-->Steuersünder EU
Wohin verschwinden jedes Jahr mehr als
90 Prozent der EU-Gelder?
VON STEPHEN POLLARD
STELLEN SIE sich vor: Sie geben Ihre jährliche Einkommenssteuer-erklärung ab, ohne die Einnahmen- und Ausgabenspalte auszufüllen. Ihr Finanzamt würde Sie garantiert auffordern, dk. fehlenden Angaben nachzuliefern. Und stellen Sie sich vor, Sie gäben dem Finanzamt folgende Antwort:
„Ich habe nicht die entfernteste Ahnung, wie viel ich eingenommen und wie viel ich ausgegeben habe. Und ich habe keinen blassen Schimmer, was mit dem Geld passiert ist. Ich schaffe es einfach nicht, den Überblick zu behalten.“ Wenn Sie glauben, das sei übertrieben, dann stellen Sie sich außerdem vor, Sie hätten das die letzten zehn Jahre hindurch so gemacht. Vermutlich hätte man Ihnen eine deftige Strafe aufgebrummt, oder Sie wären sogar im Gefängnis gelandet.
Anders sieht es mit der Europäischen Union (EU) aus. Jahr für Jahr werden Ihre Konten von einer unabhängigen amtlichen Prüfstelle — dem Europäischen Rechnungshof (ERH) -kontrolliert. Und Jahr für Jahr kommen die Prüfer zum selben Ergebnis:
Die vorgelegten Rechnungen sind so ungenau und unzuverlässig, dass sich die Prüfer außer Stande sehen, die Ordnungsmäßigkeit zu bescheinigen.
Im vergangenen Jahr hatte der Haushalt der EU ein Gesamtvolumen von über 109 Milliarden Euro, wovon
22 Milliarden vom deutschen Steuerzahler kamen. Ein Großteil dieses Geldes wurde korrekt verwendet, wie für Regionalbeihilfen, echte Agrarsubventionen. Doch niemand weiß, wie viel Geld in dunkle Kanäle geflossen ist. Die EU hat sich zu einem Tummelplatz für Betrüger entwickelt. und das will schon was heißen!!!
Und es scheint immer schlimmer zu werden.
Die letzte Prüfung betraf das Rechnungsjahr 2003. Die Prüfer stellten fest, dass 93,4 Prozent der Rechnungen nicht durch Belege gesichert oder mit so vielen Fehlern behaftet waren, dass auf sie kein Verlass war. Das Gleiche galt für 91 Prozent der Zahlen aus dem Rechnungsjahr 2002.
Das heißt, rund 95 Milliarden Euro sind nicht ordnungsgemäß verbucht und abgerechnet worden. Das ist ein Finanzskandal, der jede Vorstellungskraft sprengt. Dabei geht es um unser Geld. Nach den Worten der Prüfer sind weitere Anstrengungen seitens der EU erforderlich, „um zu garantieren, dass der EU-Haushalt so abgeschlossen wird, dass er den legitimen Erwartungen aller EU-Bürger entspricht“.
In den Prüfberichten werden verschiedene Tricks aufgedeckt, die zunehmend um sich greifen. Die Italiener waren beispielsweise in der Vergangenheit Meister im Kassieren von Beihilfen für nicht vorhandene Olivenplantagen (in ganz Italien gibt es nicht so viele Olivenbäume wie in den Anträgen angegeben). Und im Bericht für das Rechnungsjahr 2002 steht: „In Ã-sterreich waren die Flächenangaben der förderfähigen Bergweiden in manchen Gebieten um mehr als 60 Prozent zu hoch.“ In Griechenland wurde in mindestens einem Fall Beihilfe für Mais bezahlt, den es offensichtlich nie gab. Doch das ist längst nicht alles. Seite um Seite folgen ausführliche Darlegungen über eine Schwindel erregende, schamlose „Misswirtschaft“ und „zu Unrecht erhaltene Beihilfen“.
