-->>Diffiziler wirds, wenn man auf die Motive der einzelnen Parteien abstellt und das chronologische Wirken und Handeln. Dann bleibe ich bei meiner Aussage, dass Hitler den Krieg begonnen hat und niemand sonst.
Die extrem normative Kraft des Faktischen, auch Du moechtest davon nicht Abstand nehmen.
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Auszuege aus dem Weißbuch des Auswärtigen Amtes (Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1939, Band 2, S. XI ff)
Viertes Kapitel Polen als Werkzeug des englischen Kriegswillens
A. Die Auswirkung der britischen Einkreisungspolitik auf die Haltung Polens
B. Die letzte Phase der deutschs-polnischen Krise
Die immer wiederholten englischen Zusicberungen hatten Anfang Juli in Polen
zu einer ausgesprochenen Kriegsstimmung geführt. Die polnische Kriegslust
konnte durch die Ausführungen, mit denen der Leiter der britischen Politik am 10. Juli im Unterhaus zu dem deutsch-polnischen Streitpunkt Stellung nahm, nur
verstärkt werden. Chamberlain wiederholte und bekräftigte die britischen Zusagen
an Polen, vor allem in der Danziger Frage (Nr. 438). Es geht aus dieser Erklärung hervor, daß England die polnische Lesart kritiklos übernommen und bei aller Beteuerung, man würde eine freundschaftliche Lösung begrüßen, nichts getan hat, um Polen zu einem Entgegenkommen zu bewegen. Im Gegenteil, die Rede
Chamberlains vom 10. Juli 1939 zeigt, daß England durch die Einkreisungspolitik
erst die Frage Danzig und Korridor mit jener Hochspannung geladen hat, die zur
Explosion führen mußte. Wir wissen heute, daß die englische Garantie in Wahrheit
ausschließlich gegen Deutschland gerichtet war (vgl. S. 420, Anm.) und daß Polen
später die größere Hälfte seines Staatsgebiets an Sowjetrußland verloren hat, ohne daß England irgend etwas unternahm. Diese Tatsachen beleuchten erst vollends die bezeichnende englische Verantwortungslosigkeit, mit der in der Erklärung Chamberlains die nationale Existenz und Unabhängigkeit Polens als durch die bescheidenen deutschen Vorschläge zur Danzig- und Korridorfrage bedroht hingestellt wurde. Die gleiche Rede enthält auch das durchsichtige Spiel mit den Daten der deutschen Vorschläge vom 21. März, der polnischen Ablehnung vom 26. und der englischen Garantieerklärung vom 31. März. Vorstehend ist an Hand der Dokumente Nr. 269 bis 279 bereits der Nachweis geführt worden, daß man es hier mit einem bewußt gefälschten Arrangement der Zeitpunkte und ihrer Hintergründe zu tun hat. Eine Aufzeichnung des Staatssekretärs Freiherr von Weizsäcker vom 13. Juli (Nr. 439) nagelt den Englischen Premierminister, der behauptet hatte, Deutschland habe den Status quo in Danzig bis zum Jahre 1944 garantiert, auf einen zweiten Irrtum fest. Der Englische Botschafter in Berlin konnte nicht widersprechen, als ihm Staatssekretär Freiherr von Weizsäcker vorhielt, daß öffentliche. Erklärungen dieser Art Polen lediglich »den Rücken stärken« müßten, »statt es zur Besinnung zu bringen* (Nr. 440). Indessen wurden gegenüber Polen die Demonstrationen des britischen Kriegswillens wiederholt. Der Besuch des englischen Generals Ironside in Warschau diente diesem Zweck (Nr. 443). Die britische Kriegsentschlossenheit begegnete sich in Warschau mit der polnischen. Marschall Rydz-Smigly legte sich in seinem ersten öffentlichen Interview, das zugleich einen unmittelbaren Eingriff in die Außenpolitik darstellte, vor dem englischen Besuch absichtlich auf ein »Niemals« in der Danziger Frage fest (Nr. 441, 442) und versperrte damit aufs neue die Möglichkeiten einer direkten Fühlungnahme.
Die Propaganda des polnischen Chauvinismus und das englische Antreiben
hatten es Ende Juli so weit gebracht, daß das polnische Volk in allen seinen
Schichten kriegsbereit war und der sicher erwarteten bewaffneten Auseinandersetzung mit Vertrauen und Zuversicht entgegensah (Nr. 444).
