--> Unerwartet hohe Steuereinnahmen in den USA
Haushaltsdefizit des Bundes deutlich unter den Vorhersagen
brĂĽ. Washington, 9. Juli
Die gute amerikanische Konjunktur hat zur Folge, dass im laufenden Haushaltsjahr (Oktober bis September) über Erwarten hohe Steuereinnahmen in die Staatskasse fliessen. Das Aufkommen aus Unternehmenssteuern kletterte in drei Jahren von 131 Mrd. auf 300 Mrd. $, und auch die Kapitalgewinnsteuer floss reichlicher. Trotz hohen Ausgaben für den Krieg im Irak und die Beseitigung von Hurrikan-Schäden dürfte das Haushaltsdefizit nach neuesten Schätzungen deutlich unter den Prognosen liegen. Nach amtlichen Daten machen die Steuereinnahmen per 30. Juni 2006 rund 206 Mrd. $ mehr aus als 2005. Und in den ersten neun Monaten des Haushaltsjahres stieg der Steuerzufluss um 26% auf 250 Mrd. $.
Diese Mehreinnahmen drücken das erwartete Haushaltsdefizit wohl auf etwa 300 Mrd. $. Dieses Defizit entspräche 2,5% des Bruttoinlandproduktes (BIP). Das Haushaltsamt des Kongresses hatte einen Fehlbetrag von 371 Mrd. $ angenommen, und das Weisse Haus hatte gar eine Lücke von 423 Mrd. $ für möglich gehalten. 2005 war das Defizit mit 318 Mrd. $ (2,7% des BIP) ebenfalls weit unter den Erwartungen geblieben.
Solche falschen Schätzungen haben Tradition in den USA, weil die Prognose-Experten nicht dynamische, sondern statische Analysen vornehmen, in denen die ökonomischen Auswirkungen von Steueränderungen unberücksichtigt bleiben. Eine Untersuchung des Verbandes Amerikanischer Aktionäre für den Zehnjahreszeitraum von 1997 bis 2006 deutet darauf hin, dass die Schätzer die Einnahmen in dieser Zeit kumulativ um die bemerkenswerte Summe von 2000 Mrd. $ zu niedrig angesetzt hatten. Diese Entwicklung, die sich je nach Konjunktur und Aktienmarkt schnell umkehren kann, hat bereits zu einem politischen Streit geführt. Während die Republikaner den unerwarteten Steuersegen auf die Reduktionen der Steuersätze durch die Bush-Administration 2001 und 2003 zurückführen, weil sie die Wirtschaft angekurbelt hätten, weisen die oppositionellen Demokraten darauf hin, dass die Steuereinnahmen mit 17,5% des BIP immer noch nicht den langfristigen Durchschnitt von 18% erreichten und weit hinter den 20% zurücklägen, die zum Ende der «Dotcom-Blase» 2000 erzielt worden seien. Die Einkommenssteuer, die den grössten Teil der Staatseinnahmen ausmacht, hat trotz allem Wachstum mit 970 Mrd. $ noch nicht das Niveau von 2000 erreicht (1000 Mrd. $).
Obwohl sich kurz- und mittelfristig die US- Haushaltslage auf der Einnahmeseite verbessert hat, bleiben die längerfristigen Aussichten bedrohlich. Das liegt einerseits am Problem der alternden Bevölkerung, die wachsende Ansprüche an Sozialkassen und Haushalt stellen wird. Anderseits ist es der Politik bisher nicht gelungen, die Ausgabenseite des Haushalts unter Kontrolle zu bringen. Unabhängig von den Kosten des Irak- Krieges, die sich bisher insgesamt auf 300 Mrd. $ belaufen und dieses Jahr um 120 Mrd. $ klettern sollen, sind die Staatsausgaben in den letzten Jahren immer schneller gewachsen als die Wirtschaft. Sie machen rund 20% des BIP aus, liegen also strukturell über den Einnahmen.
Zu günstigen Wirkungen der Steuerwoge gehört auch eine verbesserte Haushaltslage in den Gliedstaaten, deren 40 Überschüsse ausweisen. Zu ihnen zählen Kalifornien und New York, die noch vor wenigen Jahren fast bankrott waren. 2005 erhöhten sich die Steuereinnahmen in Gliedstaaten und Kommunen um 10%, dieses Jahr läuft es ähnlich. Allerdings bedeutet dies keine langfristige Verbesserung, denn Politiker in Provinzhauptstädten geben das Geld ebenso schnell wieder aus wie ihre Kollegen in Washington.
Quelle: NZZ vom 10.Juli 2006
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