-->Hi dottore,
und besten Dank für Deine Einwände (==> http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/325259.htm ).
zu Deinem ersten Punkt: der Staat muß nicht nur als Eigentums- und Vollstreckungsgarant, sondern auch als ökonomischer Agent ins Modell eingebaut werden (was im H/S Modell - ähnlich wie im unfertigen Marxschen, das Heinsohns Ausgangspunkt bildete - weitgehend fehlt) --- okay.
Skizze in ein paar begrifflichen brush strokes: einerseits ermöglicht der Staat den geldwirtschaftlichen Prozeß überhaupt erst, indem er die rechtlichen Rahmenbedingungen setzt. Andererseits tut er das, indem dafür auf das eigentlich systemfremde Mittel der „zwangsweisen“ Redistribution (Steuersystem) zurückgreift. Der Staat ermöglicht also einerseits überhaupt erst Geldwirtschaft, andererseits ist er feudales Relikt in einer Gesellschaft der (formell) Freien, das diese Freien zur Sicherung ihrer Freiheit aber brauchen: die Freien zahlen nicht nur deshalb Steuern, weil sie vom Staat böswillig und gegen ihren Willen geknechtet werden, sondern auch deshalb, weil sie die Staatsleistung „Freiheitssicherung per Staatsgewalt“ wünschen (wie wohl generell in stabilen Feudalsystemen die „Beherrschten“ einen realen, eingebildeten oder vielleicht manchmal auch nur eingeredeten Nutzen aus ihrem „Beherrschtsein“ ziehen dürften, ansonsten könnten sich Feudalsysteme ja kaum so lang halten wie sie es vielerorts getan haben).
Berücksichtigt man, daß vor den ersten Eigentums-/Geldwirtschaften Feudalsysteme existiert haben, könnte man den Eigentümerstaat als einen zur Sicherung persönlicher Freiheit umfunktionierten und daher in seiner Reichweite erheblich reduzierten Feudalstaat betrachten; ein zentralisierter Feudalstaat bildet eine historische Voraussetzung für den ersten Eigentümerstaat, da dieser auf eine zentralisierte Verwaltung und einen Machtapparat zurückgreifen können muß, diesen dann aber eben zu neuen Zwecken - Freiheitssicherung - umfunktioniert. Freiheit (von unauflöslichen traditionalen Solidarpflichten) kann also nicht ohne diese sichernde Macht existieren, ist aber gleichzeitig Ergebnis einer antifeudalen Revolution, die den Staatsapparat dann für ihre neuen Zwecke - Sicherung der Freiheit - einsetzt, wobei zwar weiterhin quasi-feudale Abgaben nötig sind, diese aber in einem ganz neuen Zusammenhang (materielle Grundlage der Freiheitssicherung) stehen und daher auch völlig anders ideologisch legitimiert werden: während Feudalherrschaft meist religiös legitimiert war, führen die antifeudalen Revolutionen auch zu einem radikalen Umbruch der sozialen Glaubenssysteme (Welt- und Geschichtsbild etc. -- von einer religiösen Herrschafts- zu einer säkularen Freiheits-Ideologie) zwecks Delegitimierung des alten Feudalstaats/Legitimierung des neuen Eigentümerstaats. Trifft so jedenfalls fürs antike Griechenland und fürs moderne Europa zu.