Am 9. August teilte Deutschland der Polnischen Regierung mit, daß eine Wiederholung der ultimativen Forderungen an Danzig eine Verschärfung in den deutschpolnischen Beziehungen herbeiführen würde, für deren Folgen allein die Polnische Regierung verantwortlich sein werde. Zugleich wurde die Polnische Regierung darauf aufmerksam gemacht, daß die Aufrechterhaltung der von Polen gegen Danzig getroffenen wirtschaftlichen Maßnahmen die freie Stadt zwingen würde, sich nach anderen Ein- und Ausfuhrmöglichkeiten umzusehen (Nr. 445). Die Polnische Regierung antwortete mit einem Aide-Memoire, das in der Feststellung gipfelte, Polen werde jede Intervention der Reichsregierung in Danziger Angelegenheiten, die die dortigen polnischen Rechte und Interessen schädige, als Angriffshandlung ansehen (Nr. 446). Die polnische Autwort war mit
Zustimmung Englands und Frankreichs erfolgt (Nr. 447).
England wurde vorbeugend auf den Ernst der Entwicklung hingewiesen (Nr. 448). Auch Frankreich kann nicht behaupten, daß es von Deutschland nicht vor dem Weg gewarnt wurde, den Polen eingeschlagen hatte. In der Unterredung des
Staatssekretärs Freiherr von Weizsäcker mit dem Französischen Botschafter (Nr.
449) am 15. August wurde eine »sehr ernste, warnende Sprache« geführt und
nachdrücklichst auf die ultimativen Drohungen gegen Danzig und andere Exzesse
aufmerksam gemacht. Polen zöge damit sein Schicksal über sich zusammen und
brächte seine Freunde dazu, ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Der Botschafter
lehnte es indessen für Frankreich ab, einen Druck auf Warschau auszuüben.
Dieselbe ernste Sprache führte Staatssekretär Freiherr von Weizsäcker am
gleichen Tag gegenüber dem Britischen Botschafter, der aufs neue auf die
Ermutigung der polnischen Überheblichkeit durch die britische Garantie und auf
das Londoner Einverständnis mit der Dmhnote an Danzig hingewiesen wurde (Nr.
450). Henderson wußte dagegen nichts Überzeugendes vorzubringen. Den Rat,
Polen in der Frage Danzig und in seinem Verhalten zum Reich zur Vernunft zu
bringen, schlug England auch diesmal in den Wind. England hatte sich nicht nur
kritiklos den polnischen Standpunkt zu eigen gemacht (Nr. 451), sondern sich
auch bewußt auf die kriegerische Auseinandersetzung eingestellt. Die
Überzeugung davon war über Europa hinaus fühlbar (Nr. 452). England ließ sich
auch durch die historische Warnung davon nicht abbringen, die in der
Ankündigung eines Nichtangriffspaktes zwischen Deutschland und der Sowjetunion
enthalten war (Nr. 453). Chamberlain beantwortete sie öffentlich (Nr. 453) und in einem Schreiben an den Führer (Nr. 454) mit der erneuten Wiederholung, daß
man Polen im Genuß der Blankovollmacht lassen werde.
Aus diesem Schreiben und den Erläuterungen, die der Britische Botschafter am 23. August in einer Unterredung mit dem Führer in Berchtesgaden dazu gab (Nr. 455), geht hervor, daß England nicht bereit war, über unverbindliche Worte hinaus in Warschau diejenigen Voraussetzungen zu schaffen, die für eine Wiederaufnahme der direkten Verhandlungen mit Deutschland unerläßlich waren. Man hatte nahezu fünf Monate verstreichen lassen, Polen in seiner Anmaßung bestärkt und schob nun Deutschland die Aufgabe zu, dem polnischen Übermut goldene Brücken zu bauen.
Uber die ganze Verantwortung Englands für die Zuspitzung der polnischen Frage ließ der Führer in dieser Unterredung keinen Zweifel. Der Führer wies darauf hin, daß England die Hand Deutschlands immer zurückgestoßen habe und
»lieber den Krieg als etwas zum Vorteil Deutschlands« geschehen lassen würde.
