaftsdynamik nach sich ziehen, muß man wohl schon a bisserl genauer wissen, worin genau sie eigentlich bestehen sollen."Stabile Institutionen" ohne begründete inhaltliche Konkretisierung bleibt eine leere akademische Worthülse, die allein schon ihrer Vagheit wegen nicht in konkrete Handlungen umgesetzt werden kann.
(Siehe http://ftd.de/pw/in/12885.html )
Für die, die an mehr Details interessiert sind, hier ein Hinweis auf zwei neuere Studien des IMF, die zu folgenden Schlüssen kommen:
„We examine the effects of aid on growth-- in cross-sectional and panel data--after correcting for the bias that aid typically goes to poorer countries, or to countries after poor performance. Even after this correction, we find little robust evidence of a positive (or negative) relationship between aid inflows into a country and its economic growth“.
( http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2005/wp05127.pdf )
„Given how much of a political minefield the issue of aid is, let us be clinically precise in our findings. We find that aid inflows do have systematic adverse effects on growth, wages, and employment in labor intensive and export sectors.“
( http://www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2005/wp05126.pdf )
Wirtschaftstheoretiker bemühen sich ja schon seit Jahrhunderten, herauszufinden, wie der „Reichtum der Nationen“, den einige Länder mysteriöserweise haben und andere gern hätten, aber aus unbekannten Gründen bisher nicht produzieren konnten, eigentlich zustandekommt. Der ultimative Test für diese Theorien besteht ja im Grunde darin, auf ihrer Basis zu versuchen, wirtschaftliche Entwicklungs- und „Reichtumsproduktionsdynamik“ herzustellen - also Handlungsanweisungen aus ihnen abzuleiten und diese in der Realität umzusetzen. Würde die Theorie stimmen, dann müßte sie in allen Fällen auch zum gewünschten Erfolg führen bzw. dessen Herstellung erfolgreich anleiten können. Das war aber nicht der Fall --- in wenigen Fällen gab es Erfolge mit nachholender Modernisierung (Japan, Südkorea etc.), aber in den meisten Fällen nicht.
Und den spektakulärsten Fall, nämlich den des Realsozialismus, kann man dabei vielleicht im Grunde sogar nicht nur als Scheitern der marxschen Modernisierungstheorie, sondern als Scheitern der Modernisieurngstheorie der gesamten klassischen Ã-konomie von Smith bis Ricardo betrachten (als deren „Abschluß“ Marx´ Hauptwerk ja gilt). Daß das Scheitern des Realsozialismus auch Adam Smiths liberale Wachstumstheorie („geplante arbeitsteilige Kooperation führt zu höherer Produktivität“) falsifiziert, die Marx ja im wesentlichen von Smith übernommen hatte und - eigentlich theoretisch konsequent - dann auf die gesamte Gesellschaft übertragen hatte, finde ich jedenfalls einen recht lustigen Gedanken.
Die Streithähne, die ich oben beschrieben habe, argumentieren nun auf dem Hintergrund von ihnen mehr oder weniger bewußten Reichtumsproduktionstheorien, die wohl in den meisten Fällen entweder ihrem Alltagsverstand oder ihrer ökonomischen Schulung entstammen, also wahrscheinlich auf einer der überkommenen ökonomischen Theorien des Mainstream beruhen (also auf dem klassischen, marxschen, neoklassischen oder keynesianischen Modell); meistens setzen Sie dabei einfach voraus, daß das Modell, auf dessen Hintergrund sie ihre Forderungen formulieren, auch stimmt. Doch nicht nur angesichts der bisherigen Mißerfolge von Entwicklungspolitik und -hilfe, sondern auch angesichts der Tatsache, daß unterschiedliche Theorien teilweise sogar gegensätzliche Ratschläge fürs Anleiten erfolgreicher Modernisierungsprozesse folgen, könnte man doch schließen, daß möglicherweise der Hund tiefer begraben liegt, nämlich bei den theoretischen Voraussetzungen.