Auch in einer Demokratie bleibt also der „öffentliche Sektor“ ökonomisch gesehen ein redistributives Herrschafts-/Feudalsystem. Selbst direkte Demokratie würde daran nichts ändern: ob das Volk sich nun von selbsternannten oder selbstgewählten Regierenden beherrschen läßt oder qua direkter Demokratie selbst beherrscht, ist unter rein ökonomischen Gesichtspunkten beides Herrschaft (mit den bekannten Charakteristika wie relativer Ineffizienz etc.) und nicht „Markt“. Da von Anfang an sowohl freiheitliche wie feudale Elemente vorhanden sind und in der politischen Sphäre auch miteinander streiten, bleibt die Sicherung der Freiheit ein ständiger Kampf, der immer in Gefahr ist, von feudalen Handlungsmustern überlagert und verdrängt zu werden. Allerdings unterscheidet sich diese Volksherrschaft auch recht deutlich von der überkommenen, religiös legitimierten Königsherrschaft --- nicht nur ideologisch (neues Welt-, Geschichts-, Gesellschafts- und Herrschaftsbild), sondern auch ökonomisch:
Die Tatsache, daß der Staat seine Abgaben nun nicht in Form von Gütern, sondern in Form von „Geld“ (vollstreckbaren Leistungsversprechen privater Wi-Subjekte) abfordert, unterscheidet den geldwirtschaftlichen Staat von traditionellen Feudalstaaten. Er kann damit auf neue Weise auf den gesellschaftlichen Produktionsprozess einwirken, indem er über Steuern/Abgaben und Subventionen etc. Geldknappheiten mitsteuert (ob nun pro- oder antizyklisch). Drittens jedoch hat er im geldwirtschaftlichen Umfeld auch die Möglichkeit, Schulden zu machen (und damit „Geld“ zu schaffen) - und zwar nicht vollstreckbare Schulden; und v.a. Schulden ohne Termin: es gibt keine bindende Instanz, die einen Termin für einen ausgeglichenen Staatshaushalt setzen und sagen könnte, wann denn den Bürgern nun die Rechnung präsentiert wird. Klar, daß hier die Grundprinzipien einer „reinen“ Eigentümergesellschaft eklatant verletzt werden, was dem Gesamtprozess (im Vergleich zum einfachen bankingtheoretischen Modell mit Nachwächterstaat) eine neue Qualität gibt.
Einerseits ergibt sich für den Staat also die Möglichkeit, unerwünschten geldwirtschaftlichen Paradoxien (wie sich selbst verstärkende Krisen und ihren Folgen, der Tendenz zum Ignorieren von Kranken und Schwachen, die sich im Wettbewerb nicht behaupten können etc.) entgegenzusteuern und in die rein betriebswirtschaftliche Eigentümer-Rationalität wieder traditionale Elemente von „Solidarität“ und „Loyalität“ einzubringen; die Möglichkeit zu antizyklischem Handeln wird wichtig zur Krisenbekämpfung (denn die Privaten verhalten sich aufgrund ihres Vermögenssicherungskalküls eher prozyklisch, beschleunigen also Boom- und Krisentendenzen). Andererseits entsteht so die Gefahr, daß dabei der geldwirtschaftliche Prozess grundsätzlich unterminiert wird --- besonders deshalb, weil die staatlichen Kreditnehmer im Gegensatz zu Privaten nicht mit persönlichem Vermögen für die aufgenommenen Schulden haften und daher dazu tendieren, „Geld“ mit beiden Händen direkt zum Fenster hinauszuwerfen (sprich: endlos Schulden zu machen). Das einen verantwortlichen, effizienten Umgang mit Geld und Ressourcen sichernde Element ist nun mal die Vermögenshaftung in Verbindung mit Zahlungstermin und Geldknappheit; und dieses „Prinzip Verantwortung“ ist für den Staat leider ausgeschaltet. Werden dann die Staatstitel von der Zentralbank als Sicherheit akzeptiert, beginnt ein Prozess der Unterminierung der Eigentumssicherung des Geldes, etc. etc. Daraus läßt sich dann ein schönes, fast schon (wie bei Marx) „dialektisches“ rise&fall-Modell für Geldwirtschaften zimmern (besonders dann, wenn man wie H/S die demographische und familientheoretische Seite des ganzen Prozesses hinzunimmt).
Soweit Übereinstimmung.
