-->Hi bernor,
schönen Dank für Deine Einschätzung des Grameen-Projekts in Bangladesh, und sorry für die Verzögerung beim Antworten.
Du schreibst:
machttheoretisch betrachtet funktioniert Grameen nur solange, wie der Staat nicht „querschießt“...
Sehe ich anders.
Umgekehrt - Grameen kann durch Erfolge zeigen, daß unternehmerische Eigenaktivität zu einer spürbaren Verbesserung der eigenen Lage und der Lage der eigenen Familie beitragen kann und insofern durch positive, praktische Beispiele dem Staat Wege der Armutsreduktion und Entwicklung aufzeigen, die nicht „von oben“, sondern von unten --- nämlich direkt von den Armen selbst --- kommen. Daraus kann - in Verbindung mit einem entsprechenden theoretischen Verständnis - durchaus die Forderung erfolgreicher Grameen-Teilnehmer erwachsen, bessere Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeit der Armen bereitzustellen. Und die bestehen - nicht nur aus der treffenden Sicht von DeSoto, sondern auch aus Sicht der Eigentumstheorie in erster Linie in klar dokumentierten, formalisierten Eigentumsrechten und der flächendeckenden Institutionalisierung eines zivilen Vertragsrecht analog dem deutschen BGB.
Die Machttheorie sieht doch deutlich, daß der Staat eben eine Doppelrolle spielt: einerseits steht er außerhalb der Logik des debitistischen Marktprozesses und folgt einer quasi-feudalen Logik der Macht (Steuersystem etc.), andererseits ermöglicht er - wenn er entsprechende zivile Rechtsstrukturen schafft - den debitistischen Marktprozess und die daraus resultierende Produktion von relativem Wohlstand erst, indem er die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen geordneten und effizienten Marktprozess bereitstellt.
Worauf es also ankäme, wäre, Grameen und DeSotos Ansätze zusammenzubringen (Bangladesh gehört bisher noch nicht zu den Regierungen, die bei DeSotos Institut um Beratung bei ihren Modernisierungsanstrengungen gebeten haben .
Ein paar Gründe, warum das sinnvoll sein könnte, hatte ich hier zusammengefaßt.
Du wendest u.a. folgendes ein:
<i >Bei De Soto geht es hauptsächlich um die nachträgliche Legalisierung von"extra-legalen" Besitztümern in Slums oder auf Großgrundbesitz (also ihrer Transformation in legales Eigentum) in Ländern, die bereits formales (wenn auch bisher eher ineffektiv genutztes) Eigentumsrecht kennen und mit deren Begriffen an sich vertraut sind - insofern steht die Nagelprobe, ob sein Modell auch in einem"reinen" Emtwicklungsland so einfach funktioniert, noch aus.[/i]
Nun, daß die Transformation prinzipiell auch in Ländern gelingen kann, die vorher keine formalisierten Eigentumsrechte kannten, zeigt doch allein die Tatsache, daß es Länder gibt, die eine solche Transformation von einem feudalen zu einem bürgerlichen Rechtssystem durch Imitation geschafft haben (Japan z.B. - die haben ihr Zivilrecht einfach nach dem deutschen BGB strukturiert).
Ein weiterer Einwand von Dir war:
Und damit konnte das Geld für die Zinsen (die im obigen Beispiel in späteren Perioden real weniger als 10 Taka betrugen, weil die Kreditnehmer/innen als Mitglieder auch Dividenden kassieren) in immer größerem Ausmaß nur durch die Grameen-interne zusätzliche Neuverschuldung generiert werden.
So erklärt sich auch der überproportionale Anstieg der Kapitalkosten gerade in den 90er Jahren, als Grameen boomte - was nicht nur die Dividende drückt und somit die Realzins erhöht, sondern Grameens Abhängigkeit vom A-Sektor (z.B. von der ZB und damit der Politik!) unerbittlich erhöht.
Oder anders: Je erfolgreicher das Grameen-Projekt ist, desto mehr ist es zum Erfolg verdammt - und irgendwann sehr daran interessiert, daß auch der A-Sektor kreditmäßig endlich zu Potte kommt, damit dort die laufend erforderliche Neuverschuldung weitergeht.
Und damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage, wie dieses Zu-Potte-Kommen bewerkstelligt werden könnte.
Bangladesch war schon vor ca. 30 Jahren, als das Grameen-Projekt begann, ein dichtbevölkertes Land mit einem darniederliegenden A-Sektor, weil regelmäßig nach Parlamentswahlen (wenn nicht gerade ein Militärdiktator am Ruder war), Schuldenerlasse verfügt wurden, so daß lt. Yunus nur ca. 10% der jeweiligen Schulden tatsächlich bezahlt wurden.