Doch in der entwicklungstheoretischen Debatte macht sich Resignation breit: vor ca. 10 Jahren diskutierte man dort das „Scheitern der dritten Welt“ und das „Ende der Großen Theorie“; heute bezweifeln manche Entwicklungstheoretiker sogar, daß Entwicklungspolitik in den zerfallenden staatlichen Strukturen vieler Entwicklungsländer überhaupt noch sinnvoll anwendbar ist (siehe zum Beispiel Ulrich Menzels Äußerungen unter http://www.inwent.org/imperia/md/co...internet-publik/th-10-menzel.pdf ).
Läge hier nicht auch ein dankbares Beschäftigungsfeld für das debitistische Modell, das ja unter vielem anderem auch eine recht schlüssige alternative Erklärung für wirtschaftliche Entwicklungsdynamik (bzw. „Modernisierung“) anzubieten hat?
Aus debitistischer Sicht stellt sich (mir) das von Mbeki beklagte Problem, daß Politikereliten Entwicklungshilfegelder unproduktiv verplempern, in etwa so dar:"produktiv" verausgabt werden Gelder eigentlich meist nur dann, wenn sie derjenige, der damit eine Produktion starten will, selber in Form eines Kredits aufnimmt, für den er mit seinem Vermögen (incl. Eigentum) haftet. Diese Haftung führt zu dem, was wir einen"verantwortlichen Umgang" mit diesen Geldern nennen könnten: dazu, daß die Gelder so eingesetzt werden, daß sie später auch zurückgezahlt werden können (denn ansonsten ist dem Unternehmer seine Hütte weg, mit der er für seine Schulden haftet, und da hat er wenig Lust drauf); und das kann ein produzierender Unternehmer nur, indem er ein Produkt herstellt, das für einen „Markt“ (potentielle Käufer) so interessant und wünschenswert ist, daß sie bereit sind, dafür Geld zu bezahlen und sich ggf. sogar dafür zu verschulden; er kann sich also bei der Verausgabung seiner Gelder nicht nur an seinen eigenen egoistischen Bedürfnissen orientieren (wie die korrupten Politiker dies ungestraft tun können), sondern muß von Anfang an die Bedürfnisse seiner (zahlungsfähigen) Mitmenschen - seiner potentiellen Kunden - im Auge haben. Insofern kann er es sich nicht leisten, sein Geld rein konsumptiv zu verplempern. Denn wenn er das täte, wäre er hinterher nicht nur sein Geld, sondern auch beispielsweise sein Haus oder Grundstück los, das er als Kreditsicherheit einsetzen mußte.
Zu dieser sich direkt aus der Eigentumstheorie / den debitistischen Modell ergebenden Sicht paßt in gewissem Sinn auch die Beobachtung, daß erfolgreiche Unternehmer, die wirklich etwas bewegt haben, fast niemals mit Geldgeschenken gestartet sind, sondern in vielen Fällen mit „fast nichts“ begonnen haben, während reiche Erben, denen ihre Gelder quasi „in den Schoß gefallen“ sind, diese oft schnell unproduktiv verplempert und im Luxus geschwelgt haben - wie die korrupten politische Führer der Entwicklungsländer, die Mbeki anklagt.
Daß Politiker, die für die Ausgaben, die sie tätigen, mit keinerlei eigenem Vermögen haften, oft generell dazu tendieren, Gelder zum Fenster hinauszuschmeißen, völlig egal woher sie kommen --- ob nun aus den Taschen der Steuerzahler, als Kredit von den Finanzmärkten oder als Entwicklungshilfegeschenk oder -Kredit aus westlichen Industrienationen --- wird aus der Sicht der Eigentumstheorie ebenfalls einleuchtend klar. Nur Haftung mit eigenem Vermögen stellt einen verantwortlichen und produktiven Umgang mit Geldern sicher. Das gilt nicht nur für die oben von Mbeki angeklagten afrikanischen Politiker, sondern gleichermaßen für unsere Politiker hierzulande. Deren verschwenderischer Umgang mit Geld ist zwar zusätzlich von konjunkturellen Erwägungen mitbestimmt (Staatsausgaben kurbeln eine kriselnde Wirtschaft an) und der dazugehörigen keynesianischen Ideologie theoretisch legitimiert, unterliegt aber grundsätzlich demselben Problem, daß die Ausgeber von Geld nicht „ihr eigenes Geld“ ausgeben und für ihren Umgang damit nicht mit persönlichem Vermögen zur Rechenschaft gezogen werden können. Wenn also nicht sehr starke moralische Grundsätze der entsprechenden Politiker dem entgegenwirken, kann man wohl (grundsätzlich) kaum mit einem verantwortlichen und produktiven Umgang mit Steuergeldern rechnen.