In Ausnahmefallen werden „an Ort und Stelle“ Kontrollen durchgeführt. 2003 meldeten die EU-Kontrolleure
2453 Betrugsfälle und Unregelmäßigkeiten. Davon betrafen 28 Prozent Italien, 19 Prozent Deutschland und 17 Prozent die Niederlande. Doch das sind nur die Fälle, bei denen eine Kontrolle möglich war. Noch immer stehen Rückzahlungen in Höhe von rund 220 Millionen Euro für unrechtmäßig kassierte Agrar- und Strukturhilfen und sonstige Leistungen aus.
Und wer noch immer an die Ehrlichkeit der Mitglieder glaubt, sollte den folgenden Abschnitt aus dem Prüfbericht 2002 lesen: „Bei den vom Gericht festgestellten Fehlern... handelte es sich in erster Linie um Abweichungen zwischen den von den Landwirten geführten Aufzeichnungen und den Meldungen, auf deren
Unser Autor
Stephen Pollard ist leitender Wissenschaftler am
„Centre Tor the New Europe“, einer un- abhängigen Expertenkommission
in Brüssel.
Grundlage die Prämien bezahlt wurden. Ganz vorn dabei waren die Niederlande und Großbritannien.“
Man möchte meinen, dass die Europäische Kommission alles getan hätte, um diesem Missbrauch unseres Geldes ein Ende zu bereiten. Sie tat auch etwas. Sie entließ eine Mitarbeiterin —die Spanierin Marta Andreasen.
Doch Marta Andreasen gehörte nicht zu den schwarzen Schafen. Im Gegenteil, sie hatte auf die Fehler hingewiesen. Sie war Chefbuchhalterin der Kommission. Als sie ihr Amt antrat, stellte sie fest, dass die Buchführung der Kommission „unkontrollierbar“ und „chaotisch“ war. Als sie sich 2002 erstmals öffentlich äußerte, verglich sie die Buchhaltung mit der des Pleite gegangenen Energiekonzerns Enron.
Die Kommission reagierte auf Frau Andreasens Enthüllungen zunächst mit ihrer Strafversetzung in die Verwaltung. Dann wurde sie vom Dienst suspendiert und im vergangenen Jahr schließlich entlassen. Ihre Suspendierung wurde von offizieller Seite damit begründet, dass sie gegen die Personalvorschriften der EU verstoßen habe — sie habe ihre Bedenken direkt in Briefen an den Kommissionspräsi
denten und die Mitglieder des Europäischen Parlaments formuliert. Dabei war sie in Wirklichkeit unmittelbar an die Ã-ffentlichkeit gegangen.
Die neue Kommission unter Führung des früheren portugiesischen Ministerpräsidenten Jose Manuel Barroso, die Ende 2004 ihre Arbeit aufnahm, hat ihre Entschlossenheit bekundet, das EU-Recht gründlich zu durchforsten. Für mich als Befürworter der freien Marktwirtschaft steht außer Frage, dass die EU funktionieren soll und kann. Deshalb würde ich seinen Worten gern Glauben schenken. Doch seine Vorgänger haben dasselbe erklärt. Und es ist nichts geschehen.
Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass an der Subventions- und Ausgabenpolitik der EU als solcher etwas faul ist. Und dass halbherzige Lösungen wie zusätzliche Kontrollen und eine verlässlichere Buchführung keine Abhilfe schaffen. Es bedarf einer grundlegenden Änderung des Systems. Das bedeutet, die EU sollte aufhören, unwirtschaftliche Wirtschaftszweige und Regionen mit Finanzspritzen künstlich am Leben zu erhalten. Sie sollte das Geld besser in mehr Effizienz und mehr Wettbewerb investieren.
Quelle: Readers Digest Oktober 2005, Seite 76
PS: in Frankreich hat die Feuerwehr alle Hände voll zu tun!
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