Der deutsche Standpunkt ist in der schriftlichen Antwort des Führers an
Chamberlain vom 23. August 1939 zusammenfassend niedergelegt (Nr. 456): Das
Fehlen der direkten Streitpunkte mit England, die Bescheidenheit und Billigkeit
der deutschen Forderungen an Polen, die Auswirkung der britischen Garantie, die
Zuspitzung der Lage in Danzig und die Verfolgung der deutschen Volksgruppe in
Polen, die Kenntnisnahme von der Entschlossenheit Englands zum Krieg, aber
auch die deutsche Entschlossenheit, die Interessen des Reichs wahrzunehmen und
englische militärische Vorbereitungen mit der deutschen Mobilmachung zu be-
antworten. Das Schreiben schließt mit der Versicherung, niemand würde
glücklicher über eine Änderung der britischen Haltung gegenüber Deutschland
sein als der Führer.
Obwohl das Schreiben des Britischen Ministerpräsidenten vom 22. August und die
am folgenden Tage von den britischen Staatsmännern gehaltenen Reden jedes
Verständnis für den deutschen Standpunkt vermissen ließen, machte der Führer
am 25. August 13.30 Uhr einen neuen Versuch, sich mit Großbritannien zu
verständigen (Nr. 457). Er wolle, so eröffnete er dem Britischen Botschafter,
»heute England gegenüber einen Schritt unternehmen, der genau so entscheidend
sei wie der Schritt Rußland gegenüber, der zu der kürzlichen Vereinbarung geführt habe. Nach Zurückweisung der Unterstellung von Weltherrschaftsplänen
entwickelte er das polnische Problem in seiner ganzen Gefährlichkeit und
Dringlichkeit. Deutschland sei entschlossen, die mazedonischen Zustände an seiner Ostgrenze zu beseitigen. Einen Zweifrontenkrieg werde es nicht geben, das
Abkommen mit Rußland sei bedingungslos und eine Wende auf längste Zeit. Er sei
bereit, nach der Lösung des deutsch-polnischen Problems England noch einmal ein
umfassendes Angebot zu machen. Er bejahe das Britische Imperium und sei bereit,
die Kraft des Deutschen Reiches für dessen Bestand einzusetzen, sofern seine
begrenzten kolonialen Forderungen, die auf friedlichem Wege ausgehandelt werden
könnten, erfüllt, seine Verpflichtungen gegenüber Italien und Sowjetrußland nicht berührt würden. Er sei ferner bereit, eine vernünftige Begrenzung der Rüstungen zu akzeptieren. Im Westen stehe jede Grenzkorrektur außer Erwägung. Sofort nach Lösung der deutsch-polnischen Frage werde er mit einem Angebot an die Britische Regierung herantreten. Es war ein Angebot von europäischem, ja
weltweitem Ausmaß. Seine Ablehnung durch England erscheint im Lichte der
späteren kriegerischen Ereignisse und der Lasten, die auf der neutralen Welt
nunmehr liegen, um so verantwortungsloser.
Englands Antwort auf die großzügigen Vorschläge ließ auf sich warten. Vordem vollzog England die für die weitere Entwicklung folgenschwerste Handlung: Der nunmehr schriftlich niedergelegte britisch-polnische Beistandspakt, mit dem England sein Schicksal endgültig mit dem Polens verband, wurde an dem gleichen 25. August in London vom Britischen Außenminister und vom Polnischen Botschafter gezeichnet (Nr. 459).
Die britische Stellungnahme zu den Vorschlägen des Führers vom 25. August war in dem Memorandum enthalten, das dem Führer vom Britischen Botschafter erst am 28. August, nach Verlust von 3 kostbaren Tagen, abends 22.30 Uhr überreicht wurde (Nr. 463). Die Britische Regierung lehnt es darin ab, die deutsch-englische Zukunft und die europäische Befriedung von der polnischen Intransigenz zu trennen. Sie zeigt sich aber aller Gefahren bewußt, die
der augenblickliche Zustand an der Ostgrenze in sich schließt und stimmt mit
Deutschland in der Notwendigkeit einer raschen Lösung überein. Sie schlägt daher
als nächsten Schritt direkte Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen vor
und fügt hinzu, daß sie von der Polnischen Regierung bestimmte Zusicherungen
erhalten habe, mit der Reichsregierung in direkte Verhandlungen über die deutsch-polnischen Fragen einzutreten, deren Ergebnisse von anderen Mächten garantiert werden müssen.