Die institutionelle Struktur, die die Entwicklungsländer also brauchen, wenn sie sich wirklich auf das Abenteuer der Modernisierung einlassen wollen --- sie sehen ja daran in erster Linie die Vorteile in Form des Güterreichtums, während sie damit notwendig verbundene weniger angenehme Phänomene wie Schuldendruck, Zwang zu Mehrarbeit, soziale Unsicherheit etc. kaum wahrnehmen, da Schulden in Geldeinheiten verbucht werden und materiell nicht sichtbar sind --- die institutionelle Struktur also, die diese Länder brauchen, besteht also aus eigentumstheoretisch/debitistischer Sicht in erster Linie in einem Zivilrecht, das flächendeckend die Einklagbarkeit und Zwangsvollstreckbarkeit von Verträgen zwischen privaten Wirtschaftssubjekten sicherstellt. Solange es das nicht gibt, kann man aus debitistischer Sicht die Installation eines zweistufigen Bankensystems auch bleibenlassen. Das führt ohne die zivilrechtliche Unterfütterung nämlich - wie in den 90er Jahren beispielsweise in Polen und anderen osteuropäischen Transformationsländern geschehen - nicht nur zu keinerlei wirtschaftlicher Entwicklungsdynamik, sondern auch zu einer haltlos inflationierenden Währung, weil eine"Wirtschaft" ohne Einklagbarkeit gar keine brauchbaren"Sicherheiten" (per Haftung/Einklagbarkeit gesicherte Wertpapiere) zur Emission von Zentralbanknoten produzieren kann.
Auch die generelle Beobachtung mancher Entwicklungstheoretiker, daß im Rahmen zerfallender staatlicher Strukturen Entwicklungspolitik möglicherweise gar keinen Sinn macht, erscheint aus der Sicht der debitistischen Theorie der Eigentums-/Geldwirtschaft in einem neuen Licht. Die Entwicklungstheoretiker scheinen vorauszusetzen, daß es dem Westen vergleichbare „staatliche Strukturen“ in vielen Entwicklungsländern gegeben hat. Doch das, was den Kern unserer westlichen staatlichen Struktur ausmacht, ein flächendeckendes, funktionierendes Zivilrecht, das Eigentum garantiert und die Einklagbarkeit von Verträgen sicherstellt, hat es ja in den meisten dieser Länder gar nie gegeben --- es wurde von den westlichen Beobachtern einfach sozusagen als naturgegeben oder selbstverständlich vorausgesetzt, weil die ökonomischen Theorien die zentrale fundierende wirtschaftliche Bedeutung dieser Rechtsstrukturen übersehen hatten; man setzte anscheinend voraus, wo es eine Zentralregierung gebe und eine Region einen Namen und eine eigene Flagge habe, gebe es auch einen kompletten fertigen Nationalstaat.
Hernando DeSoto (The Mystery of Capital) sieht das ansatzweise --- allerdings ohne jegliche weitergehende Verständnis für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Kredit und Geld. Die Eigentums-/Schuldentheorie der Wirtschaft zeigt ja, daß schuldengetriebene Modernisierung auch notwendige negative Konsequenzen hat (was sie für Heile-Welt-Ideologen relativ uninteressant macht). DeSoto dagegen hat kein schlüssiges Wirtschaftsmodell und bringt daher das Kunststück fertig, Eigentum für die Armen irgendwie (eben nicht schlüssig) allein mit Nationalreichtum zu verknüpfen und so liberale Ideologie (Eigentum, Freiheit) mit traditionell sozialistischen Forderungen (Wohlstand für Alle, soziale Gerechtigkeit) unter einen Hut zu bringen.