Zu Deinem zweiten Punkt (Fremd-Staat): ein Fremd-Staat kann Forderungen präsentieren, die zusätzliche Knappheiten erzeugen, okay; „vollstrecken“ kann er sie natürlich nur per direkter Gewalt, mangels übergeordneten Gewaltmonopols auf zwischenstaatlicher Ebene. Wer an einem Modell der Weltwirtschaft interessiert ist, muß dort zwischenstaatliche Beziehungen (basierend auf Macht statt Recht) einbauen --- ebenfalls Zustimmung. Mein wi-theoretisches Ziel war zunächst in erster Linie entwicklungstheoretisch: geldwirtschaftliche Entwicklungs- und Modernisierungsdynamik zu erklären (um sie da, wo gewünscht, an- oder abstellen zu können). Das funktioniert zunächst auch mit mit bankingtheoretischem Modell + Nachtwächterstaat ganz gut. Daß in rechtsfreien Räumen wie zwischenstaatlichen Beziehungen Formen der Regelung wechselseitiger Beziehungen dominieren, die sich sowohl von zivilen Vertragsbeziehungen wie von verwandtschaftlicher Solidarität und feudalen Schutz-/Abgabenpflichten unterscheiden und wiederum eine eigene Betrachtung benötigen, die im H/S Modell fehlt und in der sicherlich verschiedene Formen von „Macht“ eine große Rolle spielen werden - ebenfalls Zustimmung.
Daß dies das, was wir heute Wirtschaften nennen und durch das bankingtheoretische Modell (plus die erwähnte früher/später-Unterscheidung) beschrieben wird, als „prima causa“ ANGESTOSSEN haben soll, kann ich aber nicht nachvollziehen.
Nein, hier finde ich nach wie vor Heinsohns 84er Modell („Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft“) überzeugend, wenn auch in einer mit Bezug auf Geld und Knappheit modifizierten Form: Naturkatastrophen zerstören traditionale Sicherungssysteme, freie Männer wollen ihre Unabhängigkeit auf Dauer stellen und „erfinden“ im Zuge einer antifeudalen Revolution zunächst Freiheit, Eigentum und Vertrag (als zwar unbedingt bindende, aber nur temporäre Verpflichtung, nach dessen Erfüllung die V-Partner wieder in Freiheit und Unabhängkeit voneinander entlassen sind). Damit individualisiertes Existenzrisiko, individueller Sicherheitsvorrat etc. (siehe Heinsohn 1984) --- zunächst Verträge nur über Güter, damit aber Möglichkeit, „Sicherheit“ nicht mehr in Form von Gütern, sondern in Form eines „Titels“, eines später fälligen Anspruchs auf Güter zu halten, der dann wiederum bei Bedarf als „Tauschmittel“ eingesetzt werden kann; dies liefert eine Vorbedingung für „Geld“, ist aber noch kein „Geld“.
Erst später entsteht dann aus dem Bedürfnis starker Gläubiger, „Sicherheit“ bzw. „Leistungsansprüche“ unabhängig von Ansprüchen auf Gütern halten zu können (sie wollen eben zum Fälligkeitstermin nicht „Güter“ als Erfüllung, sondern weiterhin abstrakte Ansprüche auf Leistung), „Geld“ als abstraktes, von Gütermengen entkoppeltes Wertmaß, in dem vollstreckbare Schulden ausgedrückt werden, die ab dann nicht mehr auf Güter, sondern auf später fällige, in einer abstrakten, von Gütermengen entkoppelten Bewertungs- und Recheneinheit denominierte Schulden / Leistungsversprechen lauten (hier - beim Geldbegriff - unterscheidet sich meine Sicht vom H/S-Modell). Diese sind zwar noch mit „Gütereigentum“ gesichert, aber eigentlich Ansprüche auf später fällige ebensolche Leistungsversprechen in Form von Zahlungsversprechen, bei denen nur im „Notfall“ auf das Sicherungseigentum zugegriffen wird.
Es gibt und braucht also keine „Einlösung mit Eigentum“ wie H/S das suggerieren, wohl aber eine Eigentumssicherung, die sich aus dem schuldrechtlichen Prinzip der Vermögenshaftung für vertraglich eingegangene Verpflichtungen ergibt.
