Lieber Schlangenfuchs,
ich muß Dir, Du ahnst es schon, leider widersprechen.
Die Fed bremst seit einem Jahr!
Hat das Jahr neuerdings nur noch 6 Monate? Durch die ersten drei Zinserhöhungen der FED wurden lediglich die drei anläßlich der LTCM-Krise Ende '98 durchgeführten Zinssenkungen wieder aufgehoben. So etwas nenne ich"Fuß vom Gas", aber nicht bremsen. Aber, wie Du sicher weißt, sind die Leitzinsen nur ein Teil der Geldpolitik. Der andere Teil ist die Liquiditätsversorgung der Banken durch Wertpapierpensionsgeschäfte (Repos), und hierbei war die FED bisher alles andere als knauserig. Einen Chart zum Wachstum der Geldmenge M2 findest Du hier.
Es ist nicht so, dass sie erst zu bremsen beginnt, wenn die Inflation in den Zahlen erscheint, sondern bereits viel früher. Das finde ich gut und gibt mir einiges Vertrauen.
Dir ist sicher nicht unbekannt, daß die exakte Bedeutung von Inflation das"Aufblasen der Geldmenge" ist. Steigende Preise sind lediglich eine Folge der Inflation. Es ist geradezu obzön, die Preise von ein paar ausgewählten Waren und Dienstleistungen zu beobachten und daraus zu schlußfolgern, daß keine Inflation vorliegt, obwohl die Asset-Preise geradezu explodieren. Im übrigen hat W. Fleckenstein vorgestern darauf hingewiesen, daß die Hamburger bei McDonalds im letzten Jahr um 20 % teurer geworden sind. Ist das etwa Preisstabilität?
Dieser Bullenmarkt ist im Wesentlichen auf einige wenige Sektoren und Aktien zurückzuführen. Für diese Titel, die first class sind weltweit, gebe ich dir recht: die Preise sind übertrieben.
Daneben aber gibt es den breiten Bärmarkt in US-Aktien: hier wurde zweifelsohne die Rezession und die Abkühlung vorweggenommen und das eineinhalb Jahre lang. In Deutschland, das nicht unbedingt vergleichbar ist, sehen wir jedoch das gleiche Phänomen in vielen Aktien wie z.B. in den Autos etc.
Die Börse ist ein Preiseskomptierungsmechanismus auf dem Stand des jeweils verfügbaren Wissens, aber ganz klar eskomptierend. Niemand wollte lange Monate hindurch sehen, dass die Börse eine Abschwächung der Konjunktur vorwegnimmt im breiten Markt. Kein Medienanalyst wies darauf hin, dass das Aktiengeschehen für die breite Masse der Titel sehr negativ war in den vergangenen 18 Monaten. Alle schauten nur auf die Indices und die wenigen bekannten Titel, im S&P 500 wareb es etwa 40 von 500, die die gesamte Performance der Index bis November 1999 ausmachten. Der Rest der Aktien waren im Vergleich mit dem Stand Anfang 1999 entweder negativ oder gerade ausgeglichen: 40 von 500.
Ich glaube auch, dass wir in Deutschland eine ein wenig verzerrte Sicht der Dinge dadurch bekamen, dass hier der Zock ganz besonders unbegreiflich war. Es ist etwas vom Extremsten, das ich je sah und habe noch nie von etwas Extremerem gehört: ich meine hier die Geschehniss rund um die Telekom, die in eine Technologieaktie umbenannt wurde und der von den Gewinnen her besehene Dax plötzlich von den Medien und den Investoren wie der 'Nasdaq himself' gefahren wurde. Ich glaube, dass das ein Deutsches Problem ist und nicht unbesehen auf USA übertragen werden sollte.
USA war eine Euphorie, ja! Aber immerhin fand sie in core businesses statt mit guten Gewinnaussichten und nicht wie bei der DTE in einer Aktie, die - nachweislich von allen gewusst - schlechtere Gewinne abliefern wird.
(Ich vermute hier übrigens ganz stark den Staat hinter dem Anstieg der Aktie! Ich sage es mal ganz direkt: Der Staat eliminiert die Steuern auf Unternehmensbeteiligungen, die veräussert werden, und umgekehrt wird die Aktie dafür von den Banken derart hochgetrieben, dass sich das Vermögen des Staates daran gleich mal verdoppelt.
Hierzu besteht relativ leichtes Spiel, denn wir wissen ja alle, dass es in Wirklichkeit die Eurobörsen sind, die als 'One way'-Veranstaltungen geführt werden, nicht die amerikanischen. Dort ist das 'Short-selling' von Aktien ein ganz normaler Vorgang, an dem ebenso verdient werden kann wie bei long. Die Gleichwertigkeit beider Strategien macht in meinen Augen diese Börsen weniger anfällig für skrupellose Exzesse und Euphorien, wie wir sie in Deutschland mit DTE, Mannesmann oder am Neuen Markt sahen.
