Zeitenwende?
Von Bernd Niquet
Donnerstag vergangene Woche, also Donnerstag, der
11. Januar 2001, war mein persönlicher Glückstag.
Denn seit diesem Tag weiß ich endlich, dass nun
doch alles wieder gut werden wird. Und: Diese
Erkenntnis hat mich nur 5,90 Mark gekostet! Was für eine epochale
Botschaft ja tatsächlich kein Preis ist. Wie schön und gerecht die
Welt doch manchmal sein kann!
An diesem Tag bin ich mir nämlich selbst untreu geworden. Und
habe mir nach langer Abstinenz doch noch einmal eines dieser
Magazine mit den bunten Bildchen gekauft. Nein, keine nackten
Mädchen, dafür jedoch prallvolle geldwerte Informationen. Und
schon auf der Titelseite lachte mich die Schlagzeile an:
"Expertenrunde ist sich einig: Kurswende kommt."
Sie können sich sicherlich vorstellen, welch ein Gefühl der
Erleichterung mich plötzlich wohlig übermannte. Denn suchen wir
nicht alle irgendwie nach Autoritäten, die uns sagen, wo es lang
geht?! Und die uns dann, wenn es richtig schlimm ist, trösten und
sagen:"Kopf hoch, es ist doch alles nicht so schlimm! (Dafür jetzt
aber her mit der Kohle.)" Wie singt doch Romy Haag so schön:
"Man braucht das ganze Leben, um die Kindheit zu verstehen."
Es wird also alles nicht so schlimm. Und dies ist für mich insofern
eine kolossal erleichternde Botschaft, weil ich ab sofort alle Dinge,
die nicht in dieses Bild passen, einfach nicht mehr beachten muss.
Nein, das ist keine Verdrängung, sondern einfach bewusstes Fügen
in ein selbstgewähltes Über-Ich. Und welch ein Glück, dass so
etwas möglich ist! Denn ansonsten käme man vielleicht noch auf
die dumme Idee, sich ein eigenes Puzzle der gegenwärtigen
Geschehnisse zu legen - aus Dingen wie den folgenden:
Das Investmenthaus Morgan Stanley sagt den USA eine
Rezession vorher.
Der Repräsentant der US-Notenbank für Dallas musste
bestreiten, dass die US-Wirtschaft bereits im vierten Quartal
geschrumpft sein könnte.
Ein US-Fondsmanager spielte bei CNBC den Günter
Schabowski der US-Finanzmärkte und platzte damit heraus,
dass die US-Fonds gegenwärtig täglich mit Rückflüssen in
Millionenhöhe konfrontiert sind. Was für ein peinlicher
Versprecher.
Die Stars der amerikanischen und deutschen
Investmentszene machen sich en gros selbständig. Ein
ansonsten untrügliches Zeichen für eine Zeitenwende.
DaimlerChrysler muss für seine neuen Anleihen noch höhere
Risikoaufschläge als die Telekoms bezahlen, um den auch
2001 gewaltigen Kapitalbedarf decken zu können. Aber für
die Privatanleger sind dies selbstverständlich günstige
Kaufgelegenheiten.
Die Verschuldung der US-Verbraucher ist im November mit
einer Jahresrate von über 10 Prozent angestiegen. Schlechte
Nachfrage seitens der Verbraucher ist daher nicht zu
erwarten.
Das Jahr 2000 war dagegen das erste Jahr in der
Nachkriegszeit, in dem sich das Nettovermögen der
US-Haushalte verringert hat.
Das Management des Internetfonds FI LUX I.Q hat letztes
Jahr 77 Prozent Minus gemacht, ist jedoch weiterhin von
seiner Strategie überzeugt und wird deshalb demnächst
Niederlassungen in Russland und anderen osteuropäischen
Städten eröffnen. Wahrscheinlich deshalb, weil die Leute
dort im Geld schwimmen.
Und: Die"Financial Times Deutschland" zeigt uns eine kleine
aber bedeutende Grafik: Die US-Unternehmensgewinne in
Prozent des BIP sind heute wieder so hoch wie in den 70er
Jahren und damit auf Top-Niveau. Der S&P-Index, also der
Wert der Unternehmen selbst, liegt allerdings - ebenfalls in
Prozent des BIP - fast doppelt so hoch. Und damit oberhalb
jeder historischen Marke.
Ebenso jenseits des bisherigen historischen Tops: Die Profis
der US-Finanzbranche sitzen auf nie dagewesenen
Short-Positionen. Was bedeutet: Die Privaten und
Kleinanleger sind einfach smarter. Oder auch nicht.
Müssten wir das nun alles beachten, dann könnten wir tatsächlich
auf die Idee kommen, nicht nur im Hightech-Bereich, sondern
vielleicht ganz allgemein (!) mit der Aktienbewertung über das Ziel
hinausgeschossen zu sein. Und das würde bedeuten, dass uns
eventuell eine generelle Zeitenwende bevorstehen könnte.
Doch glücklicherweise"würde" es das nur bedeuten. Denn die
Medien sagen uns:"No! Alles wird gut!" The show must go on.
Und wer kann sich schon den süßlichen Gesängen der Sugar
Daddys widersetzen?
Dr. Bernd Niquet (mailto: berndniquet@iname.com) ist Buchautor.
Seine beiden Neuerscheinungen"1000 Prozent Gewinn" und"Die
Welt der Börse" handeln über den Crash der Hightech-Aktien.
Woher so plötzlich dieser Wandel?
J.
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