-->... der"Tagesspiegel":
(...) Es ist die Frage, ob Soldaten Mörder sind - auf jeden Fall sind sie Kinder: große Kinder, die noch nicht auf eigenen Füßen stehen, sondern gerade erst unter der Schürze ihrer Mutter hervorgekrochen sind und in der Befehlsstruktur einer Armee nach Geborgenheit suchen. Von jeher stellt das Militär blutjunge Kerle an die Waffen (die Genfer Konvention erlaubt das Einziehen von Fünfzehnjährigen). Von jeher macht sich das Militär die Gehorsams- und Sterbebereitschaft zunutze, die das Ergebnis von Unreife ist. Will man diesen Vorteil nutzen, so darf man sich andererseits nicht über frivole Verspielheit beklagen.
Denn alles kann man nicht haben: die nützliche Unreife und die nötige Abgeklärtheit, die verbietet, mit einem Schädel dummes Zeug zu machen.
Weiß man denn, was die jungen Medizinstudenten während ihres Praktikums in der Pathologie für Witze machen? Ich habe schon Erstaunliches darüber gehört, wie es am Leichentisch zugeht - wenn keiner guckt. Angeblich ist da auch das Obszöne nicht ausgeschlossen. Erstaunlich sind solche Berichte allerdings nur, solange nicht berücksichtigt wird, wie schwer das psychische System die körperliche Begegnung mit dem Tod verarbeitet. Die Dummheiten, die anlässlich dieser Begegnung gemacht werden, sind wahrscheinlich ganz gesund. Sie verhindern, dass die Eindrücke nach innen schlagen.
Dasselbe gilt - verschärft - für die Jungens, die mitten aus einem harmlosen Alltag gerissen und mit der Möglichkeit, töten zu müssen oder selbst getötet zu werden, konfrontiert sind. Wenn sie dadurch nicht in seelische Abgründe gerissen werden wollen, müssen sie einen frivolen Humor aktivieren. Die Verwegenen unter ihnen können die Gelegenheit, den Tod einmal kräftig auf die Schippe zu nehmen, nicht gut auslassen. Man sollte sie ungestraft lassen. (...)
Die Reaktion der Ã-ffentlichkeit ist heuchlerisch. Sie verdrängt mit ihrer Empörung, dass sie sich selbst gerade in dem heiklen Bereich von Tabu und Frevel bewegt. Sie verdrängt die Skrupel, die fällig sind, weil sie zulässt, dass Deutschland - ohne angegriffen zu sein - wieder Soldaten in die Welt schickt, die dort offensiv tötend tätig werden. Deutschland ist wieder normal geworden - in der Weise, dass es den Schwur gebrochen hat, den es nach dem Zweiten Weltkrieg abgelegt hat: Nie wieder Krieg! (...)
Wenn ein Tabu gebrochen wird und die Angst vor Frevel aufkommt, werden Sündenböcke gebraucht. Man macht sich sauber, indem man sie verdrischt. So schicken die Deutschen ihre Jungens wieder hinaus in den bösen alten Tanz - aber erlauben ihnen nicht, die damit verbundenen Belastungen auf ihre jugendliche Weise, nämlich frivol und obszön, zu kompensieren. Sie dürfen töten - aber sie dürfen sich nicht dadurch entlasten, dass sie den Tod auf die Schippe nehmen.
http://www.tagesspiegel.de/meinung/archiv/27.10.2006/2859943.asp
Gruß bernor
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