Um es noch einmal zu wiederholen, wir haben es mit einer Kreditinflation zu tun und die astronomischen Aktienpreise sind lediglich eine Folge, nicht die Ursache. Jedoch, die steigenden Aktienkurse beschleunigen das Wirtschaftswachstum über den"wealth effect" zusätzlich:
1) sinkende Zinsen => steigende Unternehmensgewinne
2) steigende Unternehmensgewinne => steigende Aktienkurse
3) steigende Aktienkurse => steigender Wohlstand
4) steigender Wohlstand => steigender Optimismus
5) steigender Optimismus => steigender Konsum
6) steigender Konsum => 2)
Dieser Zusammenhang ist Dir bestimmt nicht unbekannt. Hinzu kommt, daß die zahllosen Firmenneugründungen ganz erheblich zum steigenden Konsum in gewissen Sektoren beigetragen haben. Es handelt sich bei dem ganzen aber um ein"Ponzi scheme", das nicht endlos weitergehen kann. Hier noch einmal, was Bill Bonner dazu schreibt:
*** Samuelson notes that even with computers, productivity gains were larger in the 1950s than in the 1990s -- a point I've made to you often. Unemployment, too, was lower in the late-`60s than it is now. So what's new about the New Economy?
*** Well, Samuelson, goes on:"Every percentage point drop in the savings rate is worth about $66 billion in extra consumer spending. Americans may still make deposits in savings accounts or 401(k) plans. But consumers offset these savings by borrowing or by spending stock profits. It is this spending spree -- based heavily on people's stock wealth -- that has expanded the economy, profits and hiring..."
*** But spending money does not create wealth -- it destroys it. It creates the illusion of wealth, in the form of economic activity...and consumption. But real wealth is created by saving and investing -- not by consuming.
*** But, bulls will reply, billions of dollars ARE being invested in the New Economy. More than ever before, venture capital funds...and ordinary stock buyers...are contributing to the world's wealth of capital. More entrepreneurs are starting up enterprises. More tech and business innovations are being tested.
*** Alas, when a dead-end dot-com rents office space, buys equipment, hires people with body piercings and orders out for pizzas, capital is not created -- it is consumed, just as it is used up by people who take a holiday in Paris. For the world's wealth to increase, there must be a return on the capital invested. The new companies must produce a benefit that society is willing to pay for...and willing to pay enough for so that the company can clear the"hurdle rate" -- returning enough profit to make the whole thing worthwhile. When the hurdle rate goes to zero -- as it did for the Nets and techs -- the whole thing becomes an exercise in self- deception. Investors pretend to invest. Entrepreneurs pretend to create wealth. And stock market indexes pretend that everyone is getting richer.
*** According to Forrester Research, which keeps track of trends in the Internet business community, most of the e- tailers operating entirely on the Internet will be out of business within 12 months.
*** The whole thing -- the boom, the New Era, the New Economy, the explosion of new wealth supposedly created by new technology -- is an imposter.
Die Medien sind die Begleitmusik und nicht der wirkliche Auslöser, den es nicht in Form einer Einzelperson/kleine Gruppe gibt, ondern in Form der herrschenden Elite in einer Gesellschaft. Diese Elite formt in einem komplxen Prozess (Filterung der 'Wirklichkeit') das, was in Nachhinein als die herrschende Meinung oder der Konsens wahrgenommen wird.
Ich lese gerade eine komplexe und spannende Medienanalyse aus den 80er Jahren: 'Manufacturing consent' von Chomsky und Herman. Was sich damals auf die politischen Verhältnisse in den USA von Reagan bezog, kann sich heute durchaus in den Bereich Aktien und Wirtschaft verschoben haben. Ich bestreite das nicht, nur möchte ich vor Simplifizierung warnen: wie die Gesellschaft Konsens schafft, hat seine Mechanismen, nur sind die komplexe soziologische Vorgänge und nicht einfache Ursache-Wirkungs-Schemen.
Natürlich sind die"soziologischen Vorgänge" sehr komplex, aber gerade deswegen ist es unumgänglich, einfache Modelle zu schaffen, mit deren Hilfe man sich Ursache und Wirkung verständlich machen kann. Ist dies erfolgt, können die Modelle dann immer weiter verfeinert werden.
Wenn ein Aktienkäufer nicht in der Lage ist, den Wert eines Unternehmens objektiv zu beurteilen (und das trifft für die allermeisten"retail-investoren" zu), welche Kriterien sind dann für seine Kaufentscheidung ausschlaggebend? Die"Expertenmeinung"! Je mehr Laien im Markt mitmischen, desto mehr wird der Markt durch die Medien gesteuert. Und ich glaube, das war nie mehr der Fall als heute, im Zeitalter der Discount-Broker.
Die Kreditversorgung hat sich verschärft, die Atienkurse des breiten Marktes haben das vorweggenommen und ob es zur Rezession kommen wird ist nicht ein unweigerlicher Ausgang, sondern hängt davon ab, wie die Fed wirken wird und was der Markt mit den Zinsen macht.
Falsch: Es geht nicht um die Aktienkurse, es geht um Kreditinflation und um Kapitalvernichtung durch Konsumrausch und schlechte Investitionen. Zinserhöhungen durch die FED können zwar die Kreditinflation stoppen, sie können aber nicht schlechte Investitionen in Gute verwandeln. Der Schaden ist bereits entstanden und kann von der FED nicht mehr rückgängig gemacht werden, eine Rezession ist unvermeidlich.
Bist du ein Zyniker oder ein Neider?
Beides, lieber Schlangenfuchs. Wir sind Zeuge einer Kapitalumverteilung gigantischen Ausmaßes und die Verantwortlichen werden völlig ungeschoren, aber mit viel Geld davonkommen. Da sind sowohl Zynismus als auch Neid durchaus gerechtfertigt, wie ich finde.
viele Grüße, NickLeeson
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