-->Artikel erschienen am Fri, 26. May 2006 (www.welt.de)
Gestatten, mein Name ist H5N1
Hämagglutinin und Neuraminidase: die wichtigsten Bestandteile des Virus
Hallo, mein Name ist H5N1. Ich bin auch als Vogelgrippevirus bekannt. Gerade bin ich damit beschäftigt, eine Gänsezelle zu erobern, um ihren Stoffwechsel und ihre Zellstruktur für meine eigene Vermehrung zu nutzen. Dazu muß ich mich mit speziellen Oberflächenmolekülen an sie anheften. Hierbei kommt es zur Reaktion zwischen meinem Protein Hämagglutinin und dem Oberflächenprotein der Zelle namens Sialinsäure - das"H" des Hämagglutinins steht in meinem Namen. Nun bin ich im Inneren der Zelle angekommen. Genaugenommen im Zellkern, wo ich mein Erbmolekül RNA freisetze, um es vervielfältigen zu lassen.
Meine RNA ist in acht Segmente eingeteilt. Das führt dazu, daß nicht alle meine Nachkommen identisch sind und meine Familie gegen die Abwehrzellen des Immunsystems insgesamt besser gewappnet ist. Denn durch die vielen Möglichkeiten, Segmente zusammenzubauen, entstehen unterschiedlichste Erkennungsmoleküle auf der Zelloberfläche. Diese Variabilität überfordert die Abwehr.
Nach der erfolgreichen Vervielfältigung meiner RNA-Erbmoleküle und dem nachfolgenden Aufbau neuer Viren wird es Zeit, wieder Abschied von der Gastzelle zu nehmen. Dies ist schwierig, da Hämagglutinin auch beim Verlassen der Gänsezelle an der Sialinsäure klebt. Glücklicherweise besitze ich noch meine Neuraminidase, die die Sialinsäure abschneidet.
Dieses Molekül tritt in neun Formen auf und ist so wichtig, daß man es als"N" in meinem Namen wiederfindet. Erst kürzlich sind einige meiner Verwandten gestorben, weil es den Menschen gelungen ist, einen Wirkstoff zu entwickeln, der die Aktivität von Neuraminidase hemmt. Dadurch fielen sie den menschlichen Immunzellen zum Opfer. Die Einnahme des Medikaments muß aber spätestens 48 Stunden nach der Infektion geschehen. Zudem ist unser Erbgut so variabel, daß es den Forschern nur möglich ist, einen Vorläuferimpfstoff zu produzieren. Bei einer auftretenden Epidemie müßten ihm noch diverse Schlüsselkompetenzen zugefügt werden, die die Sialinsäure deaktivieren.
Nun will ich die Gans verlassen und begebe mich dazu in Richtung Ausscheidungstrakt. Auf dem Weg dorthin beobachte ich, wie zwei unterschiedliche Viruszellen dieselbe Zelle befallen. Wahrscheinlich erlebe ich gleich die Geburt von Virusnachwuchs, der ganz anders ist als die Erzeuger. Denn die insgesamt 18 Teilstücke der beiden Viren-RNAs werden völlig neu kombinierbar. Falls es sich bei den"Eltern" um ein Vogelgrippevirus wie mich handelt und ein Grippevirus, das Menschen an"normaler" Influenza erkranken läßt, haben die Menschen Grund, sich zu fürchten - dann entstehen völlig neue tödliche Viren, gegen die die Menschen keine Impfstoffe haben.
Inzwischen hat die Gans ihr Geschäft verrichtet. Wie ich sehe, bin ich auf einer deutschen Gänsefarm gelandet. Ursprünglich stamme ich aus Südostchina, aber in den letzten Jahren ist mein Stamm ziemlich herumgekommen, seit Februar haben wir auch hier einen Stützpunkt. Für unsere Verbreitung sorgen Zugvögel, aber auch infizierte Säugetiere.
Auf diesem Geflügelhof wird es für mich einfach sein, einen neuen Wirt zu finden: Die Vögel atmen mich ein, und ich kann mich dann in ihnen wieder herrlich vermehren. Sollte ich in die Lunge eines Menschen gelangen, müßte ich tief eindringen. Denn ich bevorzuge Wirtszellen mit einer speziellen Sialinsäure, die vor allem weit unten in der Lunge sitzt. Durch Niesen wäre es mir aber kaum möglich, dort wieder rauszukommen. Darum ist die Ansteckung zwischen Menschen sehr unwahrscheinlich. Um sich überhaupt zu infizieren, wäre der direkte Kontakt mit einem kranken Tier nötig.
Gerade watschelt eine Ente auf mich zu. Wenn sie zum Fressen gleich den Hals senkt, wird sie mich einatmen, und ich beginne eine neue Reise. Saskia Blank
<ul> ~ hier geht's direkt zur Volksverblödung</ul>
|