Wobei dieses Geld dann zwar die gewünschten Vorteile der der relativen Unabhängigkeit, aber auch unvorhergesehene Paradoxien (Möglichkeit der Knappheit) und neue Abhängigkeiten mit sich bringt: derartiges „Geld“ kann vom Schuldner A eben nicht mehr - wie ein geschuldetes Gut - selbst produziert werden. Sondern er ist darauf angewiesen, daß ein anderer, von ihm unabhängiger freier Eigentümer B „Schulden macht“ und damit eine später fällige Forderung schafft, die es Schuldner A erlaubt, seine Forderung zu erfüllen, womit (unabhängig von irgendwelchen Zinsen) die Möglichkeit der Geldknappheit „zum Termin“ (inclusive der daraus folgenden Zeitknappheit sowie Boom/Bust-Zyklen) in der Welt ist, die zum Wettbewerb um knappes Geld führt, der wiederum die Wirtschaft dynamisiert und Käufermärkte erzeugt, die Innovationen und der Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Strukturen Vorschub leisten, wobei letztere neue Abhängigkeiten der weiterhin formell Freien mit sich bringen, etc. etc. --- damit ist betriebswirtschaftliche Rationalität / Eigentümerkalkül in der Welt etc. etc. (eigentliche Dynamisierung also erst, wenn Schulden in abstraktem Wertmaßstab ausgedrückt werden und nicht mehr durch Lieferung von Gütern oder „Einlösung“ irgendwelchen „Eigentums“, sondern durch Lieferung später fälliger, ebenfalls in dieser abstrakten Wert- und Recheneinheit denominierte Schuldtitel erfüllt werden müssen).
Gelddefinition hier also: später fälliges, vollstreckbares und in einer abstrakten Recheneinheit Zahlungsversprechen eines privaten Schuldners; solange noch nicht fällig, kann dieses Zahlungsversprechen als Geld (Wertspeicher und Zahlungsmittel) dienen und jetzt fällige Geldforderungen erfüllen/vernichten, was sich allerdings zum Fälligkeitstermin schlagartig ändert: dann wird aus dem „Geld“ nämlich plötzlich eine „Forderung auf Geld“, die - soll sie erfüllt werden - voraussetzt, daß wiederum (noch) später fällige Forderungen entstanden sind, mit denen sich die jetzt fälligen erfüllen lassen. (Solches „Geld“ entsteht schon beim „Kauf auf Kredit“ nach dem Motto: jetzt haben, später bezahlen).
Dieser Geldbegriff unterscheidet sich sowohl von H/S´ Geldbegriff als auch vom monetärkeynesianischen und vom bankingtheoretischen (bei diesen fehlt die Begründung der Möglichkeit von Geldknappheit durch die Differenzierung jetzt vs. später fällige Forderungen).
Die Unterscheidung zwischen „Geld“ und „Forderungen auf Geld“ anhand der Unterscheidung „jetzt vs. später fällig“ ist dermaßen einfach, daß sie fast schon lächerlich erscheint. Dennoch ermöglicht sie, ZEIT auf der allerelementarsten Modellebene in ein bankingtheoretisch angelegtes Modell einer Geldwirtschaft einzubauen: auf der Ebene der „Forderung“ nämlich, die als „saldenmechanische Grundbeziehung“ damit die „Keimzelle der bürgerlichen Ã-konomie“ oder die „ökonomische Zellenform“ darstellt.
Also nicht Warenform des Arbeitsprodukts sondern Geldform der Forderung = ökonomische Zellenform (schönen Dank an K. Marx für die Analogie „Zellenform“)!!!!
Die so resultierende Möglichkeit der Geldknappheit liefert den Kern der Erklärung nicht nur geldwirtschaftlicher Konjunkturzyklen mit den bekannten Phänomenen, sondern auch geldwirtschaftlicher Entwicklungs- und Modernisierungsdynamik (Innovation, Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Strukturen, „Kundenorientierung“ etc. ).