Das macht ihn sicherlich ideologisch interessant für liberale Ideologen (er ignoriert wie diese die negativen Implikationen der Eigentums-/Geldwirtschaft und kann dies dank seines Mangels an einer schlüssigen gesamtwirtschaftlichen Theorie auch tun) und dürfte wohl einer der wesentlichen Gründe für seine relative Beliebtheit unter US-Politikern sein (er darf sogar Vorträge bei der Weltbank halten).
Doch auch Heinsohn/Steiger machen es sich recht einfach: daß die Installation von Eigentum - da dieses ja"immateriell" sei ---"praktisch umsonst" zu haben sei, stimmt so nicht. Für eine flächendeckende Installation von Amtsgerichten, die die Einklagbarkeit von Verträgen sicherstellen, braucht man nicht nur ein rechtliche Grundlage (Zivilrecht in der entspr. Landessprache) und das entsprechende Know How, sondern auch Gebäude und Personal --- dieses Personal muß juristisch und administrativ ausgebildet werden, und auch die Wirtschaftenden selbst brauchen kaufmännisches und juristisches Grundwissen etc. etc. (was unter anderem bedeuten würde, daß Staaten mit einer bereits bestehenden Bürokratie --- wie die osteuropäischen Ex-Sozialismen --- gegenüber Ländern ohne eine solche staatliche Infrastruktur entscheidende Vorteile auf einem Weg in die Modernisierung besitzen).
Ein weiteres, mehr praktisches Problem bestünde z.B. darin, daß für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklungsdynamik ja nicht nur institutionelle Strukturen nötig sind, sondern auch risikobereite unternehmerische Persönlichkeiten, die eine Vision und das nötige Durchhaltevermögen plus die nötige Risikobereitschaft für die Umsetzung dieser Vision haben... auch die würden durch eine institutionelle Transformation sicherlich nicht automatisch mitgeschaffen.
Viele erfolgreiche nachholende Modernisierer wie Japan und Südkorea sind ja anfangs in erster Linie weniger durch Innovationen, sondern v.a. durch intelligentes Kopieren plus Preiskonkurrenz aufgefallen, die sie durch fast schon unmenschliche Arbeitszeiten und noch höheren Leistungsdruck erzeugt haben; wenn ein Land also z.B. keine Rohstoffe hat, die für den Weltmarkt interessant sind, bliebe ihm für eine wettbewerbsfähige Weltmarktintegration (die nötig wäre, um an der Produktvielfalt der bereits modernisierten Länder teilhaben zu können) nur die Strategie der Preiskonkurrenz, die ja gerade in einer rezessiven Phase der Weltwirtschaft mörderisch sein kann, etc.
Heinsohn und Steiger machen es sich also meiner Meinung nach viel zu einfach, wenn Sie glauben, daß eine solche Transformation praktisch gratis zu haben und im Grunde ganz einfach sei.
Trotz all dem liefert die Eigentumstheorie / der"Debitismus" meiner Meinung nach neue und schlüssige Blickwinkel auch auf dieses Problem. Denn aus dieser Sicht zeigt sich ja, daß die Kontroverse, um die sich die öffentliche Diskussion allein zu drehen scheint ---"mehr oder weniger Entwicklungshilfe geben, mehr oder weniger Schulden erlassen" --- eigentlich eine Scheinkontroverse ist. Denn letztlich führt aus debitistischer Sicht keine der beiden Alternativen zu dem, was die Entwicklungsländer sich wünschen und was auch das Ziel der meisten westlichen"Entwicklungshelfer" ist: nämlich zu selbständiger Reichtumsproduktion der"Entwicklungsländer" aus sich selbst heraus. Das debitistische Modell dagegen liefert hier eine neue Sichtweise und impliziert eine neue Strategie des Ingangsetzens von Modernisierungsprozessen.