Wir wissen heufe, daß die Englische Regierung hierbei nicht vor einer bewußten Irreführung der Reichsregierung zurückgeschreckt ist. Aus dem inzwischen veröffentlichten Schriftwechsel des Britischen Außenministers mit dem Britischen Botschafter in Warschau ergibt sich nämlich, daß die in der britischen Stellungnahme vom 28. August enthaltene Behauptung, eine definitive
Zusicherung der Bereitschaft Polens zu direkten Besprechungen in Händen zu haben, nicht dem Sachverhalt entspricht. In seiner Antwort, dem
Britischen Botschafter am 29. August 18.45 Uhr überreicht (Nr. 464), nimmt der
Führer den britischen Vorschlag an. Er macht aber England darauf aufmerksam,
daß die Zustände im Osten für eine Großmacht unerträglich sind und ein Zustand
erreicht ist, der ein weiteres Hinnehmen, oder auch nur Zusehen ausschließe. Der
Führer weist weiter darauf hin, daß vielleicht nur noch Stunden zur Verfügung
stehen, um die Spannung zu beseitigen. Deutschland habe lange versucht, auf dem Weg friedlicher Verhandlungen weiterzukommen, ohne von der Polnischen
Regierung unterstützt zu werden. Trotz ihrer skeptischen Beurteilung der
vorgeschlagenen direkten Besprechungen nehme die Reichsregierung den
britischen Vorschlag an und erkläre sich damit einverstanden, daß durch
Vermittlung der Englischen Regierung eine mit allen Vollmachten versehene
polnische Persönlichkeit nach Berlin komme, mit deren Eintreffen die
Reichsregierung für Mittwoch, den 30. August, rechne. Sie werde sofort
Vorschläge einer für sie akzeptablen Lösung ausarbeiten und diese, wenn möglich,
bis zur Ankunft des polnischen Unterhändlers auch der Britischen Regierung zur
Verfügung stellen.
Die Antwort Polens war die Anordnung der allgemeinen Mobilmachung (Nr. 465).
Während die Britische Regierung noch über die Mitteilung des Führers vom 25.
August beriet, fand ein Briefaustausch zwischen dem Französischen
Ministerpräsidenten Daladier und dem Führer statt (Nr. 460 und 461). Der Führer
begründete in seiner Antwort wiederum ausführlich den deutschen Standpunkt in
der deutsch-polnischen Frage und wiederholte noch einmal seinen festen
Entschluß, die gegenwärtige deutsch-französische Grenze als endgültig
anzuerkennen.
Die Britische Regierung ließ sich mit ihrer Antwort auf die deutsche Anregung
der Entsendung einer bevollmächtigten polnischen Persönlichkeit wiederum Zeit.
Erst um Mitternacht des 30. August überbrachte Henderson ein Antwortmemorandum der Britischen Regierung (Nr. 466 Anlage I) und erklärte gleichzeitig, daß die Britische Regierung nicht in der Lage sei, der Polnischen zu empfehlen, einen bevollmächtigten Vertreter zu entsenden. Sie schlage vielmehr vor, Deutschland möge sich auf dem normalen diplomatischen Weg an Polen wenden. Im Memorandum bestätigt die Englische Regierung, daß Deutschland seine Vorschläge angenommen hat. Obwohl sie sich der Gefahr bewußt sei, daß zwei mobilisierte Armeen einander in nächster Nähe gegenüberständen, halte sie es doch für untunlich, schon heute (30. August) die Fühlungnahme herzustellen. England hat demnach mehr als 24 Stunden verstreichen lassen, ohne den direkten Kontakt herzustellen.