Dies mag man jetzt als „Schlendrian!“ und „Korruption!“ bezeichnen - aber war’s nicht vielleicht auch ein bißchen weise, weil viel mehr als diese 10%-Tilgung gar nicht möglich waren?
Nun, aus machttheoretisch-/debitistischer Sicht gäbe es für diese ausbleibenden Zahlungen ja prinzipiell zwei Erklärungen:
1) Liquiditätskrise --- durch Ausbleiben der notwendigen Nettoneuverschuldung (Entstehung von Geldforderungen mit späterer Fälligkeit) werden gegenwärtig fällige Forderungen unbedienbar.
2) Es wird einfach deshalb nicht gezahlt, weil es überhaupt kein durchsetzbares Eigentums- und Vertragsrecht gibt.
Wäre letzteres der Fall, würde sich nicht nur die Zahlungsmoral verbessern: auch die Kreditvergabe würde sicherer, und Unternehmen wären eher geneigt, sich zu verschulden, weil sie ihrerseits sicher sein könnten, ausstehende Forderungen gegenüber ihren Schuldnern einklagen zu können.
Interessanterweise vermeidest Du auf den in diesem Kontext (Grameen/DeSoto) doch naheliegenden Gedanken in Deinem Posting vollkommen. Stattdessen ziehst Du es vor, auf andere Variablen zu verweisen: Bevölkerungswachstum, Korruption, Kriminalität etc. und ziehst daraus den Schluß, daß sich hier ein „allgemeiner Kollaps des Landes“ ankündigen könnte.
Ausgehend davon verallgemeinerst Du dann in einem Riesenschritt - ohne empirische Untermauerung - zu der generellen Aussage:
... man kann schon den Eindruck gewinnen, daß in der „Lebensgeschichte“ Bangladeschs und vieler anderer, vieleicht gar aller Staaten der Welt der Zenit ihrer „Entwicklung“längst überschritten worden ist, daß bestenfalls noch der „sozialverträgliche Abstieg“, wie auch immer, gestaltet werden könnte.
Nun, ich weise Dich darauf hin, daß in Europa zur Zeit der Entstehung der europäischen Eigentumswirtschaften ganz ähnliche Umstände geherrscht haben: hohes Bevölkerungswachstum, hohe Kriminalitätsraten etc. - Kollaps des mittelalterlichen Feudalismus eben. Kam es deswegen zum „Abstieg“? Nein, interessanterweise kam es stattdessen zu einem „Aufstieg“ ohnegleichen. Allein das schon zeigt, daß Deine Vermutung in Bezug auf Bangladesh keineswegs zwingend ist, sondern auch ganz andere Entwicklungspfade im Bereich des möglichen liegen.
Lieber bernor, Deine Argumentation scheint mir recht deutlich zu zeigen, wie Du sogar theoretische Inkonsequenz (Deine Interpretation der Zahlungspraxis, s.o.) in Kauf nimmst, um Dir Dein Bild vom allgemeinen Untergang auch angesichts von Gegenbeispielen und Hinweisen auf konstruktive Handlungsmöglichkeiten erhalten zu können. Es tut mir sehr leid, aber ich kann bei allem Verständnis für eine solche Haltung und für solches Tun nur wenig Respekt aufbringen.
Deine Überzeugung vom bevorstehenden „allgemeinen Untergang“ in allen Ehren: das rechtfertigt doch nicht theoretische Inkonsequenz und einen dermaßen selektiven Blick auf die Wirklichkeit, wie Du ihn hier an den Tag legst.
Ich denke, eine solche Argumentation zeigt sehr schön, wes Geistes Kind die Machttheorie ist und welches Zukunftsbild hier transportiert werden soll. Silvereagle hat dafür mal das Wort „Untergangsfetischismus“ verwendet, und bei mir wächst bei Argumentationen wie Deiner leider der Eindruck, daß er damit nicht ganz unrecht gehabt haben könnte.
Um aber auf Bangladesh zurückzukommen, gibt es dort wirklich kein flächendeckend installiertes ziviles Vertragsrecht (welches eine unabdingbare Grundlage für eine funktionierende Geld- und Marktwirtschaft wäre)?
Ich habe dafür eine (sehr) kurze Recherche im Internet gestartet. Die meisten Kurzdarstellungen des Landes enthalten überhaupt keine Angaben zum Zivilrecht. Die Verfassung von Bangladesh scheint mir jedoch deutlich sozialistische Züge zu tragen, erkennbar etwa an folgenden Passagen:
8. Fundamental principles.
(1) The principles of absolute trust and faith in the Almighty Allah, nationalism, democracy and socialism meaning economic and social justice, together with the principles derived from them as set out in this Part, shall constitute the fundamental principles of state policy.