Ein weiteres, mehr grundsätzliches Problem dabei sehe ich aber in der generell nüchternen bis pessimistischen Gesamtperspektive, die Eigentumstheorie und „Debitismus“ vermitteln. Denn so eine Perspektive kann zwar genauer sagen, was man tun muß, um wirtschaftliche Entwicklungsdynamik in Gang zu setzen, aber eben nicht zum Aufbau einer Geldwirtschaft MOTIVIEREN.
Ich denke, daß eine solche Motivation ohne „schönfärberische Ideologie“, die die Nachteile der Geldwirtschaft herunterspielt und ihre Vorteile überzeichnet, vielleicht gar nicht möglich sein wird. Schauen wir uns doch die Ideologien an, die den Aufbau der modernen Gesellschaften angeleitet haben: aufklärerische Fortschrittsphilosophie + Liberalismus (westlicher Kapitalismus), aufklärerische Fortschrittsphilosophie + Sozialismus (Realsozialismus). Die waren mit abstrakten Fortschrittsillusionen von einem zukünftigen „immer besser, immer reicher, immer aufwärts --- bald Wohlstand für alle“ - Glaubenssätzen ja geradezu durchtränkt. Daß sich diese Versprechen langfristig in der Wirklichkeit als unhaltbar herausgestellt haben (und das gilt meiner Meinung nach sowohl für sozialistische als auch liberale „Wohlstand-für-Alle“-Versprechen), ändert nichts an ihrer ursprünglich starken Motivationskraft, ohne die unsere europäische moderne Wirtschaft vielleicht gar nicht hätte aufgebaut werden können.
Was für mich zu der interessanten Frage führt: wäre es möglich (und falls ja, wäre es wünschenswert und sinnvoll), die debitistische Theorie der „Modernisierung“ so zu modifizieren, daß sie sich als Unterfutter für eine optimistische und daher zu einer gesellschaftlichen Transformation überhaupt erst motivierenden Modernisierungs- „Ideologie“ eignet, ohne dafür theoretische Schlüssigkeit aufzugeben? Bisherige Entwicklungsideologien konnten die jeweiligen Nachteile der von ihnen favorisierten Gesellschaftsform (Kapitalismus oder Sozialismus) ja nur in Vebindung mit mangelnder theoretischer Schlüssigkeit ignorieren --- d.h. ihre ideologische Funktion war gekoppelt an theoretische Widersprüchlichkeit bzw. unbefriedigende/unschlüssige/schlechte Theorie.
Die bisherige ideologische Einbettung der Eigentumstheorie ist ja eine eher pessimistische, die mehr zu Resignation und bloßem Zuschauen führt als zu eingreifendem Handeln: im Hinterkopf des Verfassers der Eigentumstheorie der Wirtschaft (G. Heinsohn) wirkt die Ernüchterungsideologie der Psychoanalyse (für die Phänomene wie bewußt gesetzte Ziele und Kreativität im großen und ganzen Fremdwörter darstellen) und ein - wie mir scheint - eher pessimistisches Menschenbild, und auch der Debitismus scheint mir in erster Linie mehr auf die „unlösbaren Probleme“ der Geldwirtschaft zu schauen, die aus diesen unlösbaren Widersprüchen folgenden positiven Folgen (Güterreichtum, Freiheit usw.) dagegen eher selbstverständlich hinzunehmen.