Dem Reichsaußenminister blieb unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als
festzustellen (Nr. 466), daß Polens Antwort die Generalmobilmachung gewesen
sei und daß man umsonst auf das Erscheinen eines polnischen Vertreters gewartet
habe. Um zu zeigen, was Deutschland dem polnischen Vertreter vorzuschlagen
beabsichtigt hatte, verlas der Reichsaußenminister die inzwischen ausgearbeiteten deutschen Vorschläge, die, in 16 Punkte zusammengefaßt, die fairste Lösung der Streitfragen darstellten (Nr. 466 Anlage II), und erläuterte sie im einzelnen. Die amtliche deutsche Mitteilung (Nr. 468) stellt fest, daß Deutschland weitere 24 Stunden umsonst auf eine bevollmächtigte polnische Persönlichkeit gewartet habe und daß auch der Polnische Botschafter, der am 31. August 18.30 Uhr im Auswärtigen Amt erschien, keine Vollmacht zum Verhandeln besessen, sondern nur erklärt habe, Polen erwäge die britische Anregung im günstigen Sinne. Der polnische Rundfunk (Nr 469) und die gesamte polnische Presse haben die deutschen Vorschläge sofort als unannehmbar und
»unverschämte Ansinnen« abgelehnt.
Von englischer wie von polnischer Seite sind zu diesen Vorgängen unrichtige Darstellungen verbreitet worden. Insbesondere wird englischer- wie polnischerseits behauptet, Polen habe die Vorschläge, die es angeblich abgelehnt habe, zur Stunde der Ablehnung noch gar nicht gekannt. Der
Englische Botschafter, dem sie vom Reichsaußenminister »at top speed«
vorgelesen worden seien, habe sie nicht verstanden und nicht weiterleiten können, weil man sie ihm nicht ausgehändigt hätte. Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß der Hauptinhalt der deutschen Vorschläge schon in der Antwort des Führers vom 29. August (Nr. 464) enthalten war, die England im Laufe des 30. dem
Britischen Botschafter in Warschau zur Übermittlung an die Polnische Regierung
zugesandt hatte. Im übrigen geht aus den inzwischen veröffentlichten amtlichen
britischen Dokumenten einwandfrei hervor, daß Henderson die im einzelnen
ausgearbeiteten deutschen Vorschläge der sogenannten 16 Punkte sehr wohl
verstanden und in der gleichen Nacht unmittelbar im Anschluß an seine Unterredung mit dem Reichsaußenminister deren Hauptinhalt zutreffend sowohl
nach England als auch an seinen englischen Kollegen in Warschau weitergeleitet
hat. Am Morgen des 31. August hat Henderson, wie er in seinem Abschlußbericht
vom 20. September selbst zugibt, den Polnischen Botschafter in Berlin über die
Einzelheiten der deutschen Vorschläge (16 Punkte) unterrichten lassen, die er
inzwischen von einem Vertrauensmann auch schriftlich erhalten hatte. Dem
gleichen Hendersonschen Schlußbericht zufolge verbrachte der Polnische
Botschafter im Anschluß an diese Mitteilung der 16 Punkte den Vormittag in
Telephongesprächen mit Warschau. Die Polnische Regierung hat die Vorschläge
demnach gekannt. Wenn England den guten Willen zur Herstellung eines
Kontaktes in letzter Stunde gehabt hätte, wäre dies zeitlich und technisch auch in diesem Stadium noch möglich gewesen.
Aber nicht nur England hat es abgelehnt, Warschau die Annahme des deutschen Vorschlags zu raten, sondern, wie aus den veröffentlichten englischen Dokumenten hervorgeht, auch Beck hat erklärt, er werde einer deutschen
Einladung selbstverständlich nicht folgen und Lipski nicht einmal ermächtigen, die deutschen Vorschläge entgegenzunehmen.
Im übrigen war es, nachdem England fünf Monate darauf verzichtet hatte, trotz wachsender Spannungen Polen zu einem direkten Kontakt mit dem Reich zu bewegen, von vornherein klar, daß sein letzter Vorschlag nur ein Versuch war, die Kulissen so zu arrangieren, daß es mit seinem polnischen Verbündeten nicht bei der Herbeiführung des Krieges in flagranti ertappt wurde. Dies zeigen die gleichfalls von England selbst veröffentlichten mehrfachen Ermahnungen des Englischen Außenministers an Warschau, »im Hinblick auf die Weltmeinung« äußerst vorsichtig zu sein. Es ging nicht um die friedliche Bereinigung der Spannung, sondern darum, der Weltöffentlichkeit gegenüber das »friedliche« Gesicht zu wahren.