Aha, socialism --- Nachtigall, ick hör Dir trapsen.
13. Principles of ownership.
The people shall own or control the instruments and means of production and distribution, and with this end in view ownership shall assume the following forms-
1. state ownership, that is ownership by the State on behalf of the people through the creation of an efficient and dynamic nationalised public sector embracing the key sectors of the economy;
2. co-operative ownership, that is ownership by co-operatives on behalf of their members within such limits as may be prescribed by law; and
3. private ownership, that is ownership by individuals within such limits as may be prescribed by law.
Hinweise auf sozialistische Ideale: Means of production... state ownership an erster Stelle, privat ownership an letzter Stelle - plus eine ganzen Reihe von Einschränkungen letzterer (s.u.).
14. Emancipation of peasants and workers.
It shall be a fundamental responsibility of the State to emancipate the toiling masses the peasants and workers and backward sections of the people from all forms and exploitation.
15. Provision of basic necessities. It shall be a fundamental responsibility of the State to attain, through planned economic growth, a constant increase of productive forces and a steady improvement in the material and cultural standard of living of the people, with a view to securing to its citizens-
1. the provision of the basic necessities of life, including food, clothing, shelter, education and medical care;
2. the right to work, that is the right to guaranteed employment at a reasonable wage having regard to the quantity and quality of work;
3. the right to reasonable rest, recreation and leisure; and
4. the right to social security, that is to say to public assistance in cases of undeserved want arising from unemployment, illness or disablement, or suffered by widows or orphans or in old age, or in other such cases.
"Planned economic growth" - muß man noch mehr sagen?
19. Equality of opportunity.
(1) The State shall endeavour to ensure equality of opportunity to all citizens.
(2) The State shall adopt effective measures to remove social and economic inequality between man and man and to ensure the equitable distribution of wealth among citizens, and of opportunities in order to attain a uniform level of economic development throughout the Republic.
Der Staat ist für"equitable distribution of wealth" zuständig. Kein Kommentar.
20. Work as a right and duty.
(1) Work is a right, a duty and a matter of honour for every citizen who is capable of working, and everyone shall be paid for his work on the basis of the principle"from each according to his abilities to each according to his work".
(2) The State shall endeavour to create conditions in which, as a general principle, persons shall not be able to enjoy unearned incomes, and in which human labour in every form, intellectual and physical, shall become a fuller expression of creative endeavour and of the human personality.
"Everyone shall be paid for his work on the basis of the principle"from each according to his abilities to each according to his work": sozialistische Flausen.
42. Rights to property.
(1) Subject to any restrictions imposed by law, every citizen shall have the right to acquire, hold, transfer or otherwise dispose of property, and no property shall be compulsorily acquired, nationalised or requisitioned save by authority of law.
[(2) A law made under clause (1) shall provide for the acquisition, nationalisation or requisition with compensation and shall either fix the amount of compensation or specify the principles on which, and the manner in which, the compensation is to be assessed and paid; but no such law shall be called in question in any court on the ground that any provision in respect of such compensation is not adequate.
(3) Nothing in this article shall affect the operation of any law made before the commencement of the Proclamations (Amendment) Order, 1977 (Proclamations Order No. I of 1977), in so far as it relates to the acquisition, nationalisation or acquisition of any property without compensation.]
Quelle
Was wir da haben, ist ein Entwicklungsland, das der sozialistischen Ideologie anheimgefallen ist und jetzt in einer ähnlichen Lage ist wie die postsozialistischen Staaten der GUS: Sozialismus weg, Kapitalismus mangels institutioneller Grundlage (Zivilrecht, Property Rights) nicht da. Daher herrschen dort Chaos und Mafiawirtschaft, nicht wegen irgendeinen machttheoretisch vorherbestimmten Weltenlaufs. Was dieses Land braucht, ist ein Team von Beratern aus Entwicklungstheoretikern vom Schlage eines DeSoto, und ein fähiges Team historisch gebildeter westlicher Juristen, die sich mit bereits erfolgreich vollzogenen Transformationen von Feudalsystemen zu zivilen Eigentumsgesellschaften beschäftigt haben und ein Transformationsprogramm entwerfen können.
Machttheoretiker und debitisten könnten ökonomische Argumente beisteuern. Wenn sie sich allerdings auf solche Diagnosen beschränken wie die von mir oben kritisierte, würde ich Bangladesh empfehlen, dankend abzuwinken.
Gruß
moneymind
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