-->17. September 2005, Neue Zürcher Zeitung
Herausgegriffen
Aus nichts entsteht nichts
cei. Frankfurt, im September
Der Export laufe wie geschmiert, doch fehle es an der Binnennachfrage, ist in Deutschland häufig zu hören. Die SPD hat deshalb ihr Wahlprogramm unter das Motto «Kaufkraft stärken - Wachstum fördern» gestellt und propagiert grosszügigere Lohnabschlüsse, eine «Reichensteuer» sowie punktuell staatliche Mehrausgaben. Bei Letzteren sind auch bürgerliche Parteien selten um gute Ideen verlegen. Die CDU hat diese Woche Finanzminister Eichel wegen angeblicher Sparpläne vorgeworfen, er schwinge die radikale «Kürzungskeule». Hinter solchen Positionen steckt letztlich die Überzeugung, dass vor allem der Konsum den Gang einer Volkswirtschaft bestimmt. Geprägt wurde diese Sicht durch den britischen Ã-konomen John Maynard Keynes in seiner 1936 erschienenen «General Theory of Employment, Interest, and Money». Keynes' Gedankengebäude übt wohl deshalb eine so starke Anziehungskraft aus, weil darin zur Tugend erhoben wird, was landläufig als wenig verantwortungsvoll gilt: mit vollen Händen ausgeben statt sparen. Keynes blendet dabei die grundlegende Erkenntnis aus, dass nur konsumiert werden kann, was zuvor erarbeitet worden ist.
*
Als Motor der Volkswirtschaft gilt bei Keynes die Gesamtnachfrage. Ein zusätzlich konsumierter Franken erhöht in seiner Vorstellung die Wirtschaftsleistung jeweils um mehr als einen Franken. Das tönt verführerisch, wird damit doch die Überwindung des Knappheitsproblems suggeriert. Ausgangspunkt von Keynes' Überlegung ist die Tatsache, dass die Ausgaben einer Person die Einnahmen einer anderen sind. Es sei angenommen, von jedem Euro würden 90 Cent ausgegeben und 10 Cent gespart. Wenn man den Privathaushalten 100 Mio. Euro zur Verfügung stellt, kaufen sie davon gemäss Annahme für 90 Mio. Euro Waren. Die Verkäufer werden von den eingenommenen 90 Mio. Euro in einer nächsten Runde 81 Mio. Euro ausgeben. Dieser Prozess wiederholt sich immer wieder. Die anfängliche Konsumsteigerung von 100 Mio. Euro. führt nach unzähligen Runden schliesslich zu einem Anstieg des Bruttoinlandproduktes (BIP) um 1 Mrd. Euro (100 Mio. Euro/ 0,1). Der «keynesianische Multiplikator» liegt in diesem Beispiel bei 10, da sich der ursprüngliche Stimulus verzehnfacht hat. Würden 95% jedes zusätzlichen Frankens konsumiert, beliefe sich der Multiplikator gar auf 20, bei einer Konsumneigung von 80% dagegen nur auf fünf. Je weniger die Leute sparen, so lautet Keynes' Fiktion, umso stärker nimmt das BIP zu.
*
Bei Keynes' Multiplikator-Argument fällt der ursprüngliche Nachfrageimpuls vom Himmel. Wenn aber der Staat die Mittel verteilt, muss er sie zuvor den Bürgern über Steuern und Abgaben weggenommen haben. Einkommen basiert immer auf Produktion. In westlichen Volkswirtschaften ist es nicht selten, dass der Staat die Hälfte des Volkseinkommens ausgibt oder umverteilt. Dies untergräbt jedoch die Motivation des Unternehmers: Der Bäcker wird seine Backstube möglicherweise nicht ausbauen, weil er immer nur die Hälfte des Lohns für seine Anstrengungen einbehalten kann. Entsprechend wird die Bäckerei auch weniger Personal anstellen, als wenn der Staat nur einen geringen Obolus verlangt hätte. Auf Umverteilung wird eine Gesellschaft zwar aus Gerechtigkeitsgründen nicht verzichten wollen. Dabei muss sie sich aber bewusst sein, dass der Kuchen mit jeder Umverteilungsmassnahme kleiner wird, weil dadurch die Motivation der Fähigen und Fleissigen sinkt.
*
Anfechtbar ist auch Keynes' Vorstellung einer Wirtschaft als unendlicher Abfolge von Kaufentscheiden. Einem Betrachter vom Mars wird das gleichzeitige Tätigsein vieler auffallen. Während der Bäcker Brot bäckt, füllt der Lebensmittelverkäufer seine Regale auf und repariert der Schumacher Absätze. Eine Volkswirtschaft ist demnach eine Gemeinschaft, in der sehr viele Menschen gleichzeitig produzieren und einen Teil des Gegenwertes ihrer Produkte gegen andere Waren tauschen. Gehandelt wird dabei stets, was man über den Eigenbedarf hinaus hergestellt hat. Hat der Bäcker zehn Laib Brot gebacken und verzehrt davon eines selbst, stehen ihm noch neun zum Tausch zur Verfügung. Dabei kann er einen Teil des Brotes gegen Tomaten tauschen oder alles für einen besseren Backofen einsetzen. Macht er Letzteres, wird er künftig mehr Brote backen können, was ihm mehr Tauschmöglichkeiten eröffnet. Erhöht er dabei den Absatz seiner Bäckerei, wird er auch neue Mitarbeiter anstellen wollen. Dieses Beispiel macht zweierlei deutlich. Erstens schafft immer die gesamte Produktion Einkommen und Beschäftigung und nicht nur derjenige Teil, der in den Konsum fliesst. Zweitens stammen die gesamten Ausgaben des Bäckers aus «Ersparnissen», nämlich dem Überschuss seiner Produktion über den Eigenbedarf hinaus.
*
Wie ist Keynes' Abneigung gegen das Sparen zu erklären? Er setzt die Ersparnisbildung mit dem Horten von Geld gleich, womit dem Wirtschaftskreislauf Ressourcen entzogen werden. Keynes blendet damit aus, dass der weitaus grösste Teil der Ersparnisse nicht unter der Matratze verschwindet, sondern Investoren zugeführt wird, die Liegenschaften und Maschinen kaufen oder Leute ausbilden. Ohne Ersparnisse gibt es keine Investitionen. Keynes nimmt dagegen an, dass die Mittel aus einem künstlichen Nachfrageboom en passant auch noch die notwendigen Investitionen finanzierten. Eine solche «Creatio ex nihilo» wird aber auch fürderhin den Göttern vorbehalten sein. Auf welche groteske Maxime die Empfehlungen von Keynes und seinen heutigen Nachfahren letztlich hinauslaufen, hat der frühere deutsche Wirtschaftsminister und Kanzler Ludwig Erhard auf den Punkt gebracht: «Lasst uns weniger, lasst uns schlechter und weniger produktiv arbeiten, auf dass es uns besser ergehe.»
|