Nachdem somit alle Möglichkeiten zu einer friedlichen Regelung der deutsch-polnischen Krise erschöpft waren, sah sich der Führer genötigt, die von Polen
schon seit langem gegenüber Danzig, dem Deutschtum in Polen und schließlich
gegenüber Deutschland durch zahlreiche Grenzverletzungen (Nr. 470) angewandte
Gewalt mit Gewalt abzuwehren. In der Rede des Führers vor dem Reichstag am
1. September (Nr. 471) ist der deutsche Standpunkt abschließend zusammengefaßt.
Die polnische Herausforderung im Osten duldete kein weiteres Zögern. Es kam
nun darauf an, ob die Westmächte frivol genug waren, auch Westeuropa in die
Auseinandersetzung zu verwickeln. Großbritannien war dazu entschlossen, wie
endgültig durch die Note bestätigt würde, die Sir Neville Henderson am 1. September 1939 21 Uhr im Auswärtigen Amt überreichte. Darin werden die Einstellung »jeglicher Angriffshandlung gegen Polen« und Zusicherungen gefordert, daß Deutschland bereit ist, seine Truppen »unverzüglich aus polnischem Gebiet zurückzuziehen«, andernfalls würde Großbritannien ohne Zögern seine vertraglichen Pflichten gegenüber Polen erfüllen (Nr. 472). Um 22 Uhr überbrachte der Französische Botschafter eine Note gleichen Wortlauts (Nr. 473). Der Reichsaußenminister wies den Vorwurf, Polen angegriffen zu haben, scharf zurück, erklärte sich aber bereit, den Inhalt der Noten dem Führer weiterzuleiten.
In diesem Augenblick setzte ein Vermittlungsversuch des Duce ein, wie aus Dokument Nr. 474 hervorgeht. Er enthielt den Vorschlag eines Waffenstillstandes
und der Einberufung einer Konferenz in 2 bis 3 Tagen. Die Reichsregierung
erklärte sich bereit, auf den Vorschlag einzugehen; auch die Französische
Regierung hatte eine positive Antwort erteilt. Das Dokument Nr. 475, eine
Mitteilung der Havasagentur vom 2. September 1939, ist in diesem Zusammenhang
von historischer Bedeutung. Diese Mitteilung wurde nämlich, wie sich herausstellte unter englischem Druck, später zurückgezogen. England hatte inzwischen die Französische Regierung gezwungen, sich der englischen Auffassung
anzuschließen, die auf der Zurückziehung der deutschen Truppen bestand
(Nr. 476). Damit war die Aktion des Duce in einem Augenblick torpediert, in dem sie kurz vor dem Erfolg stand.
Statt dessen sandte England am 3. September vormittags 9 Uhr ein auf 11 Uhr befristetes Ultimatum, in der es die Forderungen auf Einstellung der Kampfhandlungen und Zurückholung der deutschen Truppen wiederholte und sich für den Fall der Ablehnung nach Ablauf dieser Zeit als im Kriege mit Deutschland befindlich erklärte (Nr. 477). Um 11 Uhr 15 desselben Tages unterrichtete Lord Halifax den Deutschen Geschäftsträger in London davon, daß sich England vom 3. September 1939 11 Uhr vormittags ab als im Kriegszustand mit Deutschland befindlich ansehe (Nr. 478).
Es war selbstverständlich, daß die Reichsregierung es ablehnen mußte, die ultimativen Forderungen Englands »entgegenzunehmen, anzunehmen oder gar zu erfüllen«. In einem Memorandum, vom Reichsaußenmmister dem Britischen Botschafter am S.September 11 Uhr 30 überreicht, wies Deutschland diese Forderungen unter nochmaliger Entwicklung des deutschen Standpunktes und der englischen Verantwortwortung für eine kriegerische Auseinandersetzung zurück und erklärte, »jede Angriffshandlung Englands mit den gleichen Wallen und in der gleichen Form zu beantworten« (Nr. 479).