Aus dieser Perspektive wäre also die Kernfrage an die Historie die nach der Entstehung des abstrakten Geldstandards aus den Bedürfnissen der Eigentümer heraus (wäre noch im Detail auszuarbeiten); irgendwelche Formen von „Gütergeld“ interessieren aus dieser Perspektive nicht. Was interessiert, sind Titel - also Verträge - und der abstrakte Geldstandard. Und, wichtiger noch, die Übertragung des Gewaltmonopols der Vollstreckung der (formell, nicht unbedingt real) freiwillig eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen an die (anonyme) Staatsmacht. Diese ist überhaupt erst Vorbedingung dafür, daß Forderungen aus Verträgen - obwohl erst später fällig - bereits als gegenwärtige Vermögenswerte verbucht werden können. Hierin liegt die Kernfrage, die an die historische Forschung zu stellen wäre. Nicht „Eigentum“, sondern Freiheit/Unabhängigkeit von unauflöslichen sozialen Verpflichtungen und Vollstreckbarkeit vertraglicher Forderungen aus Verträgen zwischen Privaten durch die allgemeine (=für alle gleichermaßen maßgebliche/zwingende) Instanz des Staates ist es, nach deren historischem Ursprung sinnvollerweise zunächst gesucht werden muß.
Für die Erstenstehung der „Privatindividuen“ müssen dabei also zunächst einmal traditionale, auf unauflöslichen Hilfs- und Solidar- bzw. Abgabenpflichten beruhende Sicherungssysteme zerstört worden sein. Sobald dann die geldwirtschaftliche Form sozialer Reproduktion einmal etabliert ist, kann sie exportiert und anderswo installiert werden, sei es nun durch Eroberung (zwangsweise Installation von oben) oder „freiwilliges“ Kopieren (heute: nachholende Modernisierung, etwa Südkorea etc.).
Man kann nun natürlich sagen, daß für die Idee eines „Eigentümerstaats“ mit zentraler Verwaltung etc. die vorgängige Existenz eines Feudalstaats mit ähnlich zentralisierter Verwaltungsstruktur nötig war, der dann sozusagen freiheitlich umfunktioniert wurde. Aber diese Vermutung scheint durch die Geschichte ja gedeckt und bringt (soweit ich sehe) keine zusätzlichen Erklärungsleistungen in punkto Dynamik der Geldwirtschaft.
Daher würde mich interessieren: welche zusätzlichen Erklärungsleistungen in Bezug auf geldwirtschaftliche Dynamik bringt Deine neue Machttheorie, die über die (für Dich ja absolut schlüssige) Bankingtheorie hinausgehen? Ist sie für die Erklärung geldwirtschaftlicher Dynamik nicht überflüssig? Der Punkt meiner Begründung von Geldknappheit mit der Unterscheidung jetzt fälliger vs. später fällige (Geld)forderungen war eben, daß sich dieses Problem so ganz ohne Autorität (für die Monetärkeynesianer: Zentralbank) lösen läßt --- in other words, daß eine Autorität dafür nicht notwendig ist, sondern das auch bankingtheoretisch funktioniert, wobei Du mir sogar zugestimmt hast, daß qua Staat lediglich zusätzliche (aber eben nicht primäre) Geldknappheit ins Spiel kommt.
Was ja unter anderem bedeutet: radikalliberale Thesen, man müsse nur den Staat aus der Wirtschaft heraushalten oder gar ganz eliminieren, dann werde der freie Markt schon alles zum besten regeln, gehören ins Reich der ideologischen Fiktion: die Möglichkeit der Geldknappheit und dazugehörige Krisentendenz ist nicht vom Staat produziert (obwohl dieser sie, wie Du sagst, verstärken kann, ihr aber umgekehrt auch entgegenwirken kann). Sondern sie ist marktintern hausgemacht und kann vom Staat pro- oder antizyklisch mitgesteuert werden. Inwieweit dabei steigende Staatsverschuldung saldenmechanisch „notwendig“ ist oder nur Ergebnis unverantwortlicher Kreditexzesse nicht persönlich haftender Politiker darstellt, könnte wohl nur in einer präziseren saldenmechanischen Modellsimulation (ähnlich der von C. Bruun vorgeschlagenen) geklärt werden. Klar ist jedenfalls, daß durch die mangelnde persönliche Haftung der staatlichen Kreditnehmer verantwortungsloses Handeln sehr naheliegt.