Ein Problem dabei besteht ja auch darin: als „Debitist“ weiß ich, daß Entwicklungsländer, die einen eigentumsbasierten Modernisierungspfad einschlagen werden, natürlich früher oder später auch all die Probleme entwickeln werden, die wir in unseren heutigen postmodernen westlichen Kapitalismen haben: Zersetzung der traditionellen Lebensformen und Weltbilder, Familienzerfall, Vereinzelung, Geburtenrückgang, Kommerzialisierung und Labilisierung vieler menschlicher Beziehungen usw. Ich weiß auch, daß mit einer debitistischen Eigentums-/Geldordnung Handlungsnotwendigkeiten entstehen, die in einem scharfen Gegensatz zu den traditionalen Verhaltensregeln wechselseitiger Hilfe auf der Basis v.a. verwandtschaftlicher Hilfspflichten stehen --- und beispielsweise auch in scharfem Gegensatz zu dem gelassenen, gemütlichen Zeitempfinden traditionaler Gesellschaften, die durch die Eigentums-/Geldstruktur durch permanente Zeitknappheit und hektischen Streß ersetzt würde.
Kann ich mit diesem - für mich aus der Eigentums-/Schuldentheorie der Modernisierung folgenden - Wissen den Entwicklungsländern also so einen Pfad überhaupt guten Gewissens nahelegen und empfehlen? Kann ich mir anmaßen, zu beurteilen, ob daraus aufs Ganze gesehen wirklich eine Verbesserung von deren Lage entsteht? Als Debitist kann ich mir weder begeisterte und überzeugte volle Befürwortung der Modernisierung noch ebenso überzeugte Ablehnung derselben leisten, da ich beide Seiten der Modernisierungsmedaille kenne und weiß, daß sie notwendig zusammengehören.
Wie und auf der Basis welcher Kriterien soll ich also entscheiden, was wünschenswert ist? Worin liegt die Verantwortung des Westens gegenüber den Entwicklungsländern, und wo liegen seine Kerninteressen?
Geburtenrückgang wäre ja --- aus einer globalen Perspektive betrachtet --- sicherlich nicht schlecht, da der aus dem Geburtenüberschuß vieler Entwicklungsländer resultierende „Youth Bulge“ ja eine der wichtigsten Bedingungen für Terrorismus, Völkermord und Bürgerkriege darzustellen scheint. Insofern könnte die Etablierung zivilrechtlicher Strukturen langfristig --- sehr langfristig --- vielleicht ja auch einen Beitrag zur Verminderung von Terror und Bürgerkriegen leisten.
Könnte einer Reihe von Entwicklungsländern eine institutionelle Transformation zu einer debitistischen Eigentums-/Geldwirtschaft mit einer stabilen Währung gelingen, würde das für die Industrieländer ja unter anderem auch zunächst eine enorme Nachfrage nach Produktionsgütern bedeuten, die die Entwicklungsländern (kreditfinanziert) einkaufen müßten, um ihre nachholende Entwicklung zu vollziehen, und dies würde der Weltwirtschaft Nachfrage und also eine Konjunkturschub bescheren. Allerdings würden sich einige dieser Ländern möglicherweise bald auf ähnliche Weise zu neuen Konkurrenten auf den Weltmärkten mausern, wie das bei den Japanern auf dem Feld der Automobil- und Elektronikindustrie der Fall war.
Worin also besteht unsere Verantwortung hier im Westen gegenüber den Entwicklungsländern hier und heute, wenn wir Wirtschaft debitistisch verstehen? Den Entwicklungsländern das nötige institutionelle Know-How plus eine optimistische Entwicklungsideologie für nachholende Modernisierungsprozess zu vermitteln? Oder darin, sie gleichzeitig darauf aufmerksam zu machen, daß Modernisierung unausweichlich auch ihre Schattenseiten hat, die auch auf nachholende Modernisierer zukommen werden, ihnen damit aber zumindest einen Teil der beflügelnden Motivation zur Modernisierung zu entziehen? Oder Ihnen einfach eine nüchterne Theorie zur Verfügung stellen und die Entscheidung ihnen selber überlassen?
Viele offene Fragen, die sich zum Thema „Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik“ aus der Sicht des Debitismus auf neue und andere Weise stellen: nicht mehr die Fragen „mehr oder weniger Entwicklungshilfe“ etc., sondern eben (mindestens teilweise) andere und neue Fragen.
Wie seht ihr diese Dinge?
Viele Grüße
moneymind
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