Um 12 Uhr 30 desselben Tages erschien der Französische Botschafter im Auswärtigen Amt und überreichte eine Note des Inhalts, daß Frankreich sich
verpflichtet sehe, vom 3. September 17 Uhr ab, die »vertraglichen Bindungen zu
erfüllen, die Frankreich gegenüber Polen eingegangen sei«, eine Mitteilung, die
sich nicht nur zeitlich von der englischen unterscheidet (Nr. 480). Der
Reichsaußenminister verwies auf die Zerschlagung des italienischen
Vermittlungsversuchs durch England sowie auf die auf zwei Stunden befristete
ultimative Forderung Englands und sprach sein Bedauern aus, wenn es trotz des
gesuchten Ausgleichs mit Frankreich zu einem durch nichts gerechtfertigten
Angriffskrieg Frankreichs gegen Deutschland kommen würde. Die heutige
Französische Regierung trage die Verantwortung für das Leid, das dann den
Ländern zugefügt werde (Nr. 481).
In einem Rundtelegramm des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts an die
deutschen diplomatischen Missionen wird die Verantwortung Englands für den
Kriegsausbruch abschließend festgestellt (Nr. 482). Dieses Urteil wird vor der
Geschichte Bestand haben.
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Abschliessend noch zu dem gegenüber Deutschland durch zahlreiche polnische Grenzverletzungen (Nr. 470) obig Aufgefuehrtem. Die Anzahl solcherart provokativer Ueberfaelle polnischer Militaers im Zeitraum Maerz - August 1939 lag weit ueber der Marke 200, letztendlich mussten bereits diese staendigen Verletzungen deutschen Reichsboden fuer sich allein genommen zu der Entscheidung fuehren, die dabei auf deutschem Reichsboden ausgeuebte Gewalt mit Gegengewalt bereits an der Quelle abzuwehren.
Hierzu ein Zeitzeugenbericht:
Aus einem Bericht von Heinrich-Julius Rotzoll, 4180 Goch (früher
Königsberg) vom 25.6.1990:
"Das Heeres-Artillerie-Regiment 57 aus Königsberg/Preußen wurde Mitte August 1939 an die von Polen gefährdete Grenze gelegt. Wir bezogen die Bereitstellung bei Garnsee, Kreis Neidenburg (Ostpreußen). Die Stellung meiner Batterie lag in einem Maisfeld in diesem Raum, bereits seit Wochen war die Arbeit auf den Feldern zum Lebensrisiko geworden. Bis in 7 km Tiefe in ostpreußisches
Reichsgebiet fielen aus Polen sengende und mordende Kavallerietruppen ein, diese Ueberfaelle begannen bereits seit Anfang Juli 1939. Soweit das Auge reichte konnte man in den Abendstunden Rauch und Feuer sehen. Die brennenden Häuser und Dörfer auf reichsdeutschen Böden wurden von polnischen Kavallerietrupps provokatorisch angesteckt. Wer sich von der Bevölkerung aus den brennenden Häusern ins Freie rettete oder das Feuer löschen wollte, wurde niedergemacht.
Um diesen polnischen Umtrieben Einhalt zu gebieten, erhielt meine Batterie am 23. August 1939 den Befehl, ein Jagdkommando aufzustelle. Als Wachtmeister bekam ich das Kommando unterstellt, und auch den Einsatzbefehl.
Am ersten Tage des Einsatzes war unser motorisierter Stoßtrupp eine halbe Stunde zu spät zum Einsatz gekommen, eine mordende polnische Schwadron raste bereits wieder in Richtung der sie schützenden Grenze zurück. Die Spuren waren grausam, in den Feldwegen und auf den Feldern fanden wir die Leichen von deutschen Bauern. Diese waren mit Säbeln zerfetzt oder erschossen worden.
Doch bereits am 26. August 1939 stellte unser Kommando einen
polnischen Reitertrupp in einem Zuckerrübenfeld unweit von Garnsee.
In unseren MG-Garben wurde die polnische Kavallerie aufgerieben,
47 polnische Reiter waren auf reichsdeutschem Boden gefallen.
Als auch unsere Einheiten am 1. September 1939 um 5 Uhr zum Sturmangriff
übergingen, fanden wir direkt jenseits der polnischen Grenze frische Gräber von deutschen Zivilisten. Blutige und zerfetzte Kleidungsstücke von Zivilisten lagen auf Wegen und Straßenrändern herum. Auch von polnischen Kriegsgefangenen bekamen wir die Bestätigung, daß provokatorische Angriffe auf die Zivilbevölkerung auf deutschem Reichsgebiet lange vor dem 1. September 1939 befohlen worden sind."
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