Jedenfalls kommt diese Begründung von Geldknappheit ohne Zins aus und deshalb auch ohne die Notwendigkeit permanent steigender Schuldensummen (stellt in diesem Modell lediglich eine Möglichkeit dar).
Was die „prima causa“ angeht: solche Fragen interessieren mich nicht „als solche“, sondern nur insoweit, als sie mich in Bezug auf mein Erkenntnisziel weiterbringen, das nicht in der Historie als solcher, sondern im Verstehen heutiger Abläufe (zwecks zielgerichteter Veränderung) besteht. Wo die Historie dazu beiträgt, great; wo nicht, why bother?
Heinsohns Rekonstruktion ist dabei für mich Paradebeispiel für dafür, wie eine historische „prima causa“ der theoretischen Modellkonstruktion entscheidende Ansatzpunkte liefern kann -- wenn man die Historie aus der Perspektive expliziter theoretischer Fragestellungen/Erkenntnisziele angeht (Lösung der Frage: woher kommen plötzlich die „unabhängigen Privatindividuen“, Antwort: dafür müssen vorgängige kollektive Sicherungssysteme zerstört worden sein - Evidenz zeigt, daß dies durch Naturkatastrophen passierte). Daß H/S dabei neben dem Staat auch das Geldknappheitsproblem -- Mißverhältnis jetzt vs. später fällige Forderungen -- nicht sehen, geschweige denn lösen, und hier z.B. auch berechtigte Kritik der Berliner Monetärkeynesianer ignorieren, steht auf einem anderen Blatt, (ist aber wie gezeigt im Prinzip bankingtheoretisch behebbar - müßte allerdings erst noch im Detail ausgearbeitet werden); es gibt weitere Unstimmigkeiten im H/S-Modell (wie die unbeantwortete Frage nach der Entstehung eines abstrakten, von Gütermengen entkoppelten Geldstandards und ihr Geldbegriff überhaupt, weswegen ich ja den allgemeineren bankingtheoretischen verwende), die neu beleuchtet werden müßten. Ich sehe aber nicht, daß es dafür den Rückgriff auf den Staat als primären Beweger bräuchte.
Was eine mögliche logische „prima causa“ angeht: die scheint mir weniger Ergebnis von Forschung als mehr Ergebnis einer theoretischen Vorentscheidung zu sein, worauf man bei der Modellbildung überhaupt schauen will --- also z.B. bei Marx´ „materialistischem“ Ansatz auf die Verhältnisse, in denen die Menschen die Produktion und Reproduktion ihres materiellen (Über)lebens organisieren (was H/S von Marx übernehmen). Um es mal überspitzt auszudrücken: man kann eine solche „prima causa“ im Prinzip auswählen, wie man will und bekommt dann im Prozess der „empirischen Konkretisierung“ das entsprechende (qua prima causa vorgewählte) theoretische Ergebnis. Frage wäre also demnach: von welcher logischen „prima causa“ gehe ich sinnvollerweise aus (und aus welchen Gründen/mit welchem Ziel). Die abstrakte prima causa selbst ist mehr oder weniger trivial - interessant wird sie erst da, wo man spezifische Formen ihres Funktionierens in konkreten Gesellschaftsformationen untersucht.
Fazit: Eine Theorie des Staats als ökonomischer Agent sollte man, eine allgemeine Machttheorie kann man durchaus ans bankingtheoretische Modell anbauen. Sie ist aber für die Erklärung des Kernphänomens einer Geldwirtschaft - deren Modernisierungsdynamik - überflüssig. Daß „Macht“ und „Gewalt“ auch in einer „freien“ Wirtschaft (qua Vollstreckbarkeit durchs staatliche Gewaltmonopol zum Fälligkeitstermin) eine zentrale Rolle spielen, ohne die die Modernisierungsdynamik nicht denkbar ist, ist dabei unstrittig.
Schönen Dank für die Einwände und Denkanstöße. Ich werde mir dazu bei Gelegenheit online von Dir verfügbare Texte anschauen.
Gruß
